„Russische Armee geht immer härter vor“, titelt De Morgen. De Standaard beschreibt es ähnlich: „Schwere Bombardements sollen den Widerstand in den großen Städten brechen“. Und Het Laatste Nieuws prophezeit: „Das schwerste Geschütz kommt erst noch“. Der Ukraine-Krieg beherrscht auch heute wieder die Titelseiten und Leitartikel der belgischen Zeitungen.
La Libre Belgique meint dazu: Die Ukrainer kämpfen für ihr Land, für ihre Heimat, für ihre Familien. Aber sie kämpfen auch gegen die Tyrannei des russischen Regimes, für ihre Freiheit und ihr Recht, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen. Darüber hinaus ist es eine Lektion in Sachen Mut, die die Ukrainer unserem gesamten Kontinent erteilen. Möge sie die Europäer, die endlich in der Realpolitik des 21. Jahrhunderts aufzuwachen scheinen, dauerhaft inspirieren.
Het Laatste Nieuws fragt sich hingegen: Warum braucht es immer eine Krise, um zu merken, das sich die Zeiten geändert haben? Warum braucht es einen Krieg, um Entschlossenheit zu zeigen?
Keine Tabus und große Dringlichkeit
De Standaard kommentiert: Viele Hoffnungen ruhen auf dem Szenario einer Palastrevolution im Kreml, bei der der "verrückte" Präsident Putin von seinen Getreuen abgesetzt wird. Leider gibt es dafür keine Anzeichen. Stattdessen hält Putin seine Hand an den Öl- und Gashähnen. Anstatt von einem schnellen Happy-End zu träumen, gibt es nur eine Aufgabe: die Energieabhängigkeit Europas von Russland zu verringern. Ohne Tabus und mit großer Dringlichkeit.
De Tijd schreibt dazu: Wenn es in diesem Wirtschaftskrieg eine Schlacht gibt, die wir verlieren werden, dann ist es der Wunsch, Rohstoffe billig zu halten. Diejenigen, die dachten, die Inflation sei vorübergehend, können dieses Szenario ad acta legen. Der Kampf gegen teure Energie und Lebensmittel rückt auf der politischen Agenda nach oben.
Stagflation, eine gefährliche Spirale
L‘ Echo analysiert: Der Krieg in der Ukraine ändert alles und die Ökonomen sagen uns das Schlimmste voraus: einen wirtschaftlichen Abschwung mit einer Rekordinflation. Mit anderen Worten: eine Stagflation. Sollte sich dieses Szenario bewahrheiten, hätte das ganz konkrete Folgen. Eine stagnierende Wirtschaft bedeutet mehr Arbeitslosigkeit, weniger Investitionen der Unternehmen und besorgte Verbraucher, die ihre Ausgaben aufschieben. Kommt dazu noch eine anhaltende Inflation hinzu, bedeutet das steigende Preise bei Ausgaben, die nicht aufgeschoben werden können, und unwiderruflich steigende Kosten bei den Unternehmen. Kurz gesagt, eine gefährliche Spirale. Die Europäische Zentralbank steht dabei vor einem Dilemma. Um die Inflation einzudämmen, müsste sie ihre Geldpolitik verschärfen. Doch damit riskiert sie, dass sich die Wirtschaft noch stärker abschwächt.
Het Nieuwsblad beschäftigt sich mit der Rolle von Premier De Croo: Trotz der geopolitischen Umwälzungen wird De Croo vor allem daran gemessen werden, wie gut es ihm gelingt, die innenpolitischen Krisen zu lösen. Die Corona-Krise scheint unter Kontrolle zu sein, der Krieg in der Ukraine sollte nicht zu einer weiteren Entschuldigung werden. Vivaldi wird beweisen müssen, dass es mehr kann als Krisenmanagement. Denn was nützt es der Ukraine, wenn Belgien alle möglichen teuren Versprechungen macht, die es nicht halten kann? Und vor allem: Was hat der belgische Bürger davon? Es ist erlaubt, sich auf der internationalen Bühne zu profilieren, solange man seinen Laden zu Hause in Ordnung hält.
Gazet van Antwerpen kommt auf die Rede an die Nation von US-Präsident Joe Biden zurück. Biden ging verbal hart mit Putin ins Gericht, hat aber eindeutig nicht die Absicht, sich militärisch einzumischen. Nach Irak und Afghanistan haben die Amerikaner absolut keine Lust auf eine neue Front, schon gar nicht, wenn auf der anderen Seite die Atommacht Russland steht. Es gibt keine Alternative zu dieser vorsichtigen Haltung. Eine Eskalation mit Beteiligung weiterer Länder könnte zu noch mehr menschlichem Leid führen.
Ein Segen für Europas Migrationspolitik?
Verschiedene Zeitungen kommentieren die Situation der ukrainischen Flüchtlinge. Het Belang van Limburg beispielsweise: Die Tatsache, dass ausgerechnet Polen und Ungarn die Länder sind, in die mit Abstand die meisten Ukrainer fliehen, könnte ein Segen für die europäische Migrationspolitik sein. Die Mitgliedstaaten streiten sich seit Jahren um Solidarität. Wird Putins Krieg die Haltung der stursten Länder ändern?
Le Soir sieht es so: Für die menschliche Natur ist es leichter, sich mit jemandem zu identifizieren, der wie man selbst lebt, als mit einem Muslim aus Aleppo, der vor den Bomben flieht, oder mit einer Somalierin, die die Scharia ablehnt. Die Ukrainer aufzunehmen ist eine Pflicht. Zehntausende Menschen an den Grenzen Europas im Elend verkümmern zu lassen, die ebenfalls den Krieg erlebt haben, sich aber zu einer anderen Glaubensrichtung und einem anderen Lebensstil bekennen, ist ein Affront gegen die Werte, die wir zu verteidigen behaupten.
Volker Krings