"Jetzt schon 31 Tote und 163 Vermisste", titelt Het Laatste Nieuws. "Und es ist die schwierigste Suchaktion aller Zeiten", schreiben Gazet van Antwerpen und Het Nieuwsblad. Denn: Das Suchgebiet ist riesig. Und überall lauern noch Gefahren. Das Wasser hat sich längst noch nicht aus allen Bereichen zurückgezogen. Und viele Häuser sind baufällig - hier können sich auch die Retter in Gefahr bringen.
"Eine traurige Szenerie - aber eine phänomenale Solidarität", titelt L'Avenir. "Nach dem Drama: Eine Welle der gegenseitigen Hilfe", so die Schlagzeile von La Dernière Heure. "Belgien krempelt die Ärmel hoch", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. "Die Stunde der Solidarität", schreibt Le Soir. Auf all diesen Titelseiten sieht man Menschen, die mit Stiefeln und Abziehern bewaffnet sind und die Gebäude von Schlamm befreien.
Ein Nebeneinander von Niederträchtigkeit und Menschlichkeit
Diese Solidarität ist herzerwärmend, meint Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Zahllose Menschen im Katastrophengebiet haben alles verloren, viele von ihnen sogar Angehörige oder Freunde. Und die Zahl der Todesopfer kann noch steigen. In solch schmerzlichen Momenten ist es rührend zu sehen, wie groß die Solidarität ist. Viele Menschen haben sich - ohne zu zögern - ins Katastrophengebiet aufgemacht, um den Betroffenen zu helfen. Aus dem Nichts werden Spendenaktionen ins Leben gerufen, werden tonnenweise Hilfsgüter in die getroffenen Ortschaften geschickt. Diese menschliche Wärme tut gut. Statt gleich wieder mit dem Finger auf die Behörden zu zeigen, werden sich erstmal die Ärmel hochgekrempelt.
Das GrenzEcho sieht das genauso. Nach der Flutwelle kommt die Welle der Solidarität. Das, was die Wassermassen zurückgelassen haben, liegt zum größten Teil zerstört unter einer dicken Schlammschicht. Jetzt gilt es anzupacken. Und es sind tausende Hände, die diese mühsame und äußerst anstrengende, und zum Teil gar gefährliche Arbeit verrichten. Bei weitem nicht nur die helfenden Hände der Familien und Unternehmen, die betroffen waren. Es sind Nachbarn, Freunde, die Familie, Kunden, hilfsbereite Menschen, die manchmal sogar von weit hergekommen sind, um mit anzupacken. Auch wenn manchem Opfer angesichts der Bilder nur zum Heulen zumute ist, weckt diese Solidarität doch Hoffnung. Man ist wenigstens mit seinem Schmerz und seinem Verlust nicht allein gelassen.
"Es gibt die Würde der einen, aber auch die Erbärmlichkeit der anderen", beklagt aber La Dernière Heure. Es gibt diejenigen, die mit anpacken. Und die mit ihrem Engagement den von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen Mut machen. Doch gleichzeitig lässt auch diese Krise wieder in menschliche Abgründe blicken. Etwa angesichts der Plünderungen in überschwemmten Supermärkten. Allein aus Gründen der Höflichkeit hält man sich da noch mit Kraftausdrücken zurück. Gleiches gilt für die Katastrophentouristen, die manchmal sogar die Rettungskräfte und die Anwohner bei ihren Aufräumarbeiten behindern. Und es gibt sogar Leute, die nicht zögern, ihren Sperrmüll in die betroffenen Gebiete zu bringen, damit er dort abgeholt wird. Ein Nebeneinander von Niederträchtigkeit und Menschlichkeit.
"Solidarität der zwei Geschwindigkeiten"
L'Avenir stellt seinerseits eine "Solidarität der zwei Geschwindigkeiten" fest. Auf der einen Seite wird einem natürlich warm ums Herz, wenn man die tolle Solidarität sieht, die da in den letzten Tagen in Gang gekommen ist. Aber, was ist mit den Hungerstreikenden in Brüssel, die ein Bleiberecht in Belgien fordern? Diese 475 Menschen werden praktisch ihrem Schicksal überlassen; viele von ihnen sind inzwischen dem Tode nah. Der eine oder andere wird jetzt sagen, dass man das eine mit dem anderen nicht vergleichen kann. Ist das so? In beiden Fällen sollte es doch eigentlich um Menschlichkeit gehen. Die Hungerstreikenden haben aber offensichtlich kein Recht darauf.
