"Demir verweigert die Genehmigung für ein neues Gaskraftwerk in Vilvoorde", titeln L'Echo und De Tijd. "Demir durchkreuzt die föderalen Pläne im Hinblick auf den Atomausstieg", schreiben Het Belang van Limburg und De Standaard auf Seite eins. "Der Atomausstieg steht jetzt auf der Kippe", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Die flämische Umweltministerin Zuhal Demir hat erneut den Bau eines neuen Gaskraftwerkes in Flandern blockiert. Erst verweigerte sie die Genehmigung für zwei solcher Anlagen in der Provinz Limburg. Und jetzt stoppte sie auch ein solches Projekt in Vilvoorde, nördlich von Brüssel. Immer begründete die N-VA-Politikerin ihre Entscheidung damit, dass die Gaskraftwerke gegen die geltenden Stickstoffnormen verstoßen würden. Kritiker werfen ihr demgegenüber vor, die föderale Energiepolitik sabotieren zu wollen.
Zuhal Demir hat also wieder "Njet" gesagt, stellt Gazet von Antwerpen in ihrem Leitartikel fest. Die Frage aller Fragen lautet, ob die Argumente, die die N-VA-Politikerin anführt, wirklich stichhaltig sind. Oder sucht die flämische Nationalistenpartei nur einen Stock, um den Hund zu prügeln? Fakt ist jedenfalls, dass die flämische Verwaltung offensichtlich kein Problem mit dem Gaskraftwerk in Vilvoorde hatte. Der Verdacht steht denn auch im Raum, dass die N-VA über die flämische Regierung versucht, die föderale Regierung auszubremsen. Auf der föderalen Ebene sitzt die N-VA ja in der Opposition.
Der Atomausstieg in Gefahr
De Morgen spricht denn auch von "Sabotage-Föderalismus". Die Gaskraftwerke sollen mit Blick auf den Atomausstieg als Puffer dienen und dann einspringen, wenn mal nicht genug Wind weht oder keine Sonne scheint. Eine Garantie für die Versorgungssicherheit - wenn sie denn genehmigt werden. Durch die Weigerung von Zuhal Demir gerät der Atomausstieg denn auch unter Druck. Die flämische Umweltministerin macht Umweltschutzbedenken geltend, aber das dürfte wohl nicht ihre erste Motivation sein. Hier geht es in erster Linie darum, die Föderalregierung zu blockieren, im Idealfall sogar zu sprengen. Wenn die N-VA und übrigens auch die MR wirklich ein so großes Problem mit dem Atomausstieg haben, warum haben sie ihn denn nicht während der letzten Legislaturperiode abgewendet? Nein! Beide Parteien haben damals noch ausdrücklich auf Gaskraftwerke gesetzt. Inzwischen ist ein Ausstieg aus dem Ausstieg fast unmöglich geworden. Und doch verhindert die flämische Regierung den Bau von Alternativen. Das ist eine schwere Verantwortung.
De Tijd hingegen findet die Diskussion berechtigt. Wir stehen hier vor einem grünen Paradox. Auf der einen Seite sind da die Klimaschutzerwägungen: Der CO2-Ausstoß muss dringend gesenkt werden. Auf der anderen Seite halten insbesondere die Grünen daran fest, die Atomkraftwerke abzuschalten. Stattdessen will man auf Gaskraftwerke setzen. Genau das ist aber schwer zu verkaufen. Wie etwa soll man die Menschen davon überzeugen, ihre Wohnungen nicht mehr mit Gas zu beheizen und stattdessen auf Strom umzuschalten, wenn eben dieser Strom vom Gaskraftwerken produziert wird?
Ein schon lange bestehendes Malaise
Die innerbelgischen Querelen drehen aber nicht nur um Vilvoorde, sondern haben zeitgleich den Weg nach Glasgow gefunden, meint L'Echo. Dort sind gestern die Verhandlungen über die innerbelgische Lastenverteilung bei den Klimaschutzmaßnahmen gescheitert. Und wer stand hier auf der Bremse? Das war auch wieder Zuhal Demir. Flandern verlangt, dass die EU die für Belgien festgehaltenen Klimaschutzziele nach unten korrigiert. Angeblich weil Osteuropa hier bevorteilt würde. Resultat jedenfalls: Belgien hat in Glasgow ein desaströses Bild abgegeben. Innerhalb weniger Stunden haben sich also zwei fundamentale Themenkomplexe im belgischen institutionellen Sumpf festgefahren. Das sind ja nur die letzten Symptome für ein längst bestehendes Malaise. Es würde langsam Zeit, dass die politisch Verantwortlichen ihre parteipolitischen Interessen mal beiseitelassen. Und damit aufhören, dem jeweils anderen Stöcke in die Speichen zu stecken. Auf die Gefahr hin, die Politik ansonsten definitiv zu diskreditieren.
Le Soir sieht das ähnlich. Belgien hat seine internen Streitereien mal wieder auf die Weltbühne getragen. Flandern besitzt sogar Chuzpe, die europäischen Klimavorgaben in Frage zu stellen. Das Ganze verstärkt den Eindruck, dass die drei Regionen des Landes sich wirklich nur einigen können, wenn es unmittelbar um Menschenleben geht. Alle anderen Akten bleiben liegen.
"Vier Klimaminister, aber keine Klimapolitik"
"Zwei schlechte belgische Witze an einem Tag", wettert auch L'Avenir. Nicht nur, dass das Land in Glasgow ein jämmerliches Bild abgegeben hat. Die Unfähigkeit, sich auf die interne Lastenverteilung zu einigen, ist auch ein ausgestreckter Mittelfinger an all die Klimademonstranten, die in den letzten Jahren immer wieder auf die Straße gegangen sind.
"Vier Klimaminister, aber keine Klimapolitik", beklagt auch De Standaard. In der vergangenen Woche hatte Premierminister Alexander De Croo noch am Rednerpult im Glasgow den Dicken raushängen lassen. Inzwischen klingen seine Worte doch ziemlich hohl. Nicht nur, dass er wenig anzubieten hatte und die Regionen nicht auf einer Linie sind, Belgien belegt im Klimaschutzindex einen der hinteren Plätze. In Belgien weiß die rechte Hand nicht, was die linke tut. Die Klimaschutzpolitik ist eine regelrechte Karikatur. Flandern machte sich sogar lächerlich, als man die europäischen Vorgaben in Frage stellte. Es ist eine Schande, dass sich eine Regionalregierung derartig ins Abseits stellt. Und dann torpediert sie auch noch die Politik der Föderalregierung. Da muss man sich fragen, was die CD&V und die OpenVLD noch in der flämischen Regierung hält
Roger Pint