"Ein totaler Lockdown ist kein Tabu mehr", titelt Het Nieuwsblad. "Der Ruf nach einem harten Lockdown wird lauter", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Sind wir auf dem Weg hin zu einem harten Lockdown?", fragt sich De Morgen auf Seite eins.
Die Corona-Zahlen steigen unaufhörlich. Und die tonangebenden Gesundheitsexperten werden extrem nervös. "Wissenschaftler stellen kurzen, harten Lockdown zur Diskussion", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Sie wollen einen harten Lockdown", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen; und zu sehen sind die wirklich bekanntesten Gesundheitsexperten: Steven Van Gucht, Marc Van Ranst, Erika Vlieghe und Herman Goossens, um nur die wichtigsten zu nennen. "Die Gesundheitsexperten sagen 'Ja' zu einem Lockdown", schreibt auch sinngemäß Het Laatste Nieuws und die Zeitung fügt in Form einer dicken Schlagzeile hinzu: "Jetzt liegt es an der Politik".
"Doch die Politiker zögern", bemerkt Het Belang van Limburg. Wie mehrere Zeitungen berichten, sei es aber sehr wahrscheinlich, dass der eigentlich für Freitag anberaumte Konzertierungsausschuss vorgezogen wird.
Trotz der schlechten Lage herrscht Uneinigkeit unter den Politikern
Trotz der besorgniserregenden Lage erleben wir gerade eine selten gesehene Kakophonie, beklagt Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Jeder predigt nur noch für die eigene Kapelle. Zum Beispiel die Unterrichtsminister, allen voran der flämische Ressortchef Ben Weyts. Der hatte sogar gedroht, dass Flandern notfalls die Lehrer selbst impfen würde, wenn sich der Föderalstaat weigert, die Impfstrategie entsprechend anzupassen. Dass sein Kollege, der CD&V-Gesundheitsminister Wouter Beke, diesen Plan eigentlich eher ablehnt, das ist offensichtlich nebensächlich. Die heiße Kartoffel wird nur noch herumgereicht. Jeder zeigt nur noch mit dem Finger auf den jeweils anderen, fordert ihn auf, erstmal vor der eigenen Türe zu kehren. Nun, wie wäre es, wenn wir jetzt mal alle anfangen würden zu kehren?
De Morgen sieht das ähnlich. Der Vorstoß der Unterrichtsminister und insbesondere von Ben Weyts bringt uns keinen Schritt weiter. Keinen Millimeter. Davon abgesehen: Das gilt auch für den Konzertierungsausschuss vom vergangenen Freitag. Da wurde ja entschieden, die für April vorgesehenen Lockerungen zunächst auszusetzen. Nur inwieweit soll uns das helfen, die jetzt steigenden Zahlen unter Kontrolle zu bekommen? Diese Entscheidung ist eigentlich keinen Pfifferling wert. Worauf warten wir noch? Etwa auf die Unternehmen, auf dass sie dann doch endlich wieder die Homeoffice-Pflicht durchsetzen? Auch da werden wir wohl vergebens warten. Es wird Zeit, dass die Politik der Realität ins Auge blickt: Wir haben keine Wahl mehr! Es muss drastisch eingegriffen werden! Und zwar jetzt!
"Belgien ist nicht im Auge des Corona-Zyklons!"
"Genug!", meint auch wütend Het Belang van Limburg. Auch nach einem Jahr scheint es immer noch Leute zu geben, die den Ernst dieser sanitären Krise nicht erkennen wollen. Man sieht immer mehr spontane Zusammenkünfte; und die Unternehmen setzen sich dreist über die Homeoffice-Pflicht hinweg. Da bleibt nur noch eins: Der Staat muss hart durchgreifen!
"Oder glauben wir immer noch, dass wir uns derzeit nur im Auge des 'Corona-Zyklons' befinden?", fragt herausfordernd Le Soir. Glauben wir immer noch, dass der Sturm nur anderswo wütet, und dass wir in Belgien davon verschont bleiben? Dieser Eindruck wurde jedenfalls am vergangenen Freitag vermittelt. Während überall um uns herum die Länder ihre Maßnahmen verschärfen, ziert man sich in Belgien. Jeder hat nur noch den eigenen Kirchturm im Blick. Die Schulen schließen? "Kommt nicht infrage!" Die Frisörsalons oder die Einkaufszentren zu machen? "Denkt gar nicht erst drüber nach!" Kommt uns das alles nicht irgendwie bekannt vor? Auch im vergangenen Oktober zögerte die Politik; sogar noch dann, als die Intensivstationen schon anfingen vollzulaufen. Damals sind wir vielleicht noch blind in die Katastrophe gestolpert, jetzt passiert das sehenden Auges. Da gibt es nur noch eins: Schluss mit dem Feilschen und dem Abwägen, dann muss man eben alles wieder dichtmachen.
Für De Standaard ist das alles ein böses Omen. Der Gottesfrieden neigt sich dem Ende zu, meint das Blatt. Als Premierminister Alexander De Croo die Unterrichtsminister herrisch anwies, jetzt mal ihre Hausaufgaben zu machen, haben das wohl einige in den falschen Hals bekommen. Mit dem Resultat, dass die Unterrichtsminister in bemerkenswerter Einigkeit mal eben nur ein symbolisches Maßnahmenpaket vorgelegt haben. Der Führungsanspruch der föderalen Ebene wird immer mehr infrage gestellt. Parallel dazu ist das vorherrschende Gefühl eigentlich nur noch Panik. Denn, jeder weiß: Wenn sich die Zahlen nicht schnell stabilisieren, dann rückt die Perspektive einer schnellen Erlösung wieder weiter weg.
Die Akzeptanz unter den Bürgern ist größer, als es scheint
Das größte Problem ist wohl, dass die Mehrheit der Bürger mit ihrer Geduld am Ende ist, meint Het Nieuwsblad. Die Menschen haben nicht mehr dieses Gefühl der absoluten Dringlichkeit. Zumindest sind sie nicht mehr bereit, ihre persönlichen Freiheiten dafür zu opfern. Der beste Beweis dafür, das sind eben die schlechten Zahlen. Die Regeln werden inzwischen von den meisten nur noch individuell interpretiert. Das hat auch damit zu tun, dass die Experten viel zu oft vor der dritten Welle gewarnt haben, die dann am Ende doch nicht eingetreten ist. So ist eine Art "Immunität" entstanden. Wenn man strengere Maßnahmen durchsetzen will, dann müssen sich aber die Bürger erstmal über den Ernst der Lage bewusst sein. Es ist durchaus möglich, dass drastischere Maßnahmen nötig sind, nur werden die nichts bringen, wenn es dafür keine Akzeptanz gibt.
L'Avenir ist von alledem nicht überzeugt. Klar: Sehr oft hört man Fragen wie: "Kennst Du noch jemanden, der sich an die Regeln hält?". Man mag vielleicht den Eindruck haben, dass in der Frage die Antwort liegt. Doch die Zahlen der Psychologie- und Soziologie-Fakultäten sagen da etwas anderes: Demnach ist die Akzeptanz größer, als es vielleicht aussehen mag. Mehr noch: In den letzten Wochen ist die Zahl derer, die sich härtere Maßnahmen wünschen, sogar wieder gestiegen. Man sollte sich in seinem Urteil also nicht von den zuletzt gesehenen spontanen Massenzusammenkünften beeinflussen lassen. Die Akzeptanz für die Einschränkungen mag fragil sein, es gibt sie aber noch. Man kann den Bürgern also nicht pauschal vorwerfen, das Spiel nicht mitzuspielen.
Roger Pint