"Hadja Lahbib Außenministerin – das hat niemand erwartet", titelt La Libre Belgique. "Ex-Journalistin Lahbib wird Außenministerin", schreibt L'Avenir auf Seite eins. "Die Journalistin, die selbst erschrocken war, dass sie Ministerin wird", heißt es auf der Titelseite von Het Laatste Nieuws.
Die TV-Journalistin und langjährige Nachrichtensprecherin der RTBF Hadja Lahbib ist gestern vom Vorsitzenden der frankophonen Liberalen, Georges-Louis Bouchez, zur neuen Außenministerin vorgeschlagen worden. Direkt danach wurde Lahbib vom König vereidigt. Die Zeitungen werten die Personalie als große Überraschung.
Le Soir führt aus: Diese Ernennung ist zunächst ein Mediencoup nach allen Regeln der Kunst. Eine Person, die man nicht erwartet hatte, die populär ist und deren gewagte Ernennung dem MR-Vorsitzenden und der neuen Ministerin das absolute Medieninteresse garantiert. Große Theatralik also. Trotzdem muss das nicht bedeuten, dass diese Ernennung von Lahbib nicht ihre Früchte tragen kann. Wenn Lahbib es schafft, den Posten der Außenministerin gut auszufüllen, wird nicht nur Belgien davon profitieren, sondern auch die MR, die mit Lahbib eine populäre Persönlichkeit mit Migrationshintergrund aus einfachen Verhältnissen zu einem ihrer Zugpferde gemacht hat, analysiert Le Soir.
"Werden Sie auf keinen Fall Politiker!"
De Standaard kommentiert: Politik ist ein Beruf, den man lernt, indem man fällt und wieder aufsteht. Selbst für eine erfahrene Journalistin wie Lahbib wird es ein Kulturschock sein, in diese Welt mit ihren anderen Gewohnheiten einzutreten. Besonders in der Außenpolitik ist Geschicklichkeit gefragt, um Deals auszuhandeln oder Kompromisse zu erzielen. Hier können erfahrene Politiker auf große Netzwerke zurückgreifen. Die hat Lahbib aber nicht. Als Chefin der Außenpolitik genießt sie natürlich Autorität. Aber die Zeiten sind herausfordernd mit einem Krieg auf europäischem Boden. Lahbib wird es schwer haben, in nur zwei Jahren all ihre Defizite abzubauen. Geschweige denn der belgischen Außenpolitik ihren Stempel aufzudrücken, prophezeit De Standaard.
Het Nieuwsblad fragt sarkastisch: Sind Sie jung? Interessiert an Politik und haben Sie die Ambition, eines Tages Minister zu sein? Dann geben wir Ihnen einen guten Rat: Werden Sie auf keinen Fall Politiker. Machen sie Karriere außerhalb der Parlamente. Sorgen Sie dafür, dass Sie einem Parteivorsitzenden gefallen und dann erreichen Sie ihr Ziel. Ohne sich jemals die Hände schmutzig machen zu müssen bei Wahlkampagnen und ähnlichen. Genauso ist es jetzt bei Hadja Lahbib passiert. Sie ist mittlerweile die siebte der 20 Föderalminister, die nicht vom Wähler gewählt worden ist. Das ist ein falsches Signal, wenn man die Bürger wieder für die Demokratie gewinnen wird. Wenn Parteichefs ihren eigenen gewählten Parteimitgliedern nichts mehr zutrauen – warum sollte es dann der Wähler tun?, ärgert sich Het Nieuwsblad.
Het Laatste Nieuws schreibt: Das Beispiel Lahbib zeigt aber auch: In Belgien kann man in einer der ärmsten Gegenden unseres Landes aufwachsen und es trotzdem ins Ministeramt schaffen. Lahbib kommt aus der verarmten Bergbauregion im Hennegau. "Ich bin das Gesicht von Belgien im Ausland", hat Lahbib gestern gesagt. Und genauso ist es, meint Het Laatste Nieuws.
Fader Beigeschmack
Das GrenzEcho beschäftigt sich mit der Gedenkfeier zur Flutkatastrophe von vor einem Jahr und bilanziert: Diese Katastrophe hätte eine angemessene Erinnerungsfeier verdient, einschließlich einer Entschuldigung für offensichtliche Versäumnisse, Fehleinschätzungen und falsche oder Nicht-Entscheidungen. Nichts davon. So bleibt der fade Beigeschmack, dass nach der letzten Katastrophe vor der nächsten Katastrophe ist, befürchtet das GrenzEcho.
Drei auf einen Streich
Zum Thema Energie berichtet die Wirtschaftszeitung L'Echo: "Wir befinden uns im Krieg", hat gestern die föderale Energieministerin Tinne Van der Straeten gesagt. Wenn es wirklich so dramatisch ist, bleibt es verwunderlich, warum die Öffentliche Hand so wenig tut, um das Einfachste zu machen, nämlich Anreize schaffen, um Energie zu sparen. Mit Energiesparen ließen sich nämlich auf einen Schlag drei Probleme lösen. Erstens würden die Energierechnungen sinken. Zweitens würde Belgiens Abhängigkeit von wenig demokratischen Ländern zurückgehen – denn warum soll es gut sein, russisches Gas durch Gas aus Katar zu ersetzen? Und drittens würde es helfen, unsere Gesellschaft schneller emissionsfrei werden zu lassen, zählt L'Echo auf.
La Libre Belgique beobachtet mit Blick auf den Nahen Osten: Es ist schon spektakulär, was da gerade passiert. Eine Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien. US-Präsident Joe Biden hat gestern vom ersten Direktflug zwischen Tel-Aviv und der saudischen Stadt Dschidda profitiert. Der gemeinsame Feind Iran schweißt Israel, Saudi-Arabien und die USA zusammen. Alle Beteiligten müssen dabei über ihre Schatten springen. Aber die Furcht vor dem Iran scheint so groß zu sein, dass dies möglich wird. Bei den USA spielen auch noch die großen Öl-Reserven von Saudi-Arabien eine Rolle, die bereits nach dem Zweiten Weltkrieg eine privilegierte Partnerschaft zwischen Saudi-Arabien und den USA begründet haben, weiß La Libre Belgique.
Kay Wagner