Le Soir kann seinerseits nur feststellen, dass die Politik sich zunehmend taktisch verhält und das sorgt mitunter für Realitätsverweigerung und geht in jedem Fall auf Kosten der Nuancen. Wir haben das schon während der Pandemie gesehen, als Parteien Lockerungen forderten in einer Phase, in der das einfach nicht möglich war. Da ging es allein darum, die eigene Klientel zu bedienen - im Zweifel gegen das Allgemeinwohl. Und ähnliche Reflexe kann man jetzt auch wieder erkennen. Der eine oder andere hegt laute Zweifel an einem klaren Zusammenhang zwischen dieser Katastrophe und dem Klimawandel. Diese rein politisch motivierte Polemik sorgt allein dafür, dass sich die nötigen Entscheidungen verzögern. Politik sollte die Menschen schützen, nicht die Parteien.
Die Klimadebatte muss anfangen!
"Kann die Klimadebatte jetzt bitte endlich anfangen?", fordert aber ungeduldig Het Laatste Nieuws. Und bitte keine Zeit mehr verschwenden mit der Frage, ob der Klimawandel nun eine Tatsache ist oder nicht. Für 999 gegen einen Wissenschaftler steht das unumstößlich fest. Diskutiert werden muss eigentlich nur noch über die Frage, wer den Preis bezahlen muss, um die Klimastörung unter Kontrolle zu bekommen. Dabei kann man nur feststellen, dass reiche Regionen hier wesentlich verkrampfter reagieren als arme. Klar: Sie verfügen über mehr Industrie; und wohlhabende Bürger brauchen mehr Energie. Dennoch ist es selbstredend, dass diese Regionen mehr zum Klimaschutz beitragen müssen. Und das gilt auch für Flandern. Nur steht man dort nach wie vor auf der Bremse. Wenn die flämische Wirtschaft wirklich so innovativ ist, wie immer behauptet wird, dann kann die Region an dieser Herausforderung eigentlich nur wachsen. Schluss mit geschwollenen Worten! Jetzt sind mutige Entscheidungen gefragt.
"Der Tag wird kommen, an dem diese Katastrophe aufgearbeitet werden muss", mahnt ihrerseits La Libre Belgique. Noch haben natürlich die Aufräumarbeiten im Krisengebiet absolute Priorität. Irgendwann wird man aber die Lehren aus dem Desaster ziehen müssen. Und man wird auch städtebauliche Konsequenzen ziehen müssen. Dass wir unsere Welt in den letzten Jahrzehnten zubetoniert haben, das gilt nämlich auch als eine der Ursachen für die Katastrophe. Wegen des Klimawandels werden sich solche Wetterkapriolen häufen. Wir können einen solchen Preis nicht nochmal bezahlen.
Erhebliche Folgen für Deutschland… und Europa?
De Standaard schließlich richtet den Blick auf die benachbarte Bundesrepublik Deutschland. Dort wird die Katastrophe womöglich viel direktere politische Auswirkungen haben. Der Grund: In Deutschland wird in zwei Monaten gewählt. Eine Naturkatastrophe kann in einer solchen Phase für einen Kandidaten zum Schlüsselmoment werden. Dann sehen die Wähler viel eher noch, wem sie ihr Vertrauen schenken wollen.
In Deutschland tapsen die Kandidaten aber von einem Fettnäpfchen ins nächste. Wie CDU-Chef Armin Laschet, der dabei erwischt wurde, wie er sich im Katastrophengebiet schlapp lachte. Das kann ihm teuer zu stehen kommen. Wie auch immer die Wahl in Deutschland ausgeht, die Folgen können erheblich sein. Für Deutschland, aber auch für Europa.
Roger Pint