"Die Regierung bekommt die Rebellion der Kultur nicht unter Kontrolle", titelt De Standaard. "Ziviler Ungehorsam, um den Kultursektor wieder zu öffnen", so die Schlagzeile von Le Soir. "Der Widerstand des Kultursektors - ein Wendepunkt im Umgang mit der Gesundheitskrise" – so sieht es La Libre Belgique. Und La Dernière Heure zitiert einen Vertreter des Sektors auf der Titelseite mit den Worten: "Bringt mich ins Gefängnis – ich öffne weiter".
Das große Thema heute Morgen sind die Corona-Proteste des Kultursektors von gestern. Mindestens 5.000 Vertreter der Branche waren in Brüssel auf die Straße gegangen. Sie wehren sich dagegen, dass sie wieder einmal schließen müssen, und erhalten für ihren Protest viel Sympathie. Het Laatste Nieuws zeigt sich beeindruckt von der Widerstandsfähigkeit des Sektors und erinnert an die Bedeutung der Kultur. Sie ist alles, was wir nicht brauchen, um zu existieren, aber was wir brauchen, um zu sein, schreibt der Gastkommentator. Kultur ist die Kunst des Überflüssigen, durch die sich der Mensch vom Tier unterscheidet. Die gleichen Worte nutzt auch L'Avenir in seinem Kommentar.
Vor diesem Hintergrund spekuliert Het Laatste Nieuws, warum gerade die Kulturbranche geschlossen wird: Vielleicht um den Eindruck zu vermeiden, dass etwas so Elitäres wie die Kultur fortbestehen kann, während man dem einfachen Mann Fußball und Radrennen verwehrt.
Die eigentlichen Opfer der Pandemie
Gazet van Antwerpen findet: Der Protest ist gerechtfertigt. Aber die Zeitung erinnert auch daran, dass nicht nur der Kultursektor leidet. Das tun auch die Familien, die einen geliebten Menschen verloren haben. Wie mag sich Weihnachten für sie angefühlt haben? Haben sie vielleicht sogar Schuldgefühle, weil sie sich in der Pandemie nicht vorsichtig genug verhalten haben, um eine Ansteckung zu vermeiden? Die Hinterbliebenen veranstalten kein lautes Geschrei in der Öffentlichkeit. Aber ihr Schweigen lässt vergessen, dass vor allem sie die eigentlichen Opfer der Pandemie sind.
Opfer der Corona-Maßnahmen sind für Het Belang van Limburg auch alle Menschen, die Kulturangebote wahrnehmen – vor allem Jüngere. Kein Kino, kein Indoor-Vergnügungspark. Die Weihnachtsferien wurden ihnen gestohlen. Sie sind wahrlich "Home alone". Die Zeitung lobt, dass der Protest gestern friedlich abgelaufen ist, warnt aber vor langfristigen gesellschaftlichen Folgen. Wenn sich Menschen einfach über die politischen Entscheidungen hinwegsetzen, sagt das viel darüber aus, wie die Corona-Politik gesehen wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Krise bis zur nächsten Wahl eingedämmt ist, weil sonst vor allem die Anti-Politiker profitieren werden.
Die Duldung von zivilem Ungehorsam schürt Misstrauen
Der zivile Ungehorsam könnte als Boomerang zurückkommen, befürchten gleich mehrere Zeitungen. Etwa La Libre Belgique: Es ist ein beunruhigendes Signal, wenn Bürgermeister und Generalstaatsanwälte offen erklären, Recht und Gesetz nicht durchzusetzen. Das Wohlwollen für den Kultursektor darf nicht dazu führen, dass die ohnehin schwache Legitimität der Behörden zunichte gemacht wird. Die Bewältigung der Krise muss für den Bürger durchschaubarer werden, fordert La Libre. Es ist höchste Zeit, von einem Krisen- zu einem Risikomanagement überzugehen. Dies ist eine Frage des Vertrauens und letztlich der Demokratie.
Ähnlich sieht es De Standaard. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass einige Bürgermeister diesen zivilen Ungehorsam dulden. Das widerspricht dem ordnungsgemäßen Funktionieren unserer Institutionen, so das Blatt. Ja, wir brauchen eine Perspektive, auch wenn sich eine Jo-Jo-Politik nie ganz vermeiden lässt. La Dernière Heure versteht nicht, warum die Politik ihren Beschluss nicht rückgängig gemacht hat, wohl aber die eigene Entscheidung kritisiert. Das schürt nur Misstrauen, schreibt La Dernière Heure. Entweder ist eine Entscheidung notwendig und wird umgesetzt, oder man verwirft sie einfach, appelliert auch Het Nieuwsblad. Politiker, die ihre eigenen Entscheidungen kritisieren, Amtsträger, die das Gesetz ignorieren – die Zeitung nennt es kafkaesk oder: Viel verrückter kann es nicht mehr werden.
De Morgen kommentiert den Vorstoß der flämischen Liberalen der OpenVLD zu 1G. Das würde bedeuten, dass nur noch Geimpfte am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Das Covid-Safe-Ticket hat gezeigt, dass Impfen allein nicht reicht, um das Reich der Freiheit zu erlangen. Es braucht mehr Maßnahmen als die Impfung, um die Krise zu überwinden. Eine 1G-Regel würde aber die Zahl der Impfgegner noch wachsen lassen, befürchtet De Morgen.
Die zwei Gesichter des Desmond Tutu
Le Soir würdigt den gestern verstorbenen Menschenrechtler und Anti-Apartheid-Kämpfer Desmond Tutu. Er war der Architekt des gewaltlosen Regimewechsels in Südafrika. Von Desmond Tutu erinnert man sich gerne an seine Güte, seinen Humor, seinen Sinn für Vergebung und seine Großzügigkeit. Man sollte jedoch nicht vergessen, dass dieser Mann auch gegenüber seinen eigenen Leuten kompromisslos und rücksichtslos sein konnte. Tutu geißelte zwar die Verfechter der Apartheid, zögerte aber auch nicht, den Präsidenten von Simbabwe, Robert Mugabe, anzuprangern und kritisierte, wenn nötig, schonungslos seine Mitstreiter im Kampf gegen die Apartheid.
Olivier Krickel