"Friede ist mehr wert als russische Diamanten", titeln als Zitat gleichlautend unter anderem Le Soir, La Libre Belgique, De Tijd und Het Nieuwsblad. "Selenskyj zeigt mit dem Finger auf Diamantenhandel in Belgien", heißt es bei L’Echo auf Seite eins. "Selenskyj lobt und teilt aus", so die Schlagzeile bei Het Belang Van Limburg.
Bei der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj per Videoschalte gestern in der Kammer hatte sich Selenskyj sowohl für die bisher geleistete Hilfe Belgiens bedankt, als auch bemängelt, dass Belgien weiter Geschäfte mit Russland führt. Dabei zielte Selenskyj besonders auf den Handel mit russischen Diamanten in Antwerpen.
La Dernière Heure schreibt in ihrem Leitartikel: Obwohl absehbar war, was Selenskyj sagen würde, war seine Rede beeindruckend. Er hat uns eingehämmert, mutig zu sein und der Ukraine weiter zu helfen. Mut sollten wir haben, den Russen den Rücken zu kehren, ihrem Gas, ihren Diamanten und ihren Schiffen, die im Hafen von Antwerpen anlegen. Mut, um nicht die Tyrannei siegen zu lassen, so La Dernière Heure.
Frieden oder Diamanten – was ist wichtiger?
L’Avenir hält fest: Gestern hat Belgien den Ukrainern erneut Unterstützung und Solidarität bestätigt – das ist schon etwas. Auch Belgien ist jetzt Teil der diplomatischen Welttournee, mit der Selenskyj die öffentliche Meinung für seine Anliegen mobilisieren will. Die Rede von Selenskyj wird aber auf keinen Fall dazu führen, dass Belgien auf die Bitten des ukrainischen Präsidenten eingehen wird, bilanziert L’Avenir.
Het Nieuwsblad findet: Der Diskurs von einer bedingungslosen Unterstützung der Ukraine, der gestern wieder aus dem Mund belgischer Politiker zu hören war, klingt ziemlich hohl, wenn man direkt danach alle Bitten um Hilfe des ukrainischen Präsidenten ablehnt. "Was ist wichtiger, Frieden oder Diamanten?", wollte Selenskyj wissen. Eine richtige Antwort hat er nicht bekommen, stellt Het Nieuwsblad fest.
La Libre Belgique beobachtet: Premierminister Alexander De Croo hat die Bitte von Selenskyj, den Diamantenhandel mit Russland zu stoppen, direkt zurückgewiesen. Nur, um es mal klar zu sagen: Belgien unterstützt die Ukraine politisch, schickt ihr Waffen, nimmt ukrainische Flüchtlinge auf, beschlagnahmt Flugzeuge der Oligarchen. Aber wehe, es geht um die Industrie der flämischen Metropole. Dabei sollte die Föderalregierung die Einschränkung des Diamantenhandels in Antwerpen zumindest mal prüfen und erst dann entscheiden. Einige Parteien aus der Regierungskoalition – die Grünen und Vooruit – sind dazu bereit, weiß La Libre Belgique.
"Den Worten der Solidarität Taten folgen lassen"
Das GrenzEcho dagegen lobt die Haltung von De Croo und begründet: Es gehört zu den primären Aufgaben eines Premierministers, sein Volk zu schützen. So hat De Croo vollkommen recht, wenn er darauf hinweist, dass der Diamantenhandel zwischen Russland und Belgien (wie eine ganze Reihe anderer Sanktionen im Übrigen) überhaupt keinen Einfluss auf die militärische, finanzielle und politische Situation in der Ukraine beziehungsweise in Russland hat. Aber Belgien schadet. Mit Populismus bedient man vielleicht die Emotionen einiger Unbesonnener. Kriege beendet man damit nicht, meint das GrenzEcho.
Die Wirtschaftszeitung L’Echo analysiert: De Croo hat wahrscheinlich recht, wenn er sagt, dass sich der Diamantenhandel von heute auf morgen von Antwerpen nach Dubai verlagern könnte. Sprich: Russland würde durch einen Boykott russischer Diamanten kaum geschädigt. Doch das ist nicht der Punkt. Denn kann man in Zeiten symbolischer Gesten angesichts der Bomben, die auf das ukrainische Volk fallen, rein wirtschaftliche Argumente gelten lassen? Kann Antwerpen, wo die russischen Diamanten lediglich zehn Prozent des Handels ausmachen, nicht auch seinen Beitrag leisten, um den Worten der Solidarität Taten folgen zu lassen? Doch, das könnte es. Sicher werden andere davon profitieren. Aber das darf uns nicht daran hindern, unsere Werte mit allen Mitteln zu verteidigen. Den Diamantenhandel dabei mit zu berücksichtigen ist sicher kein Luxus, betont L’Echo.
Die Ukraine kämpft auch für unseren Wohlstand
De Standaard sieht das ähnlich und argumentiert: Die Art und Weise, wie Selenkyj gestern zu den Belgiern gesprochen hat, war deutlich: Er hat keine Zeit für schöne Worte. Was er braucht, sind Waffen, Munition und Vorräte. Denn die Ukraine kämpft gerade um ihr Überleben, aber auch für unsere Sicherheit und unseren Wohlstand. In so einer Situation können wir uns den Luxus nicht leisten, zu entscheiden, welche wirtschaftlichen Sanktionen wir ergreifen wollen oder nicht. Wir müssen jeglichen Handel mit Russland sofort einstellen. Jeden Tag, an dem wir in Rubel oder Euro den Handel mit Russland aufrechterhalten, sind auch wir Teil von Putins Krieg und wächst die Chance, dass Selenskyj nicht lange genug leben wird, um die Auszeichnung "Persönlichkeit des Jahres" entgegenzunehmen. Selenskyj war gestern noch glimpflich bei seiner Kritik. Von dem ukrainischen Blut, das an unseren Händen klebt, hat er nicht gesprochen, bemerkt De Standaard.
Kay Wagner