"Abtreibungen: Der Niedergang von Amerika", titelt Le Soir. "Oberster Gerichtshof in den USA erlaubt den Staaten, Abtreibung zu verbieten", heißt es bei La Libre Belgique auf Seite eins. Der Oberste Gerichtshof in den USA hat gestern entschieden, dass das Recht auf Abtreibung nicht mehr von der Verfassung garantiert wird. Dadurch erhalten die Bundesstaaten in den USA die Möglichkeit, Abtreibung zu verbieten.
L'Avenir kommentiert: Diese historische Entscheidung wirft die USA 50 Jahre zurück. Sie zeigt erneut, dass Ex-Präsident Donald Trump das Weiße Haus zwar verlassen hat, seien Ideen aber immer noch das Land regieren. Trump hatte den Obersten Gerichtshof mit konservativen Richtern besetzt. Jetzt erleben Amerika und die Welt, was das bedeutet, bemerkt L'Avenir.
"Eine Schande für die USA"
La Dernière Heure fragt: Afghanistan? Katar? Mitnichten! Es handelt sich um die Vereinigten Staaten von Amerika, die einflussreichste Demokratie in der Welt. Dort hat sich das unvorstellbare Erdbeben ereignet. Das Recht auf Abtreibung, das 1973 verfassungsrechtlich verankert wurde, ist gestern gekippt worden. Rund 20 Bundesstaaten werden sehr wahrscheinlich bald von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen und Abtreibungen bei sich verbieten. Das ist ein historischer Wendepunkt und führt auf erschreckende Weise vor Augen: Kein Grundrecht gilt ewig. Unsere Demokratien sind gewarnt, schließt La Dernière Heure.
Auch Le Soir gibt sich empört und poltert. Die Entscheidung des Obersten Gerichts ist ein Tsunami für die Frauen, eine Schande für die USA und ein Erdbeben für die Welt. Sie ist ein schrecklicher Triumph der religiös-konservativen Rechten. Diese Entscheidung ist Wasser auf den Mühlen aller Populisten, Konservativen und Religionsfanatiker in der Welt. Sie werden durch den Sieg ihrer Gesinnungsgenossen in den USA in ihren Kreuzzügen gegen ein liberales Gesellschaftsmodell gestärkt, bedauert Le Soir.
Gaskrise: Europa ist nur gemeinsam stark
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich auf dem EU-Gipfel in Brüssel damit beschäftigt, wie sie auf die reduzierten Gas-Lieferungen aus Russland reagieren sollen. Eine Entscheidung dazu gibt es noch nicht. La Libre Belgique kommentiert: Jean Monet, einer der Gründungsväter von Europa, hatte Recht mit seiner Prophezeiung. Er sagte: "Europa wird durch Krisen geboren und wird die Summe der Lösungen sein." Gerade befindet sich Europa wieder in einer Krise. Die gedrosselte Gaslieferung aus Russland ist eine Bedrohung. Und diese Bedrohung kann nur gemeinsam gemeistert werden. Alles andere würde Europa nicht stärken, sondern schwächen, ist La Libre Belgique überzeugt.
Die Wirtschaftszeitung L'Echo stellt fest: Nachdem der Kreml den Gashahn schon für Bulgarien, Polen, Finnland, die Niederlande und Dänemark zugedreht hat, stürzt er sich nun auf zwei Schwergewichte der Europäischen Union: Deutschland und Italien. Auf diese Erpressung kann es sinnvoll nur eine gemeinsame Antwort aller EU-Staaten geben und die gibt es schon: Die EU-Kommission hat bereits eine Plattform entwickelt, um gemeinsam für alle EU-Staaten Gas auf dem Weltmarkt zu kaufen. Diese Plattform muss nur aktiviert werden. Natürlich wird das nicht alle Probleme sofort lösen und auch dann wird nicht garantiert sein, dass Gas wieder billiger wird. Aber dieses gemeinsame Handeln bietet eine hervorragende Schlagkraft. Es hätte außerdem eine große Symbolkraft für die Einigkeit der EU, unterstreicht L'Echo.
Wir können uns keine Luxus-Debatten leisten
De Tijd findet: Angesichts der großen Probleme mit den Gaslieferungen muss auch Belgien sich unangenehme Fragen stellen. Zwar ist Belgien wenig abhängig von russischem Gas, aber die Solidarität zwischen EU-Ländern bei der Energie-Versorgung verwickelt auch unser Land in das Problem. Energie könnte auch bei uns knapp werden, weshalb man sich ernsthaft fragen muss, ob der Ausstieg aus der Atomenergie weiter sinnvoll ist. Die Laufzeit von zwei Reaktoren wird bereits verlängert, ein dritter Reaktor, nämlich Tihange 1, ist in so gutem Zustand, dass auch seine Laufzeit ohne Probleme über 2025 hinaus verlängert werden könnte. Die Realität erlaubt es uns halt nicht, Luxus-Debatten zu führen, auch weil die erneuerbaren Energien nicht schnell und in genügendem Maße ausgeweitet werden können, behauptet De Tijd.
Politische Antworten müssen her
Het Nieuwsblad notiert zu den Lebenshaltungskosten: Fünf Prozent, das ist die durchschnittliche Preissteigerung von 39 Produkten aus dem Supermarkt innerhalb von zwei Monaten. Einige Grundlebensmittel wie Milch und Reis sind sogar um 20 Prozent teurer geworden. Wirtschaftswissenschaftler sagen, dass die automatische Anpassung der Löhne durch den Index diese Preissteigerung ausgleicht, aber das ist nicht wahr. Wer plötzlich doppelt so viel für Benzin und dreimal so viel für Gas ausgeben muss, dem hilft auch die Indexierung nicht. Politische Antworten müssen her, doch die sind nicht in Sicht. Letztlich profitieren davon extreme Parteien, erinnert Het Nieuwsblad.
Kay Wagner