"Lockdown", titeln Het Laatste Nieuws und De Standaard. "Doch wieder ein Lockdown", schreibt resigniert Gazet van Antwerpen. Het Nieuwsblad benutzt noch ein drastischeres Wort: "Eingesperrt".
Es kam, wie es kommen musste. Der Konzertierungsausschuss, in dem alle Regierungen des Landes vertreten sind, hat gestern neue, nochmal wesentlich drastischere Einschränkungen beschlossen. Premier Alexander De Croo sprach von einem "verschärfteren Lockdown". Es ist aber kein totaler Lockdown. Der wesentliche Unterschied im Vergleich zum Frühjahr ist, dass keine neuen Ausgangsbeschränkungen erlassen wurden. Die Bewegungsfreiheit wird nicht noch weiter beschnitten; "nicht unbedingt nötige Fortbewegungen" bleiben erlaubt.
"Die letzte Chance"
Was dem Ganzen aber nicht seine Dramatik nimmt: "Die letzte Chance", titelt fast schon düster Le Soir. Das sind die Worte von Premierminister Alexander De Croo. Und auch andere Zeitungen übernehmen dieses Zitat: "Die Maßnahmen der letzten Chance", so die Schlagzeile von La Libre Belgique und L'Echo. "Das ist unsere letzte Chance", schreibt De Tijd. "Der Lockdown der letzten Chance", so formuliert es Het Belang van Limburg.
Die Maßnahmen sind "streng, aber nötig", so das Urteil auf Seite eins von La Dernière Heure. "Nötig", weil das Gesundheitssystem auf einen Kollaps zusteuert. Das einzige Ziel ist es, die Kurven abzuflachen; vor allem die Zahl der Krankenhausaufnahmen muss gedrückt werden. Die Schlagzeile von De Morgen ist denn auch ein regelrechter Appell: "Alle zusammen hinter den Pflegekräften!".
Die gestrige Pressekonferenz war keine besonders lustige Angelegenheit, meint Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. "Eine schreckliche Zeit"; "Gesundheits-Notstand"; "verschärfter Lockdown"; "die Maßnahmen der letzten Chance": Nur düstere, schicksalhafte Begriffe standen im Raum. Dies allerdings völlig zu Recht, wenn man sich die Situation in den Krankenhäusern anschaut. Die Lage ist nämlich, in einem Wort, dramatisch. Ums mit Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke zu sagen: "Wenn die Zahlen weiter in diesem Tempo steigen, dann stehen die Intensivstationen für keine neuen Patienten mehr offen; dann müssen unmenschliche Entscheidungen getroffen werden". In derartig düsteren Zeiten brauchen wir Gesten der Menschlichkeit. Ein einfaches "Wie geht es Dir?" kann da fast schon die Wirkung eines Impfstoffs haben...
Vor dem langen Winter regiert die Ohnmacht
Das vermaledeite Jahr 2020 endet zwei Monate früher als vorgesehen, meint De Standaard. Unser soziales Leben jedenfalls landet jetzt unter einer Käseglocke. Noch vor einigen Wochen hatte der damals neue Premierminister Alexander De Croo feierlich erklärt, dass ein neuer Lockdown mit allen Mitteln verhindert werden müsse. Und jetzt sitzen wir doch wieder mitten drin. Der Frust und die Enttäuschung sind nachvollziehbar, vor allem bei den Menschen, die sich bestmöglich an die Regeln gehalten haben. Die brutale Wahrheit ist, dass die auch schon drastischen Maßnahmen, die vor einigen Wochen getroffen wurden, offensichtlich nicht im Geringsten geholfen haben, die Zahlen zu drücken. Und jetzt befinden wir uns mal eben in der schlimmsten Lage seit Beginn der Pandemie. Die Ohnmacht regiert.
Es ist wohl der Beginn eines langen Winters, glaubt La Dernière Heure. Man mag einzelne Maßnahmen kritisieren können; zum Beispiel kann man sich fragen, warum etwa die Friseursalons schließen müssen, wo doch die Hygienemaßnahmen perfekt umgesetzt wurden. Aber, in einem Punkt gibt es keine Diskussion: Unsere politisch Verantwortlichen hatten keine andere Wahl. Natürlich wird dieser zweite Lockdown wieder gewaltige Schäden anrichten. Der Horizont ist im Moment so trüb wie das derzeitige Allerheiligen-Wetter.
