"Läden wollen ab 1. Dezember Kunden auf Termin empfangen", so die Überschrift bei Gazet van Antwerpen. "Freitag wird die Regierung beschließen, ob nicht-essentielle Geschäfte wieder öffnen dürfen", titelt Het Laatste Nieuws. "Nur die belgischen Geschäfte werden geschlossen sein", schreibt L'Avenir mit Blick über die Grenzen zu den Nachbarn.
Heute Abend wird Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron verkünden, das hoffen zumindest viele, dass bestimmte Geschäfte für die Weihnachtszeit wieder öffnen dürfen, kommentiert La Dernière Heure. Bisher hat Belgien es in der Regel 48 Stunden später in Sachen Corona-Regeln oft seinem Nachbarn nachgetan. Wird es auch dieses Mal so sein, wo die Zahlen bei uns doch sinken? Der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke scheint da nicht für zu haben zu sein. Hört man ihm zu, bekommt man den Eindruck, dass Lockerungen erst kommen können, wenn die Neuansteckungen pro Tag auf unter 50 sinken. Also optimistisch betrachtet nicht vor dem nächsten Sommer.
Dabei muss man nur den Menschen auf der Straße zuhören, um zu verstehen, dass sie nicht mehr können. Dass sie die Einschränkungen nicht mehr ertragen. Die Schließung der Cafés und Restaurants, keine Weihnachtsmärkte, eine Reduzierung des gesellschaftlichen Lebens auf ein absolutes Minimum – all das schlägt auf die Moral. Die ohnehin angesichts der traurigen und grauen Tage, an denen die Nacht um 16 Uhr beginnt, nicht besonders ist. Wir erwarten, dass die Behörden die Schrauben sachte lockern, während wir auf die hochgelobten Impfstoffe warten, die uns Rettung und Erlösung versprechen. Passiert das nicht, werden die Belgier Weihnachten vielleicht geschützt vor Corona verbringen. Dafür werden wir mit einer Rekordzahl an Selbstmorden und Depressionen ins neue Jahr starten.
Jeder von uns hat die Wahl
Das sieht Gazet van Antwerpen anders: Wir können jetzt nicht lockern. Wirklich nicht. Wir leben in einer neuen Realität. Dieser November ist komplett anders als sonst: keine Weihnachtsmärkte, keine dichtgedrängten Einkaufsstraßen, keine überfüllten Frisörsalons, keine Partys. Dafür volle Krankenhäuser, überarbeitete Ärzte und Pfleger und eine erschreckend hohe Zahl von Toten. Wir können die positive Entwicklung, die wir so hart erarbeitet haben, jetzt nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Das ist schon mal schiefgegangen dieses Jahr. Nur die Einhaltung der strengen Einschränkungen lässt die Zahlen schnell sinken. Und jeder von uns hat die Wahl: Entweder wir gehen zum Beispiel ins Ausland shoppen und zum Frisör. Sicher keine Todsünde, aber damit verlängern wir den Lockdown für alle. Außerdem mag das zwar temporär Entspannung bieten, eine langfristige Perspektive ist es aber nicht. Oder wir akzeptieren die neue Realität und nehmen die Herausforderung an. Und versuchen, die Infektionszahlen so schnell wie möglich zu drücken und zwischenzeitlich das Beste aus der Situation zu machen.
Eine besondere Verantwortung
Het Nieuwsblad greift eine Umfrage auf, wie die Menschen Weihnachten feiern wollen: Die Mehrheit wünscht sich kleine Zugeständnisse bei der zugelassenen Gästezahl an den Feiertagen. Die wirklich gute Nachricht ist aber, dass nur acht Prozent der Befragten sich absolut nicht an Einschränkungen halten wollen. Dummköpfe gibt es eben immer, daran ändert auch Corona nichts. Und die allerbeste Feststellung ist, dass die Bereitschaft der Menschen, zu Hause zu bleiben, wieder so hoch wie auf dem Höhepunkt der ersten Welle ist. Es scheint, als ob wir die Lektion gelernt hätten, als ob wir verstanden hätten, dass wir dem Virus keine Chance lassen dürfen. Noch wichtiger ist aber, dass wir endlich eine Perspektive haben. Das hat aber nichts mit möglichen kleinen Lockerungen vonseiten der Regierung zu tun. Sondern mit der Aussicht auf Impfstoffe. Zu Weihnachten wünscht man sich traditionell gegenseitig vor allem Gesundheit. Dieses Jahr tragen wir eine besondere Verantwortung, dass diese Wünsche für unsere Liebsten auch wahr werden.
La Libre Belgique betont in ihrem Leitartikel die Wichtigkeit, die gesellschaftlichen, psychologischen und auch wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu mildern, gerade angesichts des sonst eher nicht allzu beeindruckenden belgischen Krisenmanagements. Und aus ökonomischer Sicht sollte besonders daran gearbeitet werden, die Betriebe zu retten, die vor der Krise gesund waren. Und die Kriminalität rund um veruntreute Corona-Finanzhilfen anzugehen. Und schließlich müssen auch Investitionen angeregt werden.
Ein hoher Preis
Le Soir kommt auf die Impfstoffe und die damit verbundene Hoffnung auf eine möglichst schnelle Rückkehr zu einem halbwegs normalen Leben zurück. Die sich gegenseitig überbietenden Erfolgsmeldungen der Pharmabranche sollten mit Vorsicht genossen werden. Und man sollte auch nicht vergessen, dass sich unmittelbar dadurch auch nicht wirklich viel ändern wird. Bis zu den ersten Impfungen wird es noch Wochen dauern. Und aufgrund der Logistik wird ein Großteil der Bevölkerung noch Monate warten müssen. Und erst wenn Millionen Menschen unter realen Bedingungen geimpft worden sind, werden wir sehen, wie viel von den großen Versprechungen der Firmen übrigbleiben wird. Und da haben wir noch nicht über die längst noch nicht ausgearbeitete Impfstrategie in Belgien gesprochen. Deswegen steht es außer Frage, die Zügel zu früh zu lockern. Auch mit einer Schutzimpfung am Horizont droht uns eine dritte Welle, wenn wir die Aufhebung des Lockdowns auch dieses Mal wieder vergeigen. Ja, der Preis, weitere Wochen durchzuhalten, ist hoch. Aber sehr wahrscheinlich wird er noch höher sein, wenn wir jetzt wieder versagen.
Boris Schmidt