"103 Stunden für Rayan gekämpft, aber es war vergeblich", schreibt Het Laatste Nieuws. "Noch gab es Hoffnung, dann wurde es still", so die Überschrift bei Het Nieuwsblad. "Der Tod Rayans erschüttert die Welt", titelt Le Soir.
Die Welt hatte gehofft, die Gläubigen hatten gebetet, schreibt La Dernière Heure in ihrem Leitartikel. Leider vergeblich. Der fünfjährige Rayan, der am letzten Dienstag in einen über 30 Meter tiefen Brunnen im marokkanischen Rifgebirge gefallen war, hat das Drama nicht überlebt. Die Rettungskräfte konnten ihn trotz ihrer enormen Anstrengungen nicht rechtzeitig erreichen.
Wie gerne hätten wir etwas anderes berichtet. Gerade auch im Kontext der allgemein gedrückten Stimmung, die durch die Gesundheits- und die wirtschaftlich-energetische Krise noch verstärkt wird, ebenso wie durch die globalen Spannungen. In solchen Zeiten hat der Mensch ein Bedürfnis, sich an Hoffnungen festzuklammern. Selbst wenn jeden Tag Tausende von Kindern unter mindestens genauso grausamen Umständen zu Tode kommen, wollten wir doch so sehr ein schönes Ende für diese Geschichte. Ruhe in Frieden, Rayan, trauert La Dernière Heure.
Wundersam und schön findet Le Soir die weltweite Anteilnahme am Schicksal eines kleinen Jungen, den fast niemand persönlich kannte, der aber plötzlich zu einem "der unseren" wurde. Wundersam und schön war, wie Kontinente plötzlich zusammenrückten, wie Kulturen, Menschen, Familien sich in Empathie angesichts des Dramas vereint fanden. Die Kraft der geteilten Emotionen überbrückt Entfernungen und Unterschiede, das war bei Rayan im marokkanischen Brunnenschacht so, beim ertrunkenen Aylan am türkischen Strand, bei der von einer Polizeikugel getöteten Mawda in einem Lieferwagen auf der belgischen Autobahn oder bei der auf einem Antwerpener Kai vergewaltigten und ermordeten Julie.
Oft fragt man sich, ob diese Wellen von Emotionen weiter wirken können als einige Tage nach dem eigentlichen Ereignis. Ob sie dazu beitragen können, die Welt besser zu machen. Von Aylan zu den Menschen, die im Brüsseler Maximilianpark Flüchtlingen helfen, von den Flutopfern von Pepinster zu den Freiwilligen, die bis heute an der Weser beim Wiederaufbau mithelfen: Es gibt so viele Beispiele, wie die Sorge um unsere Mitmenschen und unsere Fähigkeit zu Großzügigkeit und Empathie Berge versetzen können, erinnert Le Soir.
Eine symptomatische Energiepolitik
Het Belang van Limburg greift das Dauerbrennerthema hohe Energierechnungen auf: Die Regierungen haben zwar eine Anzahl verkrampfter Maßnahmen ergriffen, um zu versuchen, die enorm hohen Energierechnungen für Familien zumindest etwas zu lindern. Man hat aber feststellen müssen, dass man letztlich nicht wirklich über sehr wirksame Hebel verfügt. Hinzu kommt das Problem, dass der Energiebedarf in den kommenden Jahren wohl sogar weiter steigen wird. Umstellung des Fuhrparks von fossilen Brennstoffen auf Elektrizität, Heizen mit Erdgas, Wärmepumpen, die auch viel Strom brauchen, zunehmender Kühlbedarf an heißen Sommertagen. All das bedeutet, dass die Energiefrage noch lange auf dem Tisch liegen wird. Vor diesem Hintergrund ist die sich ständig verändernde "Stop-and-Go"-Politik, mit der das Energiedossier in Belgien seit Jahrzehnten behandelt wird, besonders himmelschreiend, klagt Het Belang van Limburg.
Für De Standaard ist das belgische Management der Energiekrise symptomatisch für die gesamte Politik des Landes. Das Sprichwort des ehemaligen Premierministers Jean-Luc Dehaene, dass wir Probleme dann lösen, wenn sie sich stellen, hat sich fest in der Politik eingenistet. Das ist zur Entschuldigung geworden, um nicht vorausdenken zu müssen. Die damit zusammenhängende Unfähigkeit, langfristige Beschlüsse zu nehmen, schadet dem Land. Wir managen die Krisen, aber sobald die höchste Not vorbei ist, scheinen wir vollkommen unfähig, strukturell zu denken. Strenge, auf Zahlen basierte Prozeduren – das scheint unvereinbar mit der belgischen Mentalität. Probleme in einem gewissen Maß amateurhaft und chaotisch anzugehen, das ist uns sicher nicht fremd. Aber um komplizierte Probleme lösen zu können, sollten sich unsere Verantwortlichen eine dicke Scheibe von der nordeuropäischen Mentalität abschneiden, fordert De Standaard.
Das Barometer nicht schon auf den Müll werfen
Mit dem Versuch einer strukturierteren Herangehensweise beim Corona-Krisenmanagement beschäftigt sich Het Nieuwsblad: Das Corona-Barometer ist beschlossen worden, um der ewigen Kakofonie politischer Testballons und Vorstöße ein Ende zu bereiten. Nach viel Blut und Tränen und politischem Tauziehen wohlgemerkt: Fast ein Jahr lang ist am Ende an diesem Instrument gebastelt worden, das für mehr Stabilität und Sicherheit sorgen soll. Aber jetzt, da die Zahlen tatsächlich in die richtige Richtung gehen, will wieder jeder so schnell wie möglich lockern.
Das Barometer schon jetzt auf den Müll zu werfen, bevor es zum ersten Mal angepasst worden ist, wäre ein Zeichen größten Zynismus'. Lasst uns bitte sicher und begründet lockern – wenn es geht, schnell, ja, aber schrittweise, wo es nötig ist. Jetzt, da der Ausgang in Sicht scheint, wollen sich viele auf der Zielgerade erneut ein Wettrennen liefern. Das bringt das Risiko mit sich, dass wir wieder ins Straucheln geraten und zertrampelt werden könnten, warnt Het Nieuwsblad.
Arbeitsmarkt: Die Betriebe müssen sich umstellen
Het Laatste Nieuws kommentiert den Arbeitsmarkt: Alle Sektoren suchen heutzutage die gleichen Absolventen und Arbeitnehmer, nämlich die, die schnell verfügbar und einsetzbar sind. Das ist nicht unlogisch und man sollte dem freien Markt hier seinen Lauf lassen. Der Staat sollte sich derweil auf diejenigen konzentrieren, die nicht die richtigen Abschlüsse haben und die nicht so einfach angeworben werden können – sei es, weil sie in den Augen der Betriebe nicht den richtigen Hintergrund haben, nicht das richtige Alter, nicht den richtigen Wohnort, nicht das richtige Geschlecht oder selbst nicht die richtige Hautfarbe.
Diese sehr große Gruppe verfügt über ein enormes Arbeitspotenzial. Die Betriebe müssen aber begreifen, dass die einfachen Wege der Arbeitnehmersuche nirgends mehr hinführen, dass ihr zukünftiger Erfolg abhängig sein wird von ihren Investitionen in diese Gruppe. Das wird nicht einfach werden, aber anders wird es nicht gehen, ist Het Laatste Nieuws überzeugt.
Boris Schmidt