Auf uns warten harte sechs Wochen, meint auch das GrenzEcho. Man könnte sie eine Fastenzeit vor dem Weihnachtsfest nennen, eine verlängerte Adventszeit. Doch anstelle der fröhlichen Erwartung werden uns harte Einschränkungen auferlegt. Und, ob sechs Wochen reichen werden, das muss sich erst noch zeigen. Jetzt die Schuldigen zu suchen, das wäre wohl müßig. Vielmehr gilt es, die Bürde zu schultern: solidarisch in den Slowdown. Es würde die Weihnachtszeit ihrem ursprünglichen Sinn ein Stück näher bringen.
Wir müssen jetzt den Kopf über Wasser halten, appelliert L'Echo. Was uns jetzt erwartet, das wird noch schlimmer - und länger - als die erste Welle. Und, man will's gar nicht sagen, aber die Experten denken schon an die dritte und die vierte Welle. "Es ist ein Marathon", das hatte Premier De Croo ja schon gesagt; und wir haben gerade mal die ersten fünf Kilometer zurückgelegt. Aber: Da müssen wir jetzt durch.
"Wie konnte es soweit kommen?"
Aber, apropos: "Wie wäre es, wenn wir jetzt auch die Zeit nutzen, um 'die Zeit danach' vorzubereiten?", mahnt Le Soir. Dass wir in diese Situation hineinschlittern konnten, das ist ja schon völlig unverständlich, unerklärlich, unannehmbar. Wie konnte man die Lage so entgleisen lassen? Diese Frage müssen wir jetzt erstmal beiseitelassen; jetzt gibt es dringendere Probleme zu lösen. Jetzt müssen wir erstmal das Gesundheitssystem vor dem Kollaps bewahren. Aber wir müssen unbedingt aus den gemachten Fehlern lernen. Eben mit Blick auf die dritte Welle. Um nicht noch einmal vor der "letzten Chance" stehen zu müssen.
De Morgen verlangt jetzt schon Antworten. Diese Situation war vermeidbar! Dass Belgien die Spitzenposition der am schlimmsten betroffenen Länder einnimmt, das war vermeidbar. Dass das Gesundheitssystem vor dem Crash steht, das war ebenfalls vermeidbar. Und schließlich war auch dieser zweite Lockdown vermeidbar. Wie konnte es so weit kommen? Warum wurden Alarmsignale ignoriert, Empfehlungen von Experten in den Wind geschlagen? Warum? Die Belgier haben das Recht auf Antworten. Hier muss Rechenschaft abgelegt werden.
"Das ist kalter Kaffee", meint dagegen sinngemäß Gazet van Antwerpen. Wurde zu lange gewartet? Und, wenn ja, warum? Diese Fragen sind zwar legitim, aber eigentlich so sinnvoll wie Senf nach der Mahlzeit. Über all das kann immer noch später geurteilt werden. Was jetzt zählt, das ist allein, dass diese größte sanitäre, wirtschaftliche und soziale Krise der letzten Jahrzehnte gemeistert wird.
Solidarität und deutsche Tugenden
De Tijd empfiehlt einen Blick in die benachbarte Bundesrepublik Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat immer transparent kommuniziert; und sie hat immer klargemacht, dass jeder kleinste Krankheitsherd entschlossen bekämpft werden müsse. Den Rest haben die deutsche Pünktlichkeit, Genauigkeit und Gehorsamkeit besorgt. Das sind Tugenden, die wir uns abschauen müssten. Es ist unsere letzte Chance.
Jeder Einzelne ist hier gefragt, meint Het Nieuwsblad. Wir alle müssen unsere persönlichen Interessen jetzt zurückstellen und gemeinsam die Krise schultern. Denn: Was jetzt kommt, das wird schwieriger als im Frühjahr. Kein Applaus mehr für die Pflegekräfte an den Fenstern und auf den Balkonen; es liegt nicht mehr so ein "besonderes Gefühl" in der Luft. Vielmehr bricht sich Pessimismus Bahn. Und genau deswegen rückt jetzt das Allgemeinwohl in den Mittelpunkt. Solidarität und Zusammengehörigkeitsgefühl, das dürfen keine leeren Worte mehr sein.
Roger Pint