"Die Wut Amerikas", schreibt Le Soir auf seiner Titelseite. "Vom Rassismus zerfressen geht Amerika in Flammen auf", titelt La Libre Belgique. "Amerika brennt vom Osten bis in den Westen", heißt es bei De Standaard auf Seite eins.
Die zum Teil gewalttätigen Proteste wegen des Tods des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz dauern mittlerweile seit sechs Tagen an und sind auch das Thema fast aller Leitartikel.
"Ich kann nicht atmen", das waren die letzten Worte von George Floyd. Und es ist ganz Amerika, das erstickt, schreibt La Libre Belgique.
Ereignisse wie in Minneapolis gehören zum traurigen Alltag in den USA, aber was die Situation dieses Mal so explosiv gemacht hat, sind die unerträglich grausamen Bilder des Vorfalls, gepaart mit der durch die Corona-Epidemie hervorgerufenen Angst, der Frustration wegen der Ausgangsbeschränkungen, dem großen wirtschaftlichen und sozialen Leid.
Die Empörung ist angesichts des barbarischen Verhaltens der Polizisten gerechtfertigt. Unter vergleichbaren Umständen wäre es die Aufgabe eines Präsidenten, zu beruhigen, zu trösten, zur Einheit aufzurufen. Donald Trump tut nichts, außer zu tweeten: Gegen die in seinen Augen zu weichen demokratischen Gouverneure, gegen die Presse, um sich selbst für den Einsatz der Nationalgarde zu feiern.
Nie war die Inkompetenz und Kaltherzigkeit des Präsidenten so offensichtlich wie jetzt. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu befürchten, dass nicht mehr viel fehlt, um die Lage im Land vollends außer Kontrolle geraten zu lassen, so La Libre Belgique.
"Land of the Few"
Das "Land of the Free", das Land der Freien, ist seit Jahrzehnten eine Illusion, ist Het Nieuwsblad überzeugt. Der American Dream ist nur noch für einige Wenige, die Jahr um Jahr reicher werden. Es ist ein "Land of the Few" geworden, ein Land der Wenigen.
Die Entwicklung geht weg von der Utopie und in Richtung Dritte Welt. Bei all den sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten und den überproportional vom Coronavirus getroffenen Schwarzen war der Tod von George Floyd nur noch der Funken an einer ganzen Schiffsladung Pulverfässer. Mit Donald Trump als Brandbeschleuniger.
Der mächtigste Mann der Welt verkroch sich in seinem Bunker und wetterte gegen alles und jeden, nur um seine Wiederwahl zu sichern. Jedes Land verdient den Führer, den es wählt, geht der Spruch. Aber niemand verdient Donald Trump. Hoffentlich begreifen das die Amerikaner dieses Mal, wünscht sich Het Nieuwsblad.
Eine willkommene Ablenkung
Kann ein Land, in dem solche öffentlichen Morde begangen werden, noch als Demokratie bezeichnet werden?, fragt sich Het Belang van Limburg. Der Präsident droht mit dem Einsatz der Armee, schweigt aber über die Ursachen der Proteste.
Das große Drama ist, dass Trump weiß, dass er für eine Wiederwahl im November nicht auf die Stimmen der Schwarzen angewiesen sein wird. Einfach, weil diese Menschen oft nicht als Wähler registriert sind. Seine Rhetorik ist Öl aufs Feuer, auch wenn die Probleme schon vor ihm existierten. Und wer sich in die aussichtslose Situation der Menschen hineinversetzt, der kann die Verzweiflung nachvollziehen, die man in den Straßen sieht, zeigt Het Belang van Limburg Verständnis.
Dass die friedlichen Proteste nachts in Plünderungen und Gewalt umschlagen, kommt Trump gerade recht, meint De Standaard. In der Corona-Krise hat er versagt, die Ausschreitungen sind da eine willkommene Ablenkung. Er gießt Öl ins Feuer, ob er die Vorfälle auch für seine Wahlkampagne ausschlachten wird, wird man sehen.
Die Proteste sind sicher nicht die ersten ihrer Art. Aber sie sind anders als sonst. Die Demonstranten sind nicht nur Schwarze, sondern auch Weiße, andere Farbige, junge Muslima mit Kopftüchern. Demographisch betrachtet gehört die Zukunft den Demokraten und den Toleranten. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass der weiße Nationalismus im November ein weiteres Mal den Sieg davontragen wird, warnt De Standaard.
Kein Impfstoff gegen Rassismus
Das einzige, was der Präsident während dieses tragischen langen Wochenendes gemacht hat, war, das Erbe eines Amerikas aufrechtzuerhalten, das Schwarze seit dem Ende der Sklaverei als Menschen sieht, die es auszubeuten und zu unterdrücken gilt, geht auch Le Soir hart mit Donald Trump ins Gericht. Er hat es nicht einmal für nötig gehalten, sich an die Nation zu wenden, seine Gedanken gelten allein der Wiederwahl.
Trump hat nichts getan, um die Lage zu beruhigen. Stattdessen hat er wie ein Plantagenbesitzer mit der Peitsche gefordert, die Ordnung wiederherzustellen. Die wahren Unruhestifter sind nicht die Demonstranten, sondern diejenigen in den Hallen der Macht, die die Schwarzen daran hindern wollen, frei zu leben. Gewalt ist unvermeidlich, wenn die Wut riesig und die Angst grenzenlos sind, meint Le Soir.
Die Statistiken sind eindeutig, hält auch De Morgen fest: Die Wahrscheinlichkeit, als Schwarzer in den USA von der Polizei getötet zu werden, ist drei Mal so hoch wie als Weißer.
Der Rest der Welt möchte gerade, dass alles wieder "normal" wird. Die Normalität für schwarze Menschen ist aber genau das, wovon sie sich befreien wollen, zitiert die Zeitung eine schwarze Kolumnistin der New York Times. Und während die Welt auf ein Mittel gegen das Coronavirus hoffen kann, werden die Schwarzen weiter auf einen Impfstoff gegen Rassismus warten müssen, beklagt De Morgen.
Boris Schmidt