"Afghanistan - vier Flugzeuge der Landesverteidigung am Freitag in Kabul, 17 Belgier bereits repatriiert", titelt L'Avenir. "Aus 140 zu evakuierenden Belgiern sind plötzlich 470 geworden", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Belgien von Hilfsanfragen aus Kabul überwältigt", fasst De Standaard die schwierige Situation rund um die Evakuierungen nach dem Fall der afghanischen Hauptstadt zusammen.
Am Freitag soll das erste belgische Flugzeug auf dem Flughafen in Kabul landen. Und das ist keinen Tag zu früh, kommentiert Het Belang van Limburg. Jetzt, da die Taliban das Land im Rekordtempo überrannt haben, ist es unsere verdammte Pflicht, den Menschen einen Ausweg zu bieten, die in Afghanistan zwanzig Jahre lang für uns und mit uns gearbeitet haben: die Übersetzer, die Helfer, die Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisationen und all die anderen.
Wenn die Taliban die Maske fallen lassen, mit der sie im Moment noch versuchen, die Welt zu beruhigen, dann kann diesen Menschen in Afghanistan wegen ihrer westlichen Verbindungen der Tod drohen. Niemand will sich hinterher vorwerfen müssen, nicht alles Menschenmögliche getan zu haben, um ihnen so ein Schicksal zu ersparen, so Het Belang van Limburg.
Aus Ruanda lernen
Für De Morgen hat Belgien nicht nur aufgrund seines langjährigen Engagements in Afghanistan eine moralische Verpflichtung, jetzt alle Hebel in Bewegung zu setzen: Belgien muss um jeden Preis eine Wiederholung einer tragischen Episode des Völkermords 1994 in Ruanda verhindern: Damals waren belgische Soldaten aus einem Flüchtlingslager in Kigali abgezogen worden, um ausschließlich Belgier über den lokalen Flughafen zu evakuieren.
Die Folge: 2.000 im Stich gelassene Ruander wurden durch Milizen ermordet. Deshalb müssen die belgischen Militärs für Kabul ein möglichst breites Mandat bekommen, um bei Bedarf eingreifen zu können. Die Möglichkeit, außerhalb des Kabuler Flughafens festsitzende Menschen retten zu können, muss zumindest in der Hinterhand gehalten werden.
Und die Soldaten müssen ausreichend ausgerüstet und unterstützt werden. Ihre Sicherheit muss höchste Priorität haben, um Dramen wie die Ermordung der zehn belgischen Paras in Ruanda auszuschließen. Außerdem müssen auch alternative Fluchtwege wie etwa über die Landgrenzen zu den Nachbarländern vorgesehen werden, fordert De Morgen.
Unangenehme Fragen müssen erlaubt sein
Natürlich sind diese Operationen jetzt riskant und schwierig, räumt derweil Het Laatste Nieuws ein. Aber das ist sicher kein Grund, keine unangenehmen Fragen stellen zu dürfen. Etwa, was passieren soll, wenn die Evakuierung unserer Bürger und der afghanischen Ortskräfte misslingt. Heben die belgischen Maschinen dann einfach aus Kabul ab, um nie wieder zurückzukehren? Und waren die Belgier nicht wirklich zu langsam?
Die Niederländer und Franzosen haben jedenfalls schon Evakuierungsflüge aus Kabul hinbekommen. Hätten wir unsere Übersetzer und Helfer nicht vor der Implosion des Landes aus Afghanistan rausbringen können? Oder war das ein innenpolitisch zu heißes Eisen?, fragt Het Laatste Nieuws.
Auch Het Nieuwsblad greift die Geschwindigkeit der belgischen Operation auf: Die anderen Länder, die Menschen aus Kabul evakuieren, haben schließlich mit den gleichen militärischen, politischen und technischen Problemen zu kämpfen. Trotzdem haben viele von ihnen bereits Menschen ausgeflogen. Egal, wie hoffnungslos die Situation in Afghanistan jetzt auch ist, das hätte nicht so kommen müssen! Nämlich dann, wenn nicht alle offenbar geschlafen hätten und die Regierung nicht so unter Druck gestanden hätte wegen der zwangsweisen Rückführung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan, ist Het Nieuwsblad überzeugt.
Der "Fallout der Afghanistan-Bombe"
De Tijd blickt über die Zeit der Evakuierungen hinaus. Wenn im Ausland etwas so schiefgeht wie jetzt mit Afghanistan, dann kann uns das auf zweierlei Weise betreffen: über Terror und über Flüchtlingsströme, die zu politischer Panik führen. Gerade Letzteres droht zu einer existenziellen Frage zu werden: Kann die Europäische Union, die ihre Migrationspolitik noch immer nicht auf die Reihe bekommen hat, eine Flüchtlingskrise überstehen? Und inwiefern kann das am Vorabend der Wahlen in Deutschland und Frankreich zu politischer Instabilität führen?
Hinzu kommt das Problem, dass sich die Demokratie weltweit auf dem Rückzug befindet. All das bedeutet, dass nach dem Fall Kabuls mehr denn je unbequeme geopolitische Fragen auf uns zukommen werden. Fragen, auf die es nur schlechte Antworten gibt, prophezeit De Tijd.
Auch De Standaard befasst sich mit dem "Fallout der Afghanistan-Bombe": Es ist ja schon schlimm genug, dass sich die strategischen Konkurrenten der Vereinigten Staaten angesichts des Fiaskos die Hände reiben. Aber dass US-Präsident Biden gehandelt hat, ohne seine Bündnisgenossen in Europa und anderswo wirklich miteinzubeziehen, das hat die NATO und die EU zutiefst erschüttert. Auf einmal wird überdeutlich, wie furchtbar eine Welt aussehen kann, in der es keine Sicherheiten mehr gibt. Auch ohne Trump gilt in Washington weiter "America First".
Zögern und Trödeln ist keine Option mehr für die amerikanischen Verbündeten in Europa: Sie müssen eine größere Rolle spielen in puncto Schutz und Sicherheit. Das Problem ist aber, dass sie nach Jahrzehnten unter dem amerikanischen Schutzschirm nicht wissen, wie sie mit der neuen Wirklichkeit umgehen sollen. Und die Gefahr ist, dass die Gegner der USA und des Westens dieses politische und moralische Vakuum ausnutzen könnten, um ihren Einfluss auszuweiten. Oder noch schlimmer, um sich neue Gebiete anzueignen, so die düstere Prognose von De Standaard.
Boris Schmidt
Wenn Lukaschenko die Grenzen öffnet und vermehrt Flüchtlinge nach Osteuropa kommen, werden auch Länder wie Polen schnell einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik zustimmen. Die haben dann das gleiche Problem wie die Südeuropäer. So funktioniert eben die EU. Ein gemeinsames Problem vereint.