"Pandora Papers - Die Schockwelle", titelt Le Soir. Denn tatsächlich hat die Berichterstattung über die geheimen Finanzkonstruktionen der Reichen aus der ganzen Welt viel Staub aufgewirbelt. Wie versprochen veröffentlichen die beteiligten Medienhäuser heute auch die ersten Namen der insgesamt 1.200 Belgier, die in den Pandora Papers auftauchen. "Wie die Erben der Familie Solvay ihre Aktien versteckt haben", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Die Familie Solvay suchte Zuflucht in Steuerparadiesen", titelt auch De Tijd.
Die Erben der Gründer des weltweit operierenden belgischen Chemiekonzern Solvay verfügen über eine komplexe Finanzkonstruktion, die unter anderem auf den britischen Jungferninseln angesiedelt ist. Sinn und Zweck war es offensichtlich, die großen Anteilspakete zu verstecken, über die die Familie noch verfügt. Für De Tijd besteht kein Zweifel daran, dass man aus steuerlichen Gründen gehandelt hat. De Tijd und Le Soir nennen auch die Namen von mehreren belgischen Bankern, die ebenfalls über Briefkastenfirmen in karibischen Steuerparadiesen verfügen.
"Und täglich grüßt das Murmeltier", meint dazu De Morgen in seinem Leitartikel. Man fühlt sich an den amerikanischen Spielfilm erinnert, in dem ein Wettermoderator denselben Tag immer wieder aufs Neue erleben muss. In regelmäßigen Abständen werden "Papers" ausgewertet, und der Befund ist immer der gleiche: Die Superreichen dieser Welt tun alles, um ihr Geld vor dem Fiskus zu verbergen. Selbst die kleinsten Schlupflöcher sind nicht klein genug.
Eine zunehmend explosive Akte
L'Echo hat ebenfalls ein Déjà-Vu: Es ist, als würde uns Netflix immer wieder die gleiche Story auftischen. Immer dieselbe Geschichte! Mit immer denselben Fragen, die dadurch aufgeworfen werden: Was kann man tun? Wie kann man gegen diese Leute vorgehen? Wie kann man die Steuerparadiese dazu bringen, sich den Regeln der Transparenz zu unterwerfen, um die Hintertüren zu schließen, die von diesen Kriminellen genutzt werden?
Klar! Man kann nicht behaupten, dass in den letzten Jahren nichts passiert wäre. Vor einiger Zeit schon hatte die OECD die Schrauben angezogen. Unter anderem Luxemburg und die Schweiz hatten daraufhin eingelenkt. Und doch muss Ottonormalverbraucher immer noch den Eindruck haben, dass der Staat sich den kleinen Bürgern gegenüber unerbittlich verhält und bei den Reichen die Augen verschließt. Diese Akte wird denn auch zunehmend explosiv. Die Gefahr ist groß, dass die Wähler am Ende den Sirenengesängen der Extremisten erliegen könnten.
Steuersenkung als Lösung?
La Dernière Heure sieht das genauso. Welcher Eindruck entsteht hier? Am Ende sind es immer die ehrlichen Bürger, die ihre Steuer bis auf den letzten Cent brav bezahlen, die für alle anderen blechen dürfen. Allerdings müssen sich die Staaten auch mal die Frage gefallen lassen, ob sie nicht schlicht und einfach zu viel der Abgaben verlangen. Ohne das Verhalten der über 1.200 Belgier rechtfertigen zu wollen, die in den Pandora Papers auftauchen: Hat das nicht auch mit dem enormen Steuerdruck hierzulande zu tun? Wer verhindern will, dass das Geld in Steuerparadiese abfließt, der sollte vielleicht ganz einfach nur die Steuern senken.
Das GrenzEcho macht eine ähnliche Analyse. Diese Medaille hat drei Seiten: Zunächst passen solche Berichte natürlich nicht in eine Zeit, in der Pandemien oder die Folgen von Flutkatastrophen abgemildert werden müssen. Andererseits kann man aber nur feststellen, dass sich die Staaten nach wie vor gegenseitig unterbieten wollen, um Unternehmen anzuziehen. Die dritte Seite betrifft Besteuerungsgier vieler Staaten. Hier liegt Belgien in der Spitzengruppe.
Einen Kampf auf internationaler Ebene führen
Wer aber glaubt, es reiche einfach nur die Steuern zu senken, der irrt sich gewaltig, ist De Morgen überzeugt. Mal ehrlich: Wenn das das Patentrezept wäre, dann dürften in den Pandora Papers doch eigentlich nur Belgier oder Skandinavier auftauchen. Elton John ist aber kein Belgier. Und Shakira ist auch keine Schwedin. Es wäre sogar riskant, den Steuerdruck zu senken in der Hoffnung, dass die Reichen dann eher ihren Bürgerpflichten nachkommen würden. Man läuft Gefahr, die Staatskasse trocken zu legen, denn man weiß schließlich nicht, ob die Maßnahme auch funktionieren würde. So frustrierend es auch sein mag: Der Kampf gegen Steuerhinterziehung kann nur auf der internationalen Ebene wirklich erfolgreich geführt werden. Und demokratische Politiker hätten auch ein vitales Interesse daran. Sie sollten nämlich nicht die Wut vieler Bürger angesichts der flagranter Steuerungerechtigkeit unterschätzen.
"Wir tun aber schon was!", unterstreicht Le Soir. Wir tun was, weil eine Armee von Journalisten hier anpackt. Es sind eben Mega-Recherchen wie die über die Pandora Papers, die letztlich für einen Ruck in der Gesellschaft sorgen. Und wer hier allzu nachdrücklich zwischen Steueroptimierung und Steuerhinterziehung unterscheiden will, der liefert letztlich nur Ausreden, um am Ende doch nichts zu tun. Ob nun legal oder illegal. Hier geht es um Steuergerechtigkeit.
Vom Nullrisiko weit entfernt
"Blei, Quecksilber und Pestizide: Die Wallonen werden nicht verschont", so derweil die Aufmachergeschichte von L'Avenir. In der Wallonie wurde eine großnagelegte Untersuchung durchgeführt. Man hat das Blut von Menschen aus der ganzen Wallonie untersucht. Da wurden Rückstände von allerlei Giftstoffen nachgewiesen. "Auch", und das ist doch bemerkenswert, "auch Umweltgifte, die seit Jahrzehnten verboten sind", präzisiert La Libre Belgique.
"Wollen wir noch länger akzeptieren, dass wir vergiftet werden?", fragt sich wütend L'Avenir. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat unser Gesundheitsbewusstsein nochmal angeschärft. Entsprechend besorgt sind jedenfalls die Reaktionen auf die Feststellung, dass sogar noch im Blut von jungen Menschen Pestizide und Giftstoffe nachgewiesen werden, die schon seit über 40 Jahre nicht mehr auf dem Markt sind. In einer Gesellschaft wie der unsrigen sollte doch eigentlich Nullrisiko die Norm sein. Dass sich immer noch Rückstände dieser Gifte in unsere Körper einschleichen können, das ist schlicht und einfach nicht akzeptabel.
Roger Pint