"Vormarsch der Taliban ist nicht aufzuhalten", so die fast gleichlautenden großen Aufmacher bei Gazet van Antwerpen und De Standaard. "Belgien setzt Abschiebungen nach Afghanistan noch nicht aus – Grüne fordern Stopp von Zwangsrückführungen", titelt das GrenzEcho zu den innenpolitischen Folgen der sich schnell verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan. "Auch innerhalb der Regierung wächst der Druck auf Asylstaatssekretär Mahdi – während die Taliban vorrücken, kritisieren PS, Ecolo und Groen die Abschiebepolitik scharf", fasst De Morgen auf Seite eins zusammen.
90 Tage – so schnell könnten die Taliban laut US-Geheimdiensten die afghanische Hauptstadt Kabul überrennen und dort ihr Terrorregime installieren, erinnert De Morgen. Auch belgische Soldaten waren über viele lange Jahre vor Ort, wo sie auch das Leben der afghanischen Bevölkerung verbessert haben. Zumindest wurde die Politik nicht müde, das immer wieder zu betonen. Jetzt, da sich das Land vor unseren Augen aufzulösen scheint, ist es dann besonders zynisch und widersprüchlich, dass die Vivaldi-Regierung abgelehnte afghanische Asylbewerber weiter abschieben will. Die Niederlande und Deutschland haben diesbezüglich bereits eine Kehrtwende hingelegt. Die grünen Regierungsparteien fordern jetzt das Gleiche von CD&V-Asylstaatssekretär Sammy Mahdi. Der will sich aber nicht bewegen und verweist auf die Zuständigkeit des Generalkommissariats für Flüchtlinge und Staatenlose. Dabei geht es doch gerade mal um eine Handvoll Afghanen, die jedes Jahr zwangsweise zurück in ihre Heimat gebracht werden. Es ist überdeutlich, dass Mahdi bang ist vor einer Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015 und er jeglichen "Ansaugeffekt" verhindern will. Aber darüber sollte er nicht vergessen, dass Asylpolitik auch gerecht und menschlich bleiben muss, kritisiert De Morgen.
Voraussicht, Demut und Anpassung
Le Soir kommt auf die Hochwasserkatastrophe zurück: Die Verwüstungen, die Schicksale der Opfer, die Umweltschäden, die finanzielle Belastung – all das muss dazu führen, dass wir die Zukunft überdenken. Ob man nun den Klimawandel mit den extremen Wetterphänomenen in Verbindung bringen will oder nicht - es ist laut den Statistiken sicher, dass sich solche Vorfälle wiederholen werden. Wir werden also lernen müssen, damit zu leben. Das gilt sowohl für die jetzt betroffenen Regionen bei uns als auch für fast den gesamten Planeten. Das bedeutet, dass wir Lösungen finden müssen, die an die angekündigten Veränderungen angepasst sind. Voraussicht und Demut sind geboten im Umgang mit der Natur. Daran haben uns die Fluten erinnert, so Le Soir.
Mit den versicherungstechnischen Implikationen der schweren Überschwemmungen befasst sich L'Echo in seinem Leitartikel: Das Wesen von Risiken wie Naturkatastrophen und vergleichbaren Ereignissen verändert sich ständig. Der finanzielle Abgrund, der sich jetzt durch die Begleichung der entstandenen Schäden vor uns auftut, zeigt schmerzhaft, dass wir nicht auf solche Geschehnisse vorbereitet sind. Und das gefährdet auch die Fundamente der Versicherungsgesellschaften und das Prinzip der kollektiven Risikoübernahme. Und damit letztlich auch die Fundamente unserer solidarischen Gesellschaften. Deswegen muss auch der entsprechende gesetzliche Rahmen unbedingt angepasst werden, fordert L'Echo.
Ein "Ticket" mit Polemik-Potenzial
L'Avenir greift das sogenannte "Covid-Safe-Ticket" auf, das ab heute für Großveranstaltungen in Belgien eingesetzt werden kann: Feiern ohne Mundschutzmasken und ohne Mindestabstände – selbst wenn man natürlich mit dem Ausmaß seiner Kontakte und seinem Verhalten vorsichtig bleiben sollte, ist das doch eine gute Nachricht, meint die Zeitung. Es ist aber auch ein heikles Thema mit Polemik-Potenzial. Was den Schutz der Privatsphäre betrifft, ist hier eigentlich aber nichts auszusetzen. Und während manche hier wieder einen Angriff auf die individuellen Freiheiten wittern, so gibt es doch auch das Recht der anderen auf einen Schutz vor dem unsichtbaren Virus, erinnert L'Avenir.
Wie soll es weitergehen?
Trotz des beeindruckenden Impffortschritts sind noch immer vier Millionen Belgier nicht durch Impfung vor dem Coronavirus geschützt, kommentiert derweil Gazet van Antwerpen. Ein reichlich gedeckter Tisch für die gefürchtete Delta-Variante. Und wenn das Wetter wieder kälter wird, wir uns wieder mehr drinnen aufhalten, die Schule wieder losgeht, wir wieder zur Arbeit pendeln und auch die Einschränkungen noch weiter abgebaut werden, dann kann es vielleicht doch wieder eng werden für unser Gesundheitssystem. Der flämische Ministerpräsident Jan Jambon will beim nächsten Konzertierungsausschuss das Ende der föderalen Phase des Corona-Krisenmanagements fordern. Aber sind wir jetzt wirklich schon in einer Phase, in der jeder für sich agieren sollte? Oder wäre es nicht doch besser, noch weiter gemeinsam zu agieren zum Wohl des Gesundheitssystems und unserer Gesellschaft?, fragt Gazet van Antwerpen.
La Dernière Heure kommt auf die Debatte über eine Impfpflicht zurück: Die allermeisten noch Ungeimpften hierzulande sind Impfverweigerer, betont das Blatt. Das ist natürlich ihr Recht. Aber die Freiheit der einen hört auf, wo die der anderen beginnt. Und es ist schwer zu vermitteln, warum wir erneut Einschränkungen hinnehmen sollten, nur weil bestimmte Menschen die Impfung verweigern. Mittlerweile haben 80 Prozent der Menschen hier ihre zweite Dosis erhalten – und das ist etwas, worauf wir stolz sein können. Aber es darf einfach nicht sein, dass der Rest uns in eine neue Pandemiewelle stürzt oder eine neue Verschärfung der Schutzmaßregeln verursacht, wettert La Dernière Heure.
Boris Schmidt