"Ein neues Drama befeuert die Welle des Protestes", titelt De Standaard. "Polizeigewalt heizt Stimmung in den USA weiter an", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. In den USA ist erneut ein Afroamerikaner bei einer Polizeiaktion getötet worden. Das Drama ereignete sich in Atlanta, im Bundesstaat Georgia. Dieser neue Vorfall dürfte dafür sorgen, dass die Proteste vor allem in den USA nur noch grimmiger werden. De Morgen bringt das Ganze mit einer Schlagzeile auf den Punkt: "Mehr Polizeigewalt, mehr Wut, mehr Sorgen für Trump".
"Auch sein Leben zählt"
In diesem Zusammenhang passt auch ein beeindruckendes Foto, das einige Zeitungen heute auch auf ihrer Titelseite abdrucken. Das Bild zeigt eine Szene, die sich in London bei einer Kundgebung ereignet hat. Man sieht einen schwarzen Mann, der einen weißen auf der Schulter trägt. "Ein Black Lives Matter-Aktivist rettet einen weißen Demonstranten", so fasst es Het Laatste Nieuws zusammen. "Demonstrant" ist da allerdings noch vornehm ausgedrückt. Der Mann gehörte zu einer Gruppe von Rechtsextremisten und Fußball-Hooligans, die gegen die Anti-Rassismus-Kundgebungen protestierten. Das macht das Bild so stark. "Auch sein Leben zählt", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Die Aufarbeitung durch Politik und jeden Einzelnen
Der sichtbarste Ausdruck der Anti-Rassismus-Proteste in Belgien ist nach wie vor die Beschädigung beziehungsweise Zerstörung von Statuen, die auf die Kolonialzeit verweisen. Im Visier sind da insbesondere Standbilder, die König Leopold II. zeigen.
Die Wucht des Bildersturms hat die Politik offensichtlich wachgerüttelt, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Die politisch Verantwortlichen fragen sich, wo so viel Wut wohl herkommen könnte. Diese Frage zu stellen, das war längst überfällig. Die Idee steht im Raum, einen parlamentarischen Sonderausschuss einzusetzen, der die belgische Herrschaft im Kongo unter die Lupe nehmen soll. Denn, ob man es glaubt oder nicht, da gibt es noch zahlreiche offene Fragen.
Natürlich sind die chronologischen Eckdaten bekannt, und auch viele Gräueltaten dokumentiert. Die tieferen Hintergründe und Herrschaftsmechanismen müssen aber noch eingehender analysiert werden. Neben der politischen Aufarbeitung sollte sich aber auch jeder Einzelne von uns betroffen fühlen. Viele von uns wollten es einfach nicht genauer wissen. Das Wissen um die Vergangenheit sollte uns aber den Weg in die Zukunft weisen.
Von Praxistests und Geschwindigkeitskontrollen
Immer noch im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Rassismus beschäftigt sich De Morgen in seinem Leitartikel mit den so genannten Praxistests. Gemeint ist damit die aktive Suche nach Diskriminierung, etwa am Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche. Innerhalb der flämischen Regierung hat es da in den letzten Tagen Meinungsverschiedenheiten gegeben.
Insbesondere die N-VA lehnt eine versteckte Kontrolle von Unternehmen ab. Mit dem Argument, dass man "den" Flamen nicht unter Generalverdacht stellen und der Staat außerdem seine Bürger nicht hinters Licht führen dürfe.
Das ist zu kurz gedacht, meint De Morgen. Solche Praxistests können durchaus einen Impuls in die richtige Richtung geben. Und, "hinters Licht führen"? Das wäre doch nicht das erste Mal. Bei Geschwindigkeitskontrollen passiert das doch schließlich auch. Das, was im Kampf gegen Temposünder offensichtlich legitim ist, das darf plötzlich nicht bei der Bekämpfung von Rassismus.
N-VA mit zwei Gesichtern
Viele Zeitungen beschäftigen sich auch mit der innenpolitischen Lage. Diese Woche gilt ja auch wieder als eine mögliche "Woche der Wahrheit, wie es unter anderem Het Belang van Limburg formuliert. In den letzten Tagen schien einiges jedenfalls auf eine mögliche Achse aus N-VA und PS hinzudeuten. Wobei: "Die N-VA zeigt hier im Moment zwei Gesichter", schreibt La Libre Belgique. Noch am Freitag hatte die flämische Nationalistenpartei beim so genannten Super-Kernkabinett den Verhandlungstisch verlassen.
Das war wenig glaubwürdig, urteilt sinngemäß Het Laatste Nieuws. Das Paket, das auf dem Tisch lag, unterschied sich so gut wie gar nicht von dem, was die N-VA in den letzten Wochen mit abgesegnet hatte.
"Hier ging es wohl in erster Linie ums Prinzip", analysiert auch L'Avenir. Das Allgemeinwohl steht ab jetzt nicht mehr im Mittelpunkt. Vielmehr wollen sich die Parteien wieder positionieren und profilieren.
Bei der N-VA bekommt das gleich wieder einen "konföderalistischen" Anstrich: Die Partei fordert, dass die Regionen Flandern und Wallonie über ihre Ministerpräsidenten mit am Verhandlungstisch sitzen sollen. Brüssel wird natürlich ausgeklammert. Die PS wird da wohl nicht mitspielen, wobei Hintertürchen offenbleiben. Auch deswegen sind Neuwahlen ebenfalls nicht auszuschließen.
"Das Virus der Spaltung"
Es gibt noch immer viel zu viele Tabus, immer noch zögern viele Parteien, mit dem bisherigen Erzfeind in See zu stechen, meint auch Het Nieuwsblad. Jeglicher Kompromiss bleibt schwierig, weil niemand so etwas seiner Basis vorlegen möchte, auf die Gefahr hin, die Abstimmung zu verlieren. Jetzt geraten alle aber doch unter Zugzwang. Mal schauen, ob jetzt der Knoten zerhackt werden kann.
La Libre Belgique diagnostiziert dem Land das "Virus der Spaltung". Es gibt Parteien, die konsequent die tatsächlichen oder angeblichen Unterschiede herausarbeiten wollen, statt sich auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren.
Immerhin sieht man inzwischen auch wieder Bewegung in die andere Richtung. Nach den Grünen wollen jetzt auch die beiden liberalen Parteien wieder wesentlich enger zusammenarbeiten. Die Sozialisten werden ihrerseits bald wieder unter einem Dach wohnen, da die SP.A wieder bei der PS einziehen will. Vielleicht gibt es ja einen Impfstoff gegen das Virus der Spaltung. Man kann ja mal träumen.
Roger Pint