"Ausgangssperre von 1:00 bis 6:00 Uhr ab Mittwoch", schreibt La Dernière Heure auf Seite eins. "15 Tage Ausgangssperre in Wallonisch-Brabant", titelt L'Avenir. "Um einen Lockdown zu vermeiden, setzt die Wallonie auf örtliche Ausgangssperren", so die Überschrift bei La Libre Belgique.
L'Avenir greift in seinem Kommentar die am Montagabend beschlossenen neuen Einschränkungen für die Provinzen Wallonisch-Brabant und Luxemburg auf. So manchen wird der Begriff "Ausgangssperre" an die dunkelsten Tage des Zweiten Weltkriegs erinnern. Allerdings sind solche Verbote, sich zu bestimmten Zeiten auf den Straßen aufzuhalten, nicht auf Kriegszeiten beschränkt.
Auch im Frieden können Ausgangssperren angeordnet werden, um die Sicherheit in bestimmten Zonen zu gewährleisten. Noch sind es nur zwei der wallonischen Provinzen, die das beschlossen haben. Aber es ist zweifelsohne nur eine Frage von Tagen, bevor das auf die ganze Wallonie ausgeweitet wird.
Dann wird man sehen müssen, ob die Brüsseler und flämischen Autoritäten nachziehen werden. Die dortige Situation ist ja kaum besser. So könnte man ein Mindestmaß an Kohärenz bewahren. Und damit eine Befolgung der Regeln. Beides ist in dieser Krise Mangelware.
"Ein teuflisches Dilemma"
Viele andere Zeitungen beschäftigen sich mit einem möglichen zweiten Lockdown. Erst letzten Dienstag hat die neue Regierung strengere Maßnahmen angekündigt, erinnert De Standaard. Es dauert allerdings mindestens 14 Tage, bis deren Effekt in den Kurven sichtbar wird. In der Zwischenzeit schießen die Zahlen nach oben, ergreifen lokale Behörden noch schärfere Maßnahmen, müssen die Krankenhäuser einen Gang höher schalten.
Wir müssen uns allerdings davor hüten, uns gegenseitig mit Verschärfungen zu überbieten. Es ist ein teuflisches Dilemma: Tun wir zu wenig, gehen wir gezwungenermaßen in einen Lockdown. Sind wir übervorsichtig, gehen wir ohne Not in einen Lockdown.
Man muss der Wahrheit ins Auge blicken: Ein zweiter Lockdown wäre eine Katastrophe, konstatiert Le Soir. Wir wollten daran glauben, aber es hat sich als Illusion herausgestellt: Quasi normal mit dem Virus zu leben ist keine Option. Wir müssen alle zusammen Deiche bauen, indem wir uns an die Schutzmaßregeln halten. Auch wenn es einer Sisyphus-Arbeit ähnelt, wir haben keine Wahl. Und wir müssen die Unsicherheit akzeptieren. Und vor allem: durchhalten!
Nie mehr Lockdown - im Sommer haben wir noch daran geglaubt, so Gazet van Antwerpen. Es geht jetzt aber zurück in Richtung einer Art Lockdown, auch wenn das noch nicht offiziell beschlossen ist. Warum ist es wieder so weit gekommen? Viele Schuldige sind gesucht worden, und viele – zumindest ein bisschen – Schuldige sind gefunden worden.
Zu viele Belgier haben ihre eigenen Regeln gemacht. Was wir jetzt wieder brauchen, ist Solidarität. Und genug Disziplin, um die Schulen und Krankenhäuser offen zu halten. Wenn uns das nicht gelingt, was für ein Land sind wir dann?
Für L'Echo wäre ein Lockdown ein bestürzendes Eingeständnis des Scheiterns. Und es hätte verheerende Folgen für die Wirtschaft. Das sagt sogar die Weltgesundheitsorganisation. Ja, das Wasser steigt – und zwar immer schneller. Aber noch ist es nicht unabwendbar, die Belgier wieder in ihren vier Wänden einzusperren. Noch nicht, und hoffentlich nie.
Wir müssen jetzt kämpfen, die Reihen schließen und die Schutzdeiche erhöhen. Und dabei das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Zu lernen, mit dem Virus zu leben und gleichzeitig den Motor so gut wie möglich laufen zu lassen. Zumindest, bis das Gesundheitssystem sagt, dass es nicht mehr durchhalten kann.
Ehrlichkeit statt Märchen
De Morgen kommt auf die Diskussionen um das Unterrichtswesen, gerade in Flandern, zurück. Schulen zu schließen, führt zu Lernrückständen und trifft vor allem die ohnehin Benachteiligten. Andererseits ist jeder Schultag virologisch betrachtet eine Großveranstaltung.
Und es wäre naiv zu glauben, dass das Infektionsrisiko in den Schulen bliebe. Die Kinder haben ja auch außerhalb der Schulen Kontakt – und bringen Corona dann vielleicht mit nach Hause. Was wir brauchen, sind ehrliche Risikoanalysen, keine Märchenstunden. Man kann einen Lockdown schlau angehen, aber schmerzlos wird er nie sein.
Mit einem anderen "Märchen" befasst sich Het Laatste Nieuws: nämlich dem um die Schnelltests. Die Politiker erzählen uns die gleichen Geschichten wie im März über die Mundschutzmasken. Schnelltests könnten ein falsches Gefühl der Sicherheit erzeugen. Dieses Argument wird bemüht, um zu rechtfertigen, warum Belgien diese Tests immer noch nicht hat, während unsere Nachbarn Millionen von ihnen gekauft haben.
Die Wahrheit ist einfacher: Belgien hat seine Hausaufgaben nicht gemacht. Ist das eine Katastrophe? Nein, denn Schnelltests sind keine Wundermittel. Aber die Behörden sollten ehrlich sein, die Bürger sind keine Idioten. Die Schnelltests sollten also beschafft werden und dort eingesetzt werden, wo sie Sinn machen. Und man sollte endlich aufhören, ihre Nützlichkeit zu minimieren.
"Schafe" und "Verschwörungstheoretiker"
In den Sozialen Medien findet ein Krieg statt, hält schließlich La Dernière Heure fest. Ein Krieg zwischen den "folgsamen Schafen" und den "Verschwörungstheoretikern". Die einen spielen die Gefahr durch das Coronavirus herunter, wenn sie seine Existenz nicht ganz leugnen. Die anderen halten sich in ihrer extremsten Form für "Superbürger", die gleich über jeden herfallen, der sich in ihren Augen nicht streng genug an die Regeln hält.
Dazwischen sitzt die große Mehrheit der Menschen, die sich verantwortlich verhalten. Sie zeichnen sich durch drei Eigenschaften aus: Solidarität, Nuancierung und Bescheidenheit. Das Problem ist, dass wir in einer Welt leben, in der es akzeptabler ist, Dummheiten rauszuschreien, als richtige Sachen vor sich hin zu murmeln.
Boris Schmidt