"Konzertierungsausschuss tagt schon heute: 'Starke' Maßnahmen gegen vierte Welle", titelt das GrenzEcho. "Das liegt heute auf dem Tisch des Konzertierungsausschusses: Horeca – zu viert am Tisch und Schließung um 24 Uhr, Diskotheken und Tanzcafés schließen, Abkühlwoche im Unterrichtswesen, alleine einkaufen gehen, Vollzeit-Homeoffice", gibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins einen Abriss über mögliche Verschärfungen der Corona-Schutzmaßregeln. "Das wird weh tun", warnt La Dernière Heure in großen Buchstaben.
La Libre Belgique bezeichnet das Treffen der verschiedenen Regierungen des Landes, das aufgrund der wirklich nicht guten Coronazahlen gestern verfrüht anberaumt worden war, als "Not-Konzertierungsausschuss". Für Le Soir ist es hingegen vor allem ein "Nachrüst-Konzertierungsausschuss": Was heute entschieden wird, muss die zu wenig schlagkräftigen Maßnahmen des Konzertierungsausschusses der letzten Woche ergänzen. Gleich eine ganze Salve schwieriger Ankündigungen erwartet uns wohl heute, kommentiert die Zeitung. Die letzten zwei Jahre haben uns gelehrt, dass halbherzige Maßnahmen nichts bringen, genauso wenig, wie das Blaue vom Himmel oder zu früh bessere Tage zu versprechen. Bei der Ankündigung neuer Maßnahmen darf man nicht schon wieder baldige Lockerungen in Aussicht stellen, um Interessengruppen zu besänftigen. Man darf die Wirklichkeit nicht so sehen, wie man sie gerne hätte, sondern wie sie ist. Entscheidungen dürfen nicht danach genommen werden, was den sozialen Gruppen, denen man nahesteht, gefällt. Es muss darum gehen, die Ausbreitung des Virus effektiv zu bekämpfen, fordert Le Soir.
Letzte Chance, um Weihnachten zu retten
De Tijd analysiert die möglichen neuen Maßnahmen: Was auffällt, ist, dass die politisch Verantwortlichen weiter versuchen, mit dem Virus zu leben, ohne das gesellschaftliche Leben offiziell lahmlegen zu müssen. Ein erneuter Versuch also, der Pandemie mit kleinen Schritten Herr zu werden, ohne der Bevölkerung zu große Opfer abzuverlangen. Das zeigt auch, dass sich die Spielregeln im Kampf gegen das Virus verändert haben. Das Chaos des frühen Corona-Krisenmanagements hat einer systematischen Herangehensweise Platz gemacht. Die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, sind vertretbar und scheinen notwendig. Außerdem werden sie den meisten nur kleine Anstrengungen abverlangen. Es ist aber auch die letzte Chance, um Weihnachten zu retten oder einen echten Lockdown zu verhindern, mahnt De Tijd.
Het Nieuwsblad geht der Frage nach, warum Belgien und insbesondere Flandern in so kurzer Zeit vom Klassenprimus in puncto Corona zum Sorgenkind geworden sind. Es sind eindeutig Fehler gemacht worden – und die müssen auch angesprochen werden, damit sie sich in Zukunft nicht wiederholen. Hier ist beispielsweise die Kontaktnachverfolgung anzuprangern, die nie richtig funktioniert hat. Oder allgemein Schutzmaßregeln, die zwar groß angekündigt, deren Einhaltung aber kaum kontrolliert worden ist. Auch mit den Auffrisch- beziehungsweise Boosterimpfungen ist viel zu spät begonnen worden. Heute neue Verschärfungen mit der Unvorhersehbarkeit des Virus rechtfertigen zu wollen, ist nur ein Teil der Wahrheit, kritisiert Het Nieuwsblad.
Worauf warten wir noch?
Het Belang van Limburg greift ebenfalls die Boosterimpfungen auf: Die sind viel wichtiger, als sich stur darauf zu konzentrieren, die Impfverweigerer mühsam überzeugen zu wollen. Bislang sind in Belgien 1,25 Millionen dritte Dosen verabreicht worden. Das kann und muss aber schneller gehen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist Belgien schon in der Lage, massiv zu boostern. Worauf warten wir also noch, um unseren Impfvorsprung zu nutzen?, fragt Het Belang van Limburg.
La Dernière Heure fühlt sich derweil im gleichen schlechten Film mit den gleichen schlechten Schauspielern wie vor einem Jahr. Beim letzten Konzertierungsausschuss haben die Verantwortlichen eher wie Marktweiber gefeilscht als wirklich entschieden. Für ihre Inkohärenz haben sie jetzt die Quittung bekommen, die Rechnung werden allerdings wir bezahlen müssen. Neue einschränkende Maßnahmen stehen uns bevor, aber niemand kann garantieren, dass sie ausreichen werden, um die neue Welle aufzuhalten. Gleichzeitig zögert und trödelt Belgien bei der dritten Dosis für die Bevölkerung. Es scheint fast, als ob wir in den zwei Jahren Pandemie nichts gelernt hätten. Im Großen und Ganzen haben sich die Belgier bislang sehr entgegenkommend verhalten und haben alle Opfer akzeptiert, die von ihnen verlangt worden sind. Jetzt ist das Maß allerdings voll – das Vertrauen in die politisch Verantwortlichen, dass sie diese Krise managen können, zerbröckelt, wettert La Dernière Heure.
Migration ist eine Tatsache, Punkt
Die Titelseiten und auch viele Leitartikel der flämischen Zeitungen greifen derweil die Verurteilung des bekannten flämischen Fernsehmachers Bart De Pauw wegen sexueller Belästigung beziehungsweise Stalkings auf.
L'Avenir stellt aber ein anderes Ereignis der vergangenen Tage in den Fokus ihres Kommentars: das neuerliche Flüchtlingsdrama im Ärmelkanal mit mindestens 27 Todesopfern. Wann werden Europa und die Staaten der Union endlich die Augen öffnen?, fragt die Zeitung. Migration ist eine Tatsache, Punkt. Man muss sie akzeptieren und würdige Aufnahmebedingungen schaffen, ebenso wie sichere Migrationskanäle. Außerdem muss der Migrations-"Druck" zwischen den Ländern verteilt werden. Stattdessen schieben sich die Staaten gegenseitig die Verantwortung zu und spielen den Rechtsextremen in die Karten. Sie spielen mit der Angst vor den Anderen, um Mauern aufzubauen, anstatt sie einzureißen, klagt L'Avenir an.
Boris Schmidt