"Stolz auch Euch!", würdigt La Dernière Heure die belgischen Olympia-Athleten. "Mit sieben Medaillen zurück aus Tokio – Team Belgium schneidet besser als in Rio de Janeiro ab", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Erfolgreichste belgische Spiele in 70 Jahren", so die Bilanz von De Morgen nach den am Sonntag offiziell zu Ende gegangenen Olympischen Spielen.
Mit dem besten olympischen Ergebnis seit 1924 kann Belgien nur zufrieden auf die Spiele in Tokio zurückblicken, findet De Standaard. Die Siege sind kollektiv gefeiert worden, als Land haben wir es gefühlt gut gemacht. Und wenn man die Medaillenausbeute als Maß für das Prestige eines Landes nimmt, dann stehen wir wirklich nicht so schlecht da. Die Erfolge haben auch bewiesen, warum es so wichtig ist, dass der Staat sich für einen leistungsorientierten Sport einsetzt. Denn olympische Erfolge haben einen wichtigen gesellschaftlichen Mehrwert: Die Ausdauer der Sportler ist inspirierend, die Exzellenzkultur kann als Vorbild dienen und Menschen anspornen, mehr Dinge in Bewegung zu setzen, die Olympischen Spiele haben also ihren ideologischen Zweck erfüllt. Wir dürfen die Augen aber auch nicht vor den Kehrseiten verschließen: zum Beispiel dem immensen Druck und dessen Auswirkungen auf die Athleten oder die Instrumentalisierung der Spiele und Wettbewerbe durch autoritäre Regime. Ja, Leistungskultur muss weiter als Quelle der Inspiration dienen, aber sie darf nie in ungesunde Exzesse umschlagen, warnt De Standaard.
Nicht länger verstecken
Le Soir hebt neben dem unbestritten hohen sportlichen Niveau weitere positive Elemente der Olympischen Spiele hervor: mit einem fast gleich großen Anteil von männlichen und weiblichen Athleten ist praktisch die Inklusion, die gleichberechtigte Teilhabe, erreicht worden. Die sportliche Ethik ist respektiert worden, es ist viel über die mentale Gesundheit der Sportler gesprochen worden. Außerdem hat erstmals eine Transgender-Athletin an den Wettkämpfen teilgenommen, die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft sind zur Sprache gekommen und die belarussische Sprinterin Kristina Timanowskaja hat daran erinnert, dass Medaillen nicht da sind, um auf Teufel komm raus national instrumentalisiert zu werden, so Le Soir.
L'Avenir stellt am Beispiel von Nafissatou Thiam den Druck und das seelische Leiden zumindest mancher Spitzensportler in den Mittelpunkt seines Leitartikels: Dass diese erste belgische Athletin, die es geschafft hat, ihren Olympia-Titel zu verteidigen, offen über ihr psychologisches Leiden gesprochen hat, muss zum Nachdenken anregen. Dieser anscheinend untrennbar mit dem Hochleistungssport verbundene Aspekt darf nicht länger versteckt werden unter dem Vorwand, dass Elitesportler eben auch die Mentalität von Champions brauchen. Wir müssen sie als menschliche Wesen sehen, mit ihren Verletzlichkeiten und mit ihren persönlichen Erfahrungen. Deswegen kann man nur hoffen, dass die Äußerungen Thiams nachwirken und zu einem größeren Interesse an der geistigen Gesundheit der Sportler führen werden sowie zu entsprechenden vorbeugenden Maßnahmen. Denn das wäre im Interesse aller, besonders der Athleten selbst, aber auch jener, die sich an ihren Erfolgen erfreuen, mahnt L'Avenir.
Was sind die prioritären Aufgaben eines Staates?
Het Laatste Nieuws nimmt Forderungen nach mehr Mitteln für den belgischen Spitzensport als Aufhänger, um auf ein ganz anderes Thema zu blicken: Natürlich ist es etwas unaufrichtig, solche Forderungen schlecht zu machen, indem man etwa darauf verweist, dass in den belgischen Überschwemmungsgebieten Menschen alles verloren haben und teilweise noch immer unter unwürdigen Bedingungen hausen müssen und dass sie das Geld sicher mehr brauchen könnten als irgendwelche Sportler. Aber wir sollten uns vielleicht trotzdem die Frage stellen, ob wir über die jeweilige Top-Unterhaltung des Tages nicht manchmal die Kernaufgaben des Staates aus den Augen zu verlieren drohen? Kernaufgaben, wie die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten, Erkrankten eine angemessene Versorgung zu bieten, denen zu helfen, die Hilfe benötigen oder auch allen jungen Menschen Zugang zu einer hochwertigen Bildung zu garantieren? Das ist doch das, was jeder Debatte über die Struktur unseres Staates zugrunde liegen muss: Welche Aufgaben des Staates sollten tatsächlich Priorität haben? Schon viel zu lange ist die Struktur unseres Landes von Dogmen und Symbolen geprägt. Statt darüber zu diskutieren, ob es nun in Zukunft mehr oder weniger Belgien sein soll oder darüber, welche Ebene des Landes welchen Nutzen hat, muss es um etwas anderes gehen: Darum, wie wir den effizientesten Staat schaffen können, der am effizientesten mit unseren Steuergeldern umgeht, fordert Het Laatste Nieuws.
Das Problem sitzt tiefer
Die teils beschämenden Zustände auch vier Wochen nach dem Hochwasser und ihre Ursachen kommentiert auch Het Nieuwsblad: Die Entschuldigungen für eine Situation, die wir vielleicht von Entwicklungsländern, aber sicher nicht im Herzen Westeuropas gewohnt sind, überzeugen nicht mehr. Und das Problem sitzt wesentlich tiefer als Flutopfer, die noch immer auf Freiwillige und spontane Hilfe angewiesen sind: Das Hochwasser hat systemische Fehler noch einmal betont, die schon die Corona-Krise bloßgelegt hatte: Sobald es in Belgien zu einer größeren Katastrophe kommt, kommt das ganze System ins Stocken. Durch die vollkommen zersplitterten Zuständigkeiten warten die Verantwortlichen immer darauf, dass andere etwas unternehmen. Dabei wäre Beistand in der Not statt Zuständigkeiten-Gerangel doch eigentlich die wichtigste Aufgabe des Staates. Da darf es uns dann auch nicht wundern, wenn die Menschen sich wütend und machtlos fühlen, giftet Het Nieuwsblad.
Boris Schmidt