"Schluss mit Lockerungen", titelt Le Soir. "Sicherheitsrat zieht die Schrauben an", ist die Schlagzeile des Grenzechos. "Die Zeit für Spielchen ist vorbei", warnt Gazet van Antwerpen.
Kurze Zeit nach der Sitzung des Rates gab das Forschungsinstitut Sciensano eine Warnung raus: In Belgien könne von lokalen Ausbrüchen nicht mehr die Rede sein. Die Zahlen steigen nahezu überall. Auch Regierungschefin Sophie Wilmès und ihre Beschlüsse ließ das schlecht aussehen.
Mundmasken an überfüllten Orten, mehr Mitspracherecht für den Bürgermeister, Kontakthinterlegung beim Restaurantbesuch: Das ist sicherlich gut gemeint, aber noch bevor Premierminister Wilmès die Worte gesprochen hat, ist klar, dass sie nicht reichen und zu spät kommen, wettert De Morgen. Während der Feind Corona die Kanonen aufstellt, verteilt die Regierung Pfeil und Bogen. Dabei sind die Ergebnisse dieses Sicherheitsrates nicht das eigentliche Problem. Irgendwo ist es auch verständlich, dass die Regierungen mit Maßnahmen sparsam umgehen, die dem Vertrauen in die wirtschaftliche Erholung einen neuen Schlag versetzen würden. In den Nachbarländern sieht es ähnlich aus.
Hier in Belgien ist das spezielle Problem, dass die Lockerung zu früh kam. Wir sind nicht unbedingt weiter gegangen als andere Länder, aber dort war die Ausgangslage einfach besser. Und was noch schlimmer ist: Wir sind dieses Risiko ohne Versicherung eingegangen. Die ordnungsgemäße Kontaktnachverfolgung und Isolierung haben nie wirklich funktioniert. Zudem ist der Bevölkerung nicht ausreichend klar gemacht worden, welches Risiko wir weiterhin eingehen würden. Die Leute gingen immer noch davon aus, dass ihre Strandparty keinen Unterschied macht, notiert De Morgen.
Unachtsamkeit
Bevor wir zu laut gegen die Politik wettern und weitere einschränkende Maßnahmen fordern, sollten wir zunächst die Regeln, die gelten, auch anwenden, meint Le Soir. Diese Regeln haben vermutlich nicht den gewünschten Effekt gehabt, weil sie einfach nicht eingehalten wurden. Diejenigen, die sich gefallen, wenn sie Party machen, sobald die Polizei ihnen den Rücken kehrt, sollten sich daran erinnern, dass wir hier gegen eine unumstößliche wissenschaftliche Realität kämpfen und nicht gegen einen Kontrolleur oder eine Ideologie.
Der Lockdown wird tausende Arbeitsplätze gekostet und hunderte Familien in die Armut getrieben haben. Im März konnte man noch sagen, "wir wissen es nicht". Aber jetzt, Ende Juli, wissen wir es. Wenn wir es aus Unachtsamkeit wieder so weit kommen lassen, dann hat nicht das Virus gewonnen, sondern die menschliche Dummheit, kritisiert Le Soir.
Politik hinkt hinterher
Mundmasken sind schon toll, stellt Het Laatste Nieuws fest. Wahrscheinlich helfen sie und vor allem in überfüllten und schlecht belüfteten Räumen. Aber das ist nicht der Hauptgrund für ihre derzeitige Popularität. Sie kosten die Regierung fast nichts, es ist eine Maßnahme, die jeder sieht und die leicht zu erklären ist. Aber es lenkt uns vom eigentlichen Problem ab: Wir laufen immer wieder den Tatsachen hinterher. Die Entscheidungen des Sicherheitsrats wären fantastisch, klar und angemessen... wenn sie letzte Woche getroffen worden wären.
Die Minister erörterten am Donnerstag eine Situation, in der wir lokale Corona-Ausbrüche bekämpfen. Aber das ist nicht mehr der Fall. Jede zehnte Gemeinde in Belgien liegt bereits über der Alarmschwelle. Es ist erschreckend, wie wenig Informationen wir über diese Infektionen haben. Erst heute werden wir ein genaues Bild von der Zahl der Infektionen haben, die am Montag diagnostiziert wurden. Und anscheinend werden die vier- bis fünfmal so hoch liegen, wie wir zu Beginn der Woche dachten. Dann kann die Regierung den Fakten natürlich auch nur hinterherlaufen, beklagt Het Laatste Nieuws.
Chaos droht
L’Avenir sieht besonders kritisch, dass Sophie Wilmès den Bürgermeistern so viel Freiraum gegeben hat. Damit hat sie eine gefährliche Tür geöffnet, warnt die Zeitung. Wenn dieser Freiraum für die lokalen Behörden nicht weiter definiert und eingegrenzt wird, könnte dies zu einer Orgie freiheitsberaubender Beschränkungen führen. Sicher, außergewöhnliche Situationen brauchen maßgeschneiderte Lösungen. Aber theoretisch ist die Tür jetzt offen für lokale Komplett-Abriegelungen, die zwangsweise zu Diskriminierung und Ungleichbehandlung führen. Es war bis jetzt schon nicht einfach für die Bürger, bei den ständig wechselnden Regeln den Überblick zu behalten. Jetzt wird es auch noch Unterschiede je nach Aufenthalts- und Wohnort geben. Schlimmstenfalls finden die Leute sich dann überhaupt nicht mehr zurecht, befürchtet L’avenir.
Das Ergebnis der Lockerung in Verbindung mit der Verwirrung darüber, was erlaubt war und was nicht, hat zu der gegenwärtigen Situation geführt, ist sich De Standaard sicher. Das totale Chaos lugt jetzt um die Ecke und mit ihm das, was die verschiedenen Regierungen am meisten fürchten: die Unvermeidbarkeit erneuter Maßnahmen, die die Wirtschaft hart treffen würden. Ein weiterer Lockdown wäre für viele Firmen dramatisch. Niemand übernimmt dafür gerne politische Verantwortung. Aber es muss eine Entscheidung getroffen werden. Länder, die eine laxe Haltung eingenommen haben, wie Schweden, die USA, Großbritannien und Brasilien, sind eklatant bestraft worden. Erst am Donnerstag wurde deutlich, dass die Erholung des US-Arbeitsmarktes bereits ins Stocken geraten ist. Weiche Mittel verlängern die Schmerzen nur. Alle Anstrengungen und das gesamte ausgegebene Geld stehen auf dem Spiel. Es darf nicht umsonst gewesen sein, fordert De Standaard.
Peter Esser
Bleibt die Hoffnung, dass alle, die immer noch nicht verstanden habe, welche Konsequenzen verantwortungsloses Verhalten hat, diese Presseschau lesen oder hören.
Die Antwort wird wohl sein: Lügenpresse.
Le Soir bringt es auf den Punkt: die Dummheit der Menschen wird wohl siegen.
In der jetzigen Situation ist Selbstdisziplin gefragt: Maske träge im öffentlichen Raum, Abstand halten und großere Menschenansammlungen meiden. Es muss nicht immer die große Fete sein, ein Besuch zu zweit im Restaurant und ein Museumsbesuch gehen auch.