"Läden wieder offen – Lauf-Markierungen auf dem Boden, griffbereites Desinfektionsgel", so die Schlagzeile auf Seite eins von De Standaard. "Polizei, Sicherheit, Stewards – Die Rückkehr des Shoppings unter Überwachung", schreibt La Dernière Heure auf ihrer Titelseite. "Geschäfte öffnen heute ihre Pforten", weiß auch das GrenzEcho.
Hier ist es also wieder, das Leben "mit", schreibt Le Soir in seinem Leitartikel. Das Leben mit Verwandten und Freunden, mit Arbeiten, mit Shopping. Aber eben auch das Leben mit Corona. Mit Masken über dem Gesicht. Mit Stress wegen unseren Mitmenschen. Mit Angst und Sorgen wegen möglicher Folgen der Epidemie.
Ab diesem Montag sind wir die Schlüsselfiguren in der Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen. Und es liegt an uns, über die Einhaltung der Sicherheitsmaßnahmen zu wachen, die ja unserem Schutz dienen, betont Le Soir.
Nach zwei Monaten spielen zwei Tage auch keine Rolle
Nach acht Wochen ist die Wiederöffnung eine enorme Erleichterung für die Händler, hält L'Avenir fest. Auch wenn viele von ihnen ins Internet ausgewichen sind, kommt man nicht um die Feststellung herum, dass die Kassen leer und die Lager übervoll sind. Und viele Kunden bevorzugen es, vor Ort anzuprobieren, anstatt nur im Internet auszusuchen und zu bestellen.
Aber das jetzt wieder mögliche Shopping wird wenig Ähnlichkeit haben mit dem Shopping von früher. Einkaufen als Wundermittel nach einem schlechten Tag – vorbei. Rumspazieren zwischen den Regalen aus reinem Vergnügen – vorbei. Stattdessen eine Vielzahl strenger Regeln. Direkt zum Ziel ohne Umwege und ohne zu trödeln. Und man muss mit der Angst klarkommen.
Der Nationale Sicherheitsrat hat nicht nur grünes Licht für die Geschäfte gegeben, er hat auch den Bürgern das Vertrauen gegeben. Und setzt dabei auf gesunden Menschenverstand und Bürgersinn. Und wenn die Schlangen zu lang sein sollten, ist es besser, seine Einkäufe zu verschieben. Wir haben zwei Monate gewartet, da kommt es auf zwei Tage mehr auch nicht an, appelliert L'Avenir.
La Dernière Heure ruft in ihrem Kommentar dazu auf, auch an die Geschäftsleute, Angestellten und ihre Familien zu denken. Wir müssen große Sorgfalt bei der Einhaltung der Sicherheitsmaßregeln walten lassen. Wir müssen die Abstände einhalten und den Händlern zuhören und tun, was sie sagen.
Falls wir das nicht tun, können die Covid-19-Fälle wieder in die Höhe schnellen. Und die Geschäfte erneut für eine unbestimmte Dauer schließen müssen, mit Folgen für die Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen, warnt La Dernière Heure.
Der zweite große Stresstest für die Gesellschaft
Für Gazet van Antwerpen ist es ein Stresstest für die Gesellschaft. Zuerst war die Botschaft an die Menschen "Bleibt zuhause". Jetzt lautet sie: "Bleibt so viel wie möglich zuhause!" Auch wenn die Beschränkungen gelockert werden, die Gefahr für die Volksgesundheit bleibt die gleiche wie vor acht Wochen. Das Virus ist immer noch da und immer noch ansteckend und tödlich.
Aber die Lockerungen und die Sonne scheinen viele Menschen geblendet und leichtsinnig gemacht zu haben. Und das gilt auch für einige Ladenketten. Dass sie nun mit Rabattaktionen wedeln, ist schlicht unverantwortlich. Wenn man auf einen ruhigen Neustart setzen will, dann lockt man die Leute nicht mit Nachlässen aus ihren Wohnungen.
Unser Zusammenleben ist zu einem Spannungsfeld geworden zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem kollektiven Verantwortungsbewusstsein. Und die Menschen, die sich gewissenhaft an die Schutzregeln halten, ärgern sich immer mehr über die Mitbürger, die sich leichtsinnig oder nicht-regelkonform verhalten.
Dieser Konflikt ist neben dem Kampf gegen das Virus der große Belastungstest für unsere Gesellschaft. Vielleicht sollten wir nach Virologen und Ökonomen jetzt auch Soziologen, Psychologen und Ethnologen einschalten, denkt Gazet van Antwerpen.
Ein Impfstoff gegen die Idiotie
Auf das Verhalten mancher Mitmenschen blickt auch Het Belang van Limburg. Da ist sie wieder, die Konsumgesellschaft. Was haben wir sie vermisst, so die Zeitung leicht ironisch. Es scheint so, als ob wir das Schlimmste hinter uns hätten. Aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die Frage ist nicht, ob eine zweite Corona-Welle kommt. Sondern nur wann.
Wenn es nach den Experten gegangen wäre, hätten die Geschäfte erst in einer Woche wieder geöffnet. Aber die Politik hat das Datum auf eigene Verantwortung vorgezogen. Der wirtschaftliche Druck war wohl zu groß. Die einzigen Waffen, die uns selbst zur Verfügung stehen, sind Disziplin und Bürgersinn. Und vielleicht brauchen wir nicht nur einen Impfstoff gegen das Coronavirus, sondern auch gegen Idiotie und verantwortungsloses Verhalten, ärgert sich Het Belang van Limburg.
