"Joe Biden auf der Schwelle zum Weißen Haus", titeln am Samstag wortgleich De Morgen und De Tijd. La Libre Belgique fügt dieser Schlagzeile noch hinzu: "Amerika befürchtet einen gewaltsamen Machtwechsel." Nicht wenige Zeitungen machen sich angesichts des Wahl-Chaos in den USA Sorgen um die Demokratie.
Größenwahnsinniger und schlechter Verlierer
Donald Trump ist größenwahnsinnig genug, um ernsthaft zu glauben, dass er nur durch Betrug seiner Gegner verlieren kann, schreibt etwa La Libre Belgique. Republikanische Abgeordnete und Senatoren unterstützen Trumps Lügen, weil sie ihm ihre Wiederwahl schulden. Ohne die trotz allem sehr erfolgreiche Kampagne des Präsidenten wären sie vermutlich unter die Räder gekommen.
Dramatisch sind nun die Aufrufe, die zum Teil aus den Reihen der Republikaner kommen und die Bürger zur "Wut" gegen den angeblich gestohlenen Wahlsieg anstacheln. Selbst beim Duell zwischen Al Gore und George W. Bush im Jahr 2000 hatte es so etwas nicht gegeben. Diese beängstigenden Ausartungen zeugen von dem Schaden an der US-Demokratie, den der schlechteste Präsident aller Zeiten angerichtet hat, schimpft La Libre Belgique.
Zyniker werden feststellen, dass die Tausenden faktengeprüften Lügen, die der Präsident erzählt hat, wenig Eindruck hinterlassen haben, notiert De Standaard. Abgesehen von seiner Niederlage hat Trump hervorragend abgeschnitten. Noch nie zuvor hat ein unterlegener Kandidat so viele Stimmen gewonnen.
Die Präsidentschaftswahlen waren kein Nullsummenspiel, bei dem einer auf Kosten des anderen gewann. Joe Biden wird gewinnen, weil es ihm gelungen ist, eine noch höhere Rekordzahl von Wählern zu mobilisieren. Trump hat zweifellos einen Nerv getroffen und sogar Minderheiten wie die Latinos verführt.
Seine Niederlage wird die Rechtsradikalen in Europa daher sicher nicht schwächen. Auch sie sind auf die Schwächen der liberalen Demokratie angewiesen, die viele Herausforderungen nicht oder nur schwer meistern kann, warnt De Standaard.
Trump wird das Wahlergebnis vom 3. November irgendwann akzeptieren müssen, stellt Le Soir fest. Aber in der Zwischenzeit spielt der Mann, der nicht verlieren kann, mit dem Feuer und den Nerven der Amerikaner. Welch ein Unterschied zu seinen republikanischen Vorgängern, die ihre Niederlage mit Eleganz und Respekt eingestanden!
Die Amerikaner verdienen etwas Besseres. Die Demokratie im Allgemeinen verdient etwas Besseres. Die ganze Welt verdient etwas Besseres als dieses traurige Spektakel eines egozentrischen, verächtlichen, stumpfsinnigen und rassistischen schlechten Verlierers, ätzt Le Soir.
Neue Chancen für Europa
Doch es gibt auch Optimisten unter den Leitartiklern. Trump macht mit unbegründeten Anschuldigungen wegen massiven Wahlbetrugs und einer großen Verschwörung von "Big Tech, Big Money und den Medien" Stimmung, schreibt etwa Het Laatste Nieuws. Nun, er hat teilweise Recht. Es gibt eine Verschwörung gegen ihn. Diese Verschwörung nennt man Demokratie. Die ist in den USA nämlich doch viel stärker als von vielen befürchtet. Die Gewalt bleibt aus.
Und der Präsident kann so viele Großbuchstaben in seinen Tweets verwenden, wie er möchte, die Stimmen werden langsam, aber sicher alle ausgezählt werden. Das macht Hoffnung, dass das System am Ende stark genug ist, um selbst einem schlechten Verlierer standzuhalten, erklärt Het Laatste Nieuws.
Für Europa würde eine Biden-Präsidentschaft viele neue Chancen bieten, auch wenn die heutigen Herausforderungen nicht verschwinden, hofft auch De Morgen. Biden wird sich erst einmal innenpolitisch sortieren müssen, um außenpolitisch ernsthaft auftreten zu können. Aber dann wird es endlich wieder möglich sein, unter Gleichgesinnten zu verhandeln.
Eine große Chance zeigt sich etwa in Bidens Ansage, alsbald dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beizutreten. Der große Unterschied zu Trump besteht darin, dass der Demokrat erkennt, dass eine strategische europäische Verteidigungs- und Außenpolitik eine Hauptstütze für die USA und keine Konkurrenz ist.
Seit dem Zweiten Weltkrieg kamen US-Präsidenten oft hierher, um uns zu sagen, dass Europa ohne Amerika nicht auskommt. In dieser gefährlichen multipolaren Welt ist es jetzt auch umgekehrt, glaubt De Morgen.
Während Trump und seine Söhne immer noch versuchen, die Spaltung des Landes zu schüren, spricht Biden eine versöhnliche Sprache, beobachtet Het Nieuwsblad. Er versucht, die Wogen zu glätten. Auch dadurch, dass er sich am Freitag noch nicht zum Sieger erklärt hat. Man kann von Biden halten, was man will. Dass er zu alt ist, eine Übergangsfigur oder den wichtigsten Aufgaben als Präsident nicht gewachsen. Aber schon jetzt verhält sich Biden mehr wie ein Präsident für alle Amerikaner, als es Donald Trump in den letzten vier Jahren je getan hat.
Das bedeutet nicht, dass Amerika den richtigen Präsidenten zur richtigen Zeit bekommt. Aber es bedeutet, dass nicht alle Hoffnung verloren ist, meint Het Nieuwsblad.
Keine absolute Sicherheit
Das Drama um die Präsidentschaftswahlen in den USA hat die Nachrichten und Kommentare dieser Tage dominiert, stellt das GrenzEcho fest. Dabei ist darüber hinaus einiges geschehen, nicht zuletzt die Festnahme zweier jugendlicher mutmaßlicher IS-Mitglieder in Ostbelgien.
Spätestens seit den Terroranschlägen in Brüssel vor vier Jahren wissen wir, dass unser Land keineswegs gegen islamistischen Terror gefeit ist. Man weiß nicht viel über die beiden jungen Männer, die am vergangenen Wochenende von der Polizei aufgegriffen und festgenommen wurden.
Fakt ist, dass der radikale Islamismus und einer seiner gefährlichsten Arme, der islamische Staat, keineswegs besiegt ist. Der IS operiert eben nur anders. Zwar gelingt es den Ordnungskräften regelmäßig, Anschläge zu verhindern. Doch auch hier zeigt sich, die absolute Sicherheit gibt es nicht. Gäbe es sie, wäre es noch schlechter um unsere gebeutelte Demokratie bestellt, mahnt das GrenzEcho.
Peter Esser