"Der Nationale Sicherheitsrat lockert die Maßnahmen ein wenig, aber die Fünfer-Kontaktblase wird beibehalten", titelt La Libre Belgique. Und diese Schlagzeile fasst wohl treffend die Ergebnisse des Nationalen Sicherheitsrats von Donnerstag zusammen. Einige Zeitungen heben zunächst die Lockerungen hervor: "Shopping zu zweit ist ab Montag wieder erlaubt", schreibt etwa L‘Echo auf Seite eins. "Nach dem Fußball werden auch Kongresse oder Konzerte wieder möglich", notiert De Tijd. Aber: "Der Kultursektor ist enttäuscht", bemerkt De Morgen auf seiner Titelseite. Vor allem Konzertveranstalter empfinden die maximal erlaubte Zuschauerzahl als zu niedrig. "In der Sekundarschule wird es ein maskierter Schulanfang", so derweil die Schlagzeile von L’Avenir. Aber die wichtigste Nachricht ist wohl, dass die Schulen auf jeden Fall wieder öffnen werden.
"Wir müssen lernen, mit dem Risiko zu leben", zitiert Le Soir Premierministerin Sophie Wilmès. Das ist keine bloße Floskel, sondern das neue Konzept des Nationalen Sicherheitsrats. "Die Arbeitsgruppe GEES muss weichen", schreibt De Standaard auf Seite eins und fügt hinzu: An ihre Stelle rückt ein Beratergremium, das uns lehren soll, mit dem Virus zu leben". Het Nieuwsblad wird ganz konkret: "Psychologen müssen dafür sorgen, dass wir motiviert bleiben."
Es ist, wie es ist
Die Zeitungen bewerten die Ergebnisse des aktuellen Nationalen Sicherheitsrats mit gemischten Gefühlen. Premierministerin Sophie Wilmès hatte am Donnerstag besonders wenig zu sagen, meint etwa De Morgen. Die Situation ist ja auch, man könnte sagen, "nicht Fleisch, nicht Fisch". Die Lage ist nicht wirklich schlecht, kann aber bestimmt auch nicht als gut bezeichnet werden. Deswegen ist es wohl am besten, dass wir erstmal nicht allzu viele Lockerungen vornehmen und weitermachen wie bisher. Und doch dürfte es wieder von allen Seiten Kritik hageln. In Sachen Maskenpflicht wird es zunächst keine Vereinheitlichung geben. Die Lage ist also weiterhin je nach Gemeinde unterschiedlich. Für einmal sollte man aber nicht auf den Pianisten schießen. Die politisch Verantwortlichen können es nicht jedem recht machen. Die Lage ist, wie sie ist, nämlich diffus. Und daran kann Sophie Wilmès auch nichts ändern.
De Tijd ist da deutlich weniger wohlwollend. Was für ein Durcheinander! Die Premierministerin hat zwar am Donnerstag versucht, das Konzept "Kontaktblase" noch einmal zu verdeutlichen. Klarer ist das Ganze aber nicht geworden. Hinzu kommt: Der Sicherheitsrat hat kein wirkliches Ziel ausgegeben. Wenn man die Freiheiten der Bürger einschränkt, dann muss das aber nachvollziehbar begründet sein. Bei der ersten Krankheitswelle war die Sache klar, es musste vermieden werden, dass die Krankenhäuser volllaufen. Aber jetzt? Eben die Zahl der Krankenhausaufnahmen ist und bleibt offensichtlich sehr überschaubar. Dies ist kein Plädoyer, alle Zügel loszulassen. Hier geht es allein um den Rückhalt in der Bevölkerung. Und den werden wir brauchen, wenn es zu einer wirklichen zweiten Welle kommt.
Nicht nur der Körper, auch der Kopf
Deswegen ist es gut, dass der Nationale Sicherheitsrat jetzt den Schwerpunkt auf die Psychologie legen will, glaubt Het Nieuwsblad. Das Wohlbefinden eines Menschen beschränkt sich nicht auf die reine körperliche Gesundheit. Genauso wichtig ist der Kopf, die sozialen Kontakte, Treffen mit Freunden, Hobbys: Ventile, die den Kopf freimachen. In der Praxis hat der Nationale Sicherheitsrat da allerdings wenig Empathie gezeigt. Die Lockerungen bleiben zaghaft. Es darf nicht sein, dass das Wohlbefinden der Menschen am Ende künstlich beatmet werden muss.
Was wir jetzt brauchen, das sind dauerhafte Lösungen, glaubt L’Avenir. Wir werden noch lange mit dem Virus leben müssen. Und deswegen können wir uns eigentlich nicht von einem Nationalen Sicherheitsrat zum anderen hangeln. Es wird Zeit, dass unsere Gesellschaft ein neues Gleichgewicht findet, dass wir zu einer neuen Normalität finden.
"Schafft die Kontaktblase ab", schreibt derweil Het Laatste Nieuws auf Seite eins. Das ist die Forderung einiger, vor allem frankophoner Wissenschaftler. Die Antwort des Virologen Marc Van Ranst steht gleich darunter: "Die Kontaktblase abzuschaffen, das wäre ein Spiel mit dem Feuer". Het Laatste Nieuws macht aus alledem einen "Clash zwischen frankophonen und flämischen Experten".
Kontaktblase überholt
"Die Kontaktblase hat sich überlebt", glaubt Le Soir. Nicht nur, dass kaum jemand das Konzept versteht, viele haben schlichtweg die Nase voll. Vor allem ist das keine dauerhafte Lösung, was die Premierministerin ja auch selbst einräumt.
"Aber was wäre die Alternative?", fragt leicht polemisch Het Laatste Nieuws. Wollen die Frankophonen jetzt einen sanften Ansatz nach schwedischem Vorbild? Man darf nicht vergessen, dass man jede übertriebene Lockerung cash bezahlt. In Form von Todesopfern. Würde die Politik dafür Verantwortung übernehmen?
"Man kann sich jedenfalls nur wundern", findet La Libre Belgique. Der Nationale Sicherheitsrat hat am Donnerstag allenfalls kosmetische Veränderungen vorgenommen. Wundern kann man sich aber vor allem darüber, dass sich die Regierungen des Landes nur mit der sanitären Situation beschäftigen. Die soziale und wirtschaftliche Krise, die längst unter der Decke schwelt, die kommt nicht vor. Eine neue Regierung ist im Übrigen auch nicht in Sicht. Im Moment gibt es also keinen Plan A, aber leider auch keinen Plan B.
De Standaard schlägt in dieselbe Kerbe. Irgendwie wurde man das Gefühl nicht los, dass Premierministerin Sophie Wilmès davon ausgeht, dass sie auch Ende des kommenden Monats noch am Ruder ist. Dabei müsste doch eigentlich am 17. September Zapfenstreich sein, wenn Wilmès in der Kammer die Vertrauensfrage stellen muss. Und nichts verhindert letztlich, dass Wilmès auch noch in zehn Jahren geschäftsführend im Amt ist. Angesichts der beispiellosen Krise ist das eine nicht wirklich beruhigende Feststellung.
Roger Pint