"Der Klimawandel ist da und er will sich rächen", titelt Le Soir. "Die 41 Opfer der Überschwemmungskatastrophe im Juli sind die ersten belgischen Klimatoten", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Es ist Zeit zu handeln – sofort", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins.
Allesamt sind das Zitate von Premierminister Alexander De Croo. Der hatte sich gestern bei der UN-Klimaschutzkonferenz im schottischen Glasgow in einer Rede an die Vollversammlung gewandt. De Croo wählte eindringliche Worte, gab sich ebenso alarmiert wie entschlossen.
COP26: Ist das Ende der Entwaldung nur Augenwischerei?
In Glasgow gab es gestern aber auch schon erste Erfolge: Unter anderem einigten sich rund 100 Länder auf ein Abkommen zum Stopp der Entwaldung bis zum Jahr 2030. Einige Zeitungen sind da aber skeptisch: "Ist das wirklich ein Erfolg oder doch nur Augenwischerei?", fragt sich etwa De Morgen. De Standaard schlägt in dieselbe Kerbe: "Ist jetzt wirklich Schluss mit der Entwaldung, oder ist das wieder nur ein leeres Versprechen?". 2014 hatte man sich nämlich schon einmal auf einen Pakt zur Rettung der Wälder verständigt. Nur hat sich niemand daran gehalten.
"Glasgow will den Kampf gegen die Entwaldung angehen und Flandern verhandelt", titelt seinerseits Het Belang van Limburg. Zwischen den Zeilen steht hier ein Vorwurf: Flandern muss nämlich noch seine Hausaufgaben machen, die Regierung von Jan Jambon verhandelt noch über neue Klimaschutzmaßnahmen. Einige Zeitungen erwarten für heute eine Einigung. Auf dem Tisch liegen einige neue Ideen. "Die Liberalen wollen ab 2023 in Flandern Gasanschlüsse aus Neubauten verbannen", schreibt De Standaard. "Verbot von Erdgas in flämischen Neubauten", so auch die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Auf Sand gebaut
Gestern kursierte der Vorschlag, wonach in Flandern Neuwagen mit Verbrennungsmotoren schon ab 2027 nicht mehr zugelassen werden sollen. "Schöne neue Welt", meint dazu sarkastisch Het Belang van Limburg und bedient sich da des Titels des berühmten Romans von Aldous Huxley. Eine "schöne neue Welt" skizziert uns da die flämische Regierung. Eine Welt, in der E-Autos plötzlich für Privatkunden erschwinglich geworden sind. Eeine Welt, in der an jeder Straßenecke Ladesäulen stehen, die es erlauben, die Autos binnen kürzester Zeit mit - natürlich - nachhaltigem Strom aufzuladen. Ja, das wäre tatsächlich eine schöne neue Welt. Wir wünschen viel Spaß und Erfolg mit diesem Traum, aber es ist eben ein Traum. Diese schöne neue Welt ist bis 2027 nicht zu erreichen.
"Total unrealistisch", so auch das unbarmherzige Urteil von De Morgen. Natürlich ist es nicht verboten, Zukunftsvisionen zu entwerfen. Sich illusorische Ziele zu setzen, das ist aber sinnlos und zudem kontraproduktiv. Die Ambition, 2027 vollends auf E-Autos umzusatteln, ist utopisch. Das beginnt bei den Ladesäulen, davon gibt es nicht genug und bis 2027 wird sich das auch nicht grundlegend ändern. Hinzu kommt, dass man sich die Frage stellen kann, ob unsere Stromnetze das stemmen könnten. Ganz davon abgesehen, dass es längst nicht sicher ist, dass diese Fahrzeuge bald erschwinglicher werden, wenn doch die Nachfrage weltweit drastisch steigen dürfte. Fazit: Dieser Plan ist auf Sand gebaut. Es ist wohl nur ein spektakulärer Blitzableiter, um davon abzulenken, dass die flämische Regierung keine wirklich konkrete und umsetzbare Vision hat.
"Und das ist beschämend", scheint Het Nieuwsblad einzuhaken. Die flämische Regierung stochert im Nebel. Sie verhält sich wie ein Student, der am Tag vor der Prüfung zum ersten Mal seinen Unterricht aufschlägt. Er weiß, dass er durchfallen wird. Im Grunde geht er nur zur Prüfung, um zu wissen, wie viele Punkte ihm fehlen werden. Die Welt ist in Bewegung. Und Flandern tritt auf der Stelle. Der Gipfel in Glasgow kann historisch werden, für Flandern droht er demgegenüber zum Debakel zu geraten. Und das für eine Region, die sich allzu gerne als innovativ betrachtet.
Ein surrealistisches Theater und dunkle Wolken
Für Gazet van Antwerpen steht das Ganze indes stellvertretend für die Probleme, die sich überall in der Welt zeigen. Sich auf die Bühne in Glasgow zu stellen und dort mit bedeutungsschweren Worten schnelles und entschlossenes Handeln anzumahnen, das ist eine Sache. Je näher man dem Bürger und dessen Alltagssorgen kommt, desto schwieriger wird es allerdings, die Worte in Taten umzusetzen. Das macht letztlich aus dem Klimagipfel denn auch ein surrealistisches Theater.
Für das GrenzEcho rächen sich hier einmal mehr die Schwerfälligkeit und die Entscheidungsträgheit, die das Land seit Jahrzehnten charakterisieren. Beispielhaft dafür ist die Energiepolitik: Der Atomausstieg wurde zwar schon gefühlt vor einer Ewigkeit beschlossen. Wo die Energie aber stattdessen herkommen soll, diese Frage hat man bis heute nicht schlüssig beantwortet.
La Libre Belgique sieht ihrerseits dunkle Wolken am Vivaldi-Himmel. Nicht nur, dass die Koalition aktuell eben über den Atomausstieg streitet. In den letzten Wochen haben die Spannungen insgesamt merklich zugenommen. Inzwischen zeigt sich, dass das Haushaltsabkommen von Mitte Oktober, auf das man doch so stolz war, längst nicht ausdiskutiert war. Kein Tag vergeht, ohne dass sich die Equipe wegen strittiger Teilaspekte in die Wolle kriegt. Vergrünung der Firmenwagen, Steuer auf Kurzstreckenflüge, ein Mini-Tax-Shift zu Gunsten der Klein- und Mittelverdiener – in all diesen Punkten war man sich offensichtlich doch noch nicht so ganz einig. Es dauert nicht mehr lange, da sieht man vor lauter Streitpunkten die Gemeinsamkeiten nicht mehr. So mancher fragt sich denn auch, wie lange das noch gutgehen kann, ob nicht die Gefahr besteht, dass einer vor dem Ende der Legislaturperiode den Stecker zieht.
Roger Pint