"Ein großer Konzertierungsausschuss, um den Sommer der Belgier zu skizzieren", kündigt La Libre Belgique auf Seite eins an. "Horeca, zurück ins Büro, größere Kontaktblase, Veranstaltungen – der Konzertierungsausschuss der Freiheit", titelt La Dernière Heure. "Die Lockerungen folgen einander im Eiltempo – geht das zu schnell?", fragt De Standaard.
Eigentlich müsste der heutige Konzertierungsausschuss ja ein Zuckerschlecken werden, kommentiert Het Nieuwsblad. Abgesehen von Details scheinen sich alle relevanten politisch Verantwortlichen einig zu sein, wie der Weg zurück zur Freiheit aussehen soll. Das hat ja sonst Seltenheitswert. Und es ist auch ungewöhnlich, weil die Coronazahlen gar nicht so gut sind.
Irgendwann musste aber der Tag kommen, an dem die Virologen beiseite geschoben würden. Das ist passiert, als die Terrassen wieder geöffnet wurden. Und mit dem Karussell, das heute wohl in Gang gesetzt werden wird, wird das ganz sicher auch so sein. Die Experten warnen, dass es zu früh für weitere Lockerungen ist. Zu früh, weil die Lockerungen die positiven Auswirkungen der fortschreitenden Impfkampagne beiseite fegen werden. Zu früh wegen der Virus-Varianten.
Es ist nun mal die Aufgabe der Virologen, immer zu warnen. Aber es ist die Aufgabe der Politik, Entscheidungen zu fällen. Mathematisch haben die Experten ja recht, wenn sie erklären, dass ein Monat länger impfen gut wäre. Aber der Sturmlauf auf die Terrassen hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass die Bevölkerung Lockerungen will.
Die Geduld ist erschöpft. Genauso wie die Vorsicht. Dieser schnelle Weg in die Freiheit ist nicht ohne Risiken. Und man kann nur hoffen, dass die Experten nicht Recht behalten werden, so Het Nieuwsblad.
Die Große Show der guten Nachrichten?
Das Ende der Ausgangssperre, die Wiederöffnung der Terrassen, die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts in den Schulen, Versprechungen von ganz oben, dass es ein schöner Sommer werden wird und dass bis Oktober alles wieder normal werden soll – die letzten Tage scheinen fast schon als Tage des Sieges über das Coronavirus in die Geschichte eingehen zu können, stellt Het Belang van Limburg fest.
Und der Druck, die Türen zu Freiheit endlich aufzustoßen, wird noch dadurch erhöht, dass einer von drei erwachsenen Belgiern mittlerweile geimpft worden ist. In diesem Freudenrausch der Befreiung scheinen wir die Augen verschließen zu wollen vor den diversen Entgleisungen des letzten Wochenendes. Und ja, die Coronazahlen sinken. Aber sie liegen noch immer viel zu hoch. Außerdem rückt auch die indische Variante inzwischen in Belgien vor.
Und trotzdem kündigt sich der heutige Konzertierungsausschuss als die Große Show der guten Nachrichten an. Die Politiker überbieten sich geradezu mit Perspektiven. Hoffen wir, dass der Übermut nicht die Oberhand gewinnt über den Realitätssinn. Denn der vierte Lockdown ist genauso weit weg wie die mögliche Rückkehr zu unserem alten Leben, warnt Het Belang van Limburg.
Das Spiel ist noch nicht vorbei
Den offensichtlichen Siegestaumel betrachtet auch De Tijd mit Sorge: Jeder will an das gleiche Ziel gelangen. Aber es besteht die Gefahr, dass die Tore zum "Reich der Freiheit" wieder zuknallen, wenn die Ungeduld zu groß wird. Neben den Fragezeichen zur indischen Variante ist auch noch völlig unklar, welche Auswirkungen die deutlich verstärkten Kontakte in den Schulen, in den Einkaufsstraßen und auf den Terrassen haben werden.
Aber wie behält man in so einer Situation die Kontrolle? Zunächst einmal, indem man die große Lehre aus der Coronakrise berücksichtigt: schnell reagieren, eine stramme Führung, eine konsistente Anwendung der Maßnahmen und vor allem keine politische Polarisierung. Das ist nicht einfach, aber nötig.
Außerdem müssen Lockerungen an Bedingungen geknüpft werden und müssen die kollektiven Emotionen über Lockerungen in geordnete Bahnen gelenkt werden. Und schließlich darf man eines nie aus den Augen verlieren: Wir sind auf dem Weg zum Sieg, aber das Spiel ist noch nicht vorbei, mahnt De Tijd.
Heute ist Konzertierungsausschuss – und nicht die Wahl zum "Minister der Freiheit", giftet derweil Het Laatste Nieuws. So wie früher vielleicht als Kinder werden wir gerade mit hübsch verpackten Geschenken überhäuft. Und genau wie Kinder interessiert es die meisten Menschen wenig, wer der Schenkende ist und wie schön das Päckchen von außen aussieht. Es geht nur um den Inhalt.
Oft genug haben wir in der Vergangenheit Perspektiven gefordert. Aber die ganze Kommunikationsflut der letzten Tage sind nichts anderes als politische Spielchen. Keine Partei will den Bonus liegenlassen, das Land aus der Krise geführt zu haben. Und das bringt Gefahren mit sich. Nach anderthalb Jahren Erfahrung mit Corona und Lockdowns weiß selbst der letzte Experte, dass man den Fuß langsam von der Bremse nehmen muss. Aber in ihrem Profilierungsdrang droht die Vorsicht bei den Parteien in den Hintergrund zu rücken. Am Ende wird nicht derjenige "Minister der Freiheit" werden, der die Freiheit am lautesten angekündigt hat. Sondern derjenige, der sie auch tatsächlich gebracht hat, erinnert Het Laatste Nieuws.
Da braucht es fast schon ein Wunder
Le Soir greift den europäischen "Corona-Pass" auf: Bis zum Sommer soll der fertig sein – und heute ist schon der 11. Mai. Und je näher der Sommer und die Ferien rücken, desto größer wird der Druck. Nicht nur von den Menschen, die endlich wieder reisen wollen. Sondern auch von den Ländern, die wirtschaftlich auf den Tourismus angewiesen sind.
Angesichts der zahlreichen ungeklärten Probleme und des ewigen Kompetenzgerangels wird das keine leichte Aufgabe werden für Europa. Um nicht zu sagen: Da braucht es fast schon ein Wunder. Aber es sollte der Kommission bewusst sein, dass ein Versagen für die Menschen der soundsovielte Beweis für die angebliche Nutzlosigkeit der Europäischen Union wäre, befürchtet Le Soir.
Boris Schmidt