"Magnette und De Wever geben nicht auf", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Föderale Verhandlungen: Die Liberalen kommen wieder an Bord“, titelt La Libre Belgique. Und L’Echo schreibt: "Wahrscheinlich Verlängerung für Magnette und De Wever".
Am Samstagnachmittag sollen die Vorregierungsbildner Bart De Wever und Paul Magnette König Philippe Bericht erstatten über den Stand der Koalitionsverhandlungen, hält Gazet van Antwerpen fest. Eine Basis für eine Regierung mit einer Mehrheit können sie ihm nicht bieten. Das heißt noch nicht. Aber wohl eine Koalition aus fünf regierungswilligen Parteien.
In vierzehn Monaten Regierungssuche ist das bisher das Beste, was jemand zu Stande gebracht hat. Mit nur einer Partei mehr hätten wir eine echte Regierung. Und die brauchen wir auch dringend. Nur sind die Liberalen davon anscheinend immer noch nicht überzeugt. Mit De Wever und Magnette schicken sich zwei echte Schwergewichte an, eine Regierung auf die Beine zu stellen.
Sie haben schon viele Zugeständnisse gemacht und Überzeugungsarbeit bei ihrer jeweiligen Basis geleistet. Jetzt könnten die beiden größten Parteien das Land zusammen regieren. Wie es sich in einer Demokratie gehört. Der Open-VLD-Vorsitzende Egbert Lachaert spielt jedenfalls in einer ganz anderen Liga als De Wever und Magnette. Lachaert bekommt die Chance, an der so dringend benötigten Regierung mitzuarbeiten. Seine Forderungen stehen aber absolut nicht im Verhältnis zur Stärke seiner Partei.
Der einzige Grund, die MR mitzunehmen, ist, um auch im Süden des Landes eine Mehrheit zu haben. Und wenn das alle wollen, dann müssen wir jetzt auch nicht noch wochenlang darüber palavern. Die Liberalen müssen einsehen, dass sie nicht die größte Partei sind, fordert Gazet van Antwerpen.
Eine nicht ganz unbegründete Sorge
La Libre Belgique ist wesentlich weniger enthusiastisch. Werden die von De Wever und Magnette geführten Verhandlungen zu einem N-VA- und einem PS-Staat in einem verschwindenden Belgien führen? Das ist vielleicht überspitzt ausgedrückt, aber die Sorge ist auch nicht ganz unbegründet. Niemand bezweifelt, dass man den belgischen Saustall reorganisieren muss. Die Verhandlungen sollten eigentlich zu einem Kompromiss führen. Danach sieht es aber nicht aus. Vielmehr klingt es nach einem Deal: Die N-VA kann ihren konföderalen, heißt separatistischen Ambitionen frönen; und die PS übernimmt das soziale Dossier.
Konföderalismus ist ein System, dass in vielen Ländern angewandt wird. Nur, dass das Ziel in Belgien nicht ist, zwei unabhängige Staaten zu vereinen, sondern, einen Föderalstaat aufzulösen. Um das zu verhindern müssen die Frankophonen am Verhandlungstisch Schutzmechanismen fordern. Die laufenden Verhandlungen können das Land genauso gut stabilisieren, wie sie es auseinander treiben können, warnt La Libre Belgique.
Eine schlechte Entwicklung
Am Freitag ist die Sonderkommission der Kammer zusammengekommen, die das Corona-Krisenmanagement Belgiens aufarbeiten soll. Wegen des erneuten Anstiegs der Infektionszahlen deutlich früher als ursprünglich geplant. Dabei wurden die bereits bekannten Probleme nochmal unters Mikroskop gelegt, hält Het Nieuwsblad fest: Die Trägheit der Entscheidungen, die Komplexität der Strukturen, die Vorbereitungen, die Mundschutzmasken, das Testen und die Kontaktnachverfolgung und vor allem die Kommunikation. Die war eine Katastrophe. Und ist es noch immer. Daran sind nicht nur die Politiker schuld. Sondern auch verschiedene Wissenschaftler, die sich mit ihren Analysen widersprechen.
Das sorgt beim Bürger für Verwirrung und für Zweifel an den Autoritäten. Und dadurch werden die Maßregeln weniger befolgt. Eine Kettenreaktion. Je größer das Misstrauen in die Behörden, desto größer der Anteil der Bevölkerung, der die Verhaltensregeln in den Wind schlägt. Und je größer das Misstrauen in die Wissenschaftler, desto weniger wird man ihnen glauben, wenn sie einen guten Rat haben. Die schlechte Kommunikation vergrößert die bereits vorhandene Corona-Müdigkeit nur noch. Dieses gegenseitige Misstrauen ist eine schlechte Entwicklung. Der Marathon liegt noch vor uns, aber wir sind schon jetzt außer Atem, beklagt Het Nieuwsblad.
"Rohrkrepierer"
Le Soir kritisiert, dass die Sonderkommission vorgezogen wurde. Diese über dreistündige Sitzung kann man nur als Rohrkrepierer bezeichnen. Die Ursünde ist, dass dieses improvisierte Treffen überhaupt einberufen worden ist. Experten, deren Vorbericht eigentlich erst für Ende August verlangt worden war, mussten jetzt eine nicht abgeschlossene Arbeit präsentieren, drei Wochen früher als geplant. Diese Überstürzung wird mit dem Wiederaufflammen der Epidemie begründet.
Die Aufgabe der Kommission ist es aber nicht, sich anstelle der Regierung um Notfälle zu kümmern. Ihre Aufgabe ist es, mit dem nötigen Abstand zu analysieren, wie sich Belgien angesichts der Pandemie geschlagen hat. Und zu versuchen, Lehren daraus zu ziehen. Diese Mission verdient Besseres als den Flop, den wir zu sehen bekommen haben, ärgert sich Le Soir.
Das Grenz-Echo hält ebenfalls fest, dass viele Fehler, auch und vor allem in der Kommunikation, gemacht wurden. Die ständigen Änderungen der Regeln, die Unklarheit zahlreicher Beschlüsse, das Chaos und die mangelhafte Reaktivität, vor allem der föderalen Ebene, die Verworrenheit der Zuständigkeiten zwischen den Ebenen, die späten und regelmäßig unzureichenden Bekämpfungsmaßnahmen – all das hat dazu geführt, dass die Menschen nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, und entsprechend reagieren, ist das Grenz-Echo überzeugt.
Boris Schmidt