"Arbeitgeber raufen sich die Haare", heißt es bei Het Belang van Limburg. Konkreter wird Het Nieuwsblad: "500.000 Beschäftigte bekommen acht Prozent mehr Gehalt – gut für die Kaufkraft, ein Drama für die Betriebe", lautet hier der Titel. So viel Zuschlag soll die Lohnindexierung den Beschäftigten bis zum kommenden Januar bringen.
Kopfschmerzen bereiten ebenso die hohen Energiepreise. "Der Großindustrie wird als erstes der Hahn zugedreht, wenn Gas knapp wird", titelt L'Echo. La Dernière Heure hat auch für die Verbraucher schlechte Nachrichten: "Keine Normalisierung der Energiepreise vor 2025", prophezeit das Blatt.
"Last der Verarmung verteilen!"
Die Wirtschaftszeitung De Tijd ist sich sicher: Wir alle werden ärmer. Leider traut sich in der Politik offenbar niemand, das offen auszusprechen. Sogar ein sonst so vernünftiger Mann wie Koen Geens scheint den Kopf in den Sand zu stecken, wenn er sagt: Die Kaufkraft muss jederzeit erhalten bleiben. Denn eigentlich weiß er es besser.
Für De Tijd lautet die Frage, wie der Wohlstandsverlust gerecht verteilt werden kann. Die Unternehmen als Puffer zu nutzen, um die Kaufkraft der Haushalte zu wahren, hält das Blatt für keine gute Idee. Unternehmen zu schwächen, räche sich durch weniger Umsatz, weniger Neueinstellungen und weniger Investitionen. De Tijd plädiert für einen Pakt zwischen Sozialpartnern und Regierung, um die Last der kollektiven Verarmung zu verteilen.
Auch das GrenzEcho appelliert, die Folgen der Inflation von allen Schultern tragen zu lassen und erinnert an den Ölpreisschock in den 70er Jahren, den Belgien damals schlecht gemanagt hat. Trotz der vielen Sonntagsreden zur Nachhaltigkeit sind wir noch lange nicht raus aus dem Ölzeitalter. Und so geht es auch heute in der Energiekrise um leere Regale in den Kaufhäusern, die Wettbewerbsfähigkeit Belgiens und am Ende der Kette um Tausende Arbeitsplätze.
Anders sieht das Het Nieuwsblad und schreibt: Die Föderalregierung hat einen Indexsprung zu Recht abgelehnt. Selbst die Nationalbank sieht bei den Unternehmen derzeit historisch hohe Gewinnspannen. Daher gibt es für Het Nieuwsblad ausreichend Puffer, um die Löhne durch den Index steigen zu lassen. Die wahren Verlierer der Inflation sind die Sparer. Wer vor zehn Jahren 1.000 Euro aufs Sparbuch gelegt hat, hat davon 250 Euro Kaufkraft verloren. Auch La Libre Belgique erkennt in der Inflation eine soziale Zeitbombe. Die Zeitung sieht die Lösung für den Kaufkraftverlust in einer Steuerreform, also einer Reform, die die Abgaben auf Arbeit senkt.
Die Sanktionen treffen den Kreml kaum
Auf russisches Gas und Öl zu verzichten würde die Inflation noch weiter anheizen. Angesichts der russischen Gräueltaten in der Ukraine fordern aber immer mehr Politiker diesen Schritt. Uns selbst den Hahn zuzudrehen, klingt nach einem mutigen Akt der Selbstaufopferung, wäre aber auch eine rücksichtslose Politik, meint De Morgen. Russisches Öl und Gas würden dann nicht mehr in Europa, sondern anderswo in der Welt verkauft, die russische Kriegskasse also weiter gefüllt. Der Energieschock in Europa fiele aber um ein Vielfaches größer aus. De Morgen fordert eine Importsteuer auf russische Energie. Sozusagen eine Kriegssteuer, die Moskau zwingen würde, für die Krise zu zahlen, die es selbst verursacht.
Ähnlich sieht es De Standaard. Ein Importstopp von russischer Energie in Europa stoppt nicht den Milliardenzufluss für den Kreml, sondern verlagert ihn nur. Das bedeutet in der Konsequenz, dass wir uns in erster Linie auf die finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine konzentrieren müssen und dass die Sanktionen dem Kampfgeist Russlands nur geringen Schaden zufügen können.
Einig sind sich die Zeitungen darin, dass Europa unabhängiger von russischer und allgemein fossiler Energie werden muss. Le Soir fragt, warum das nicht schon gleich nach der russischen Annektierung der Krim 2014 passiert ist. Insbesondere Deutschland hat an russischer Energie festgehalten und durch die Pipeline Nordstream II die Abhängigkeit noch erhöht. Jetzt sieht der ehrgeizige RePower-Plan der EU vor, schon in sechs Jahren unabhängig von Russlands Energielieferungen zu sein. Das verleitet Le Soir zur Schlussfolgerung, dass man all das schon vor acht Jahren hätte in die Wege leiten können.
Die Einigkeit der EU gerät ins Wanken
Het Belang van Limburg beklagt, dass Europa offenbar nicht mehr geschlossen hinter den eigenen Sanktionen gegen Russland steht. Ungarn will der Forderung Russlands nachkommen und russisches Gas in Rubel zahlen. Ministerpräsident Orban sieht sich durch seinen überwältigenden Wahlsieg in seiner eurokritischen Politik bestärkt. Jetzt untergräbt er die europäische Einheit.
Het Belang befürchtet, dass das Schule macht. In Umfragen zur französischen Präsidentenwahl rückt die Europa- und Nato-Kritikerin Marine Le Pen immer näher an Amtsinhaber Emmanuel Macron heran. Die vielbeschworene europäische Einheit ist zerbrechlicher als viele denken. Nicht umsonst hat Putin in den letzten Jahren rechtsextreme Parteien im Westen unterstützt.
Olivier Krickel