"Nach den Gräueln von Butscha" titelt lapidar De Tijd. "Die EU fordert Aufklärung der Gräuel von Butscha", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Gezeichnet durch das Entsetzen", schreibt Het Laatste Nieuws. Gemeint ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der gestern Butscha besucht hat, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen.
In Butscha, einem Vorort von Kiew, wurden ja nach dem Abzug der russischen Truppen fast 350 Leichen von ermordeten Zivilisten entdeckt. Präsident Selenskyj war sichtbar geschockt. "Was haben diese Menschen Russland getan?", fragt sich Selenskyj auf Seite eins von Gazet van Antwerpen. "In Butscha spricht Selenskyj von einem Völkermord", schreibt Le Soir. "Und so etwas muss bestraft werden", zitiert Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite den ukrainischen Präsidenten. Der Kreml bleibt aber bei seiner Darstellung, dass russische Truppen nichts mit dem Massaker zu tun hätten und dass das Ganze von der ukrainischen Seite inszeniert worden sei. Im Westen ist man demgegenüber davon überzeugt, dass Russland verantwortlich ist für das Blutbad. Deswegen sind auch schon wieder neue Sanktionen in der Mache. Dieses dann schon fünfte Sanktionspaket soll noch in dieser Woche beschlossen werden. "Aber wie weit ist Europa bereit zu gehen?", fragt sich De Morgen auf Seite eins. Immer noch weigern sich einige Mitgliedstaaten, insbesondere auch die russischen Energielieferungen zu stoppen. "Ist Butscha jetzt die Wende?", titelt denn auch L'Echo.
"Wie hoch liegt unsere Schmerzgrenze?"
"Wie lange wollen wir noch diesen schmutzigen Krieg finanzieren?", fragt sich ebenfalls Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Gut, im Moment wird das bereits fünfte Sanktionspaket geschnürt. Darin werden wieder allerlei Strafmaßnahmen enthalten sein. Worum es aber wirklich geht, das ist russisches Gas. Millionen von Kubikmeter davon strömen immer noch täglich nach Europa. Wie konnte man sich in Europa nur so abhängig machen von einem einzelnen Energieträger, noch dazu mit einem politisch so unsicheren Partner? Resultat jedenfalls: Ein Stopp der russischen Energielieferungen würde Europa wehtun. Aber wird es nicht langsam Zeit, Putin wirklich zu betrafen, eben auf die Gefahr hin, dass wir das auch selbst merken werden? Lassen wir Putin jetzt nach Tschetschenien und Syrien auch noch die Ukraine zerstören, nur weil wir unsere Wirtschaft nicht schwächen wollen?
Nach dem allgemeinen Entsetzen über die Bilder von Butscha und den vielen großen Worten könnte man jetzt doch auch mal Taten erwarten, meint auch Het Laatste Nieuws. Nach wie vor strömen täglich 660 Millionen Euro von Europa nach Russland, um die Gaslieferungen zu bezahlen. Wie hoch liegt unsere Schmerzgrenze? Ist sie hoch genug, um wirklich zurückschlagen zu können? Allerdings zeigen auch schon kleinere Bereiche, wie schwer wir uns damit tun, uns auch ins eigene Fleisch zu schneiden. Beispiel: Belgien kann sich nach wie vor nicht zu einem Boykott von russischen Rohdiamanten durchringen, weil man den Antwerpener Diamantensektor schützen will...
Keine Angst haben vor wirtschaftlichen Folgen
Hierzulande wusste man noch nie mit "Blutdiamanten" umzugehen, kritisiert auch Het Nieuwsblad. Wir erinnern uns: Auch der Import von Diamanten aus afrikanischen Konfliktgebieten wurde viel zu lange geduldet. "Anderenfalls implodiert der Antwerpener Diamantensektor", hieß es damals immer. Nach dem Motto: "Wenn wir's nicht machen, dann macht's jemand anders". Nun: Blutdiamanten wurden am Ende doch verbannt. Und, "Oh Wunder": Der Antwerpener Diamantensektor implodierte nicht, er erfreut sich nach wie vor bester Gesundheit. Ja, es gibt wirtschaftliche Interessen. Aber, um es mit den Worten von Wolodymyr Selenskyj zu sagen: "Sind diese Wirtschaftsinteressen wirklich wichtiger als die russischen Gräueltaten in der Ukraine?" Nach Butscha stellt sich diese Frage mehr denn je.
De Morgen kann nur feststellen, dass der Stern von Wladimir Putin längst noch nicht überall untergegangen ist. Beispiel Ungarn. Der alte und neue Ministerpräsident Viktor Orban hat sich nie von Putin distanziert, eher im Gegenteil. Hat ihm das geschadet? Offensichtlich nicht. Er hat die Wahl in Ungarn mit fliegenden Fahnen gewonnen. Das sollte uns allen eine Lehre sein. Die Nähe zu Russland ist offensichtlich kein Grund, dass die Wähler sich von einer Partei abwenden. Rechtsextremisten in ganz Europa haben immer wieder Geld oder Ideen aus Russland angenommen, einem Regime, das Nachbarländer bombardiert und Zivilisten ermordet.
Mit zugedrehtem Geldhahn die Demokratie unterstützen
In Frankreich wird sich der rechtsextreme Rassemblement National wohl für die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen qualifizieren und in Flandern ist der Vlaams Belang immer noch zweitstärkste Kraft. Alle Verteidiger "liberaler" Werte, wie Gleichheit und Freiheit, müssen sich bewusst sein: Nein, Putin wird nicht für sie die Wahl gewinnen. Wir werden unsere Demokratie schon selbst aktiv verteidigen müssen.
Auch La Libre Belgique kommentiert den Ausgang der Parlamentswahlen in Ungarn. Zum vierten Mal hat der Prophet des "Illiberalismus" die Wahl gewonnen. Es war sogar ein triumphaler Sieg und zugleich eine krachende Niederlage für die anderen EU-Staaten und die Kommission. Die haben es schlicht und einfach versäumt, Orban rechtzeitig für den Abbruch der demokratischen Strukturen in seinem Land zu bestrafen. Wie kann man nur darauf hoffen, dass die Demokratie Orban schon aus dem Amt jagen wird, wenn man doch jahrelang tatenlos zugesehen hat, wie eben dieser Orban eben diese Demokratie ausgehöhlt hat? Die Wahlen mögen frei gewesen sein, gerecht waren sie nicht. Der ganze Staat ist längst auf Orban zugeschnitten. Und die EU hat all das de facto auch noch finanziell unterstützt. Es wird höchste Zeit, dass Brüssel Budapest den Geldhahn zudreht. Innerhalb der EU müssen Demokratie, Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt werden. Wie soll man diese Werte ansonsten noch verteidigen, gerade jetzt, wo doch Länder wie Russland vor nichts zurückschrecken, um eben diese Werte zu vernichten?
Roger Pint