De Standaard kommt in seinem Leitartikel auf die neue "Vierer-Regel" zurück, sprich die Lockerung für soziale Kontakte, beziehungsweise auf die Diskussionen über die Auslegung. Die Frage für die Zukunft ist nicht, mit wie vielen Menschen wir Kontakt haben dürfen. Sondern, wie wir mit dem Virus leben werden.
Wir werden auf weitere Peaks nicht auf die gleiche Weise reagieren können, wie auf den ersten. Einen vollständigen Lockdown über unsere Gesellschaft zu verhängen, können wir uns nicht nochmal leisten – weder emotional, noch finanziell.
Die positiven Trends aus den Krankenhäusern und die Lockerungen können bei den Menschen ein Gefühl der Erleichterung auslösen. Aber die Ernüchterung späht schon um die Ecke. Wir werden akzeptieren müssen, dass das Virus auch in Zukunft noch seinen Tribut fordern wird. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet denn auch: Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen für unsere Freiheit und ein halbwegs normales Leben, fragt De Standaard.
Boris Schmidt
Wohltuend die mahnenden und von Verantwortung zeugenden Kommentare der Inlandspresse.
Leider fehlte in den vergangenen Wochen in der Presse der DG die Stimme der Vernunft. Stattdessen populistische Rundumschläge gegen Politik und Wissenschaft.
Noch nie in meiner 45-jährigen Beobachtung und bescheidenen Mitgestaltung politischer Prozesse hatte ich den Eindruck, dass die Politik derart nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, um die Menschen durch diese Krise zu führen und das Schlimmste zu verhindern.
Sicher muss es erlaubt sein, zu erörtern, was das Schlimmste ist.
Einen offenen Diskurs mit Menschen zuführen, die nur ihre eigenen Interessen sehen, die weiterhin ihr Politiker- oder Wissenschaftsbashing betreiben oder die die absurdesten Verschwörungstheorien verbreiten ist zwecklos.
Denjenigen Heckenschützen - egal aus welcher Position heraus sie agieren - die sich nicht an elementarste Verhaltensregeln halten und lieber Youtube-Quacksalbern glauben schenken, werden wir es zu verdanken haben, wenn uns eine 2. Welle erwischt.
Mit, „Das haben wir nicht gewusst“ wird sich niemand herausreden können.
Ehrlich, Herr Leonard? Sie haben „den Eindruck, dass die Politik derart nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat“ und verteidigen deren Maßnahmen?
Sie brechen in Jubel aus weil die Frisöre wochenlang noch an Menschen herumschnippeln konnten während alles andere geschlossen war? Sie vergießen Freudentränen weil man ein 70 jähriges Ehepaar mit 2x250 € Strafe belegt weil es sich während einer Fahrradtour auf einer Bank (mit Sicherheitsabstand bitteschön) ausruht?
Sie begrüßen es wenn inzwischen 6 Minister es nicht auf die Reihe bekommen Mundmasken an die Bevölkerung zu verteilen, obwohl diese schon eine Woche in jedem Supermarkt erhältlich sind? Sie feiern dass eine Regierung, die nie gesunden Menschenverstand bewiesen hat, jetzt an den selbigen der Bevölkerung appelliert?
Und Sie maßen sich an dem Chefredakteur des GE jegliche Stimme der Vernunft abzusprechen? Ehrlich? Sie tun mir, mitsamt Ihrer „ bescheidenen Mitgestaltung politischer Prozesse“ einfach nur leid.
@Carl Schumacher: Was wäre denn ihre Alternative gewesen?
Einigen gehen die Maßnahmen nicht weit genug, andere wollen so weiterleben als wäre nichts passiert, wieder andere wollen beides (noch strengere Maßnahmen, aber nicht in ihrem persönlichen Leben),... Dafür, dass Belgien eigentlich keine föderale Regierung hat, finde ich dass sie schnell und gut gehandelt hat. Und, natürlich ist nichts perfekt.
Ich glaube, dass die Leute, die jetzt gegen jede Maßnahme sind, die Regierung als Mörder bezeichnen würde, hätten sie keine unternommen.
Also, was ist ihre Alternative? Was hätte bei dem Wissenstand von Anfang März besser gemacht werden können?
Es hieß doch wir reden mit Deutschland wieso, die deutsche Grenze ist offen ,wieso hält man uns fest man käme raus doch zurück nur mit Bußgeld. Im heutigen Zeitalter wäre das in kurzer Zeit möglich .bislang hört man nichts mehr zur grenzöffnung und noch schlimmer keiner weiss etwas. Wo führt das hin? Man kann es nicht verstehen oder nachvollziehen .wann passiert hier endlich etwas ?
Werter Herr Leonard.
Die meisten getroffenen Massnahmen sind ja auch in Ordnung. Nur das Ausreiseverbot und das Kontakttracing sind in ihrer jetzigen Form unnütz. Und zudem hat die belgische Politik viele Massnahmen schlecht kommuniziert.
Und an die große Verschwörungstheorie glaube ich nicht. Denn eine Verschwörung setzt eine gewisse Planung voraus. Bei der Vielzahl an Regierungen und dem Kompetenzwirrwarr in Belgien ist eine Verschwörung einfach nicht machbar und planbar. Ein kleiner Vorteil des belgischen Kraut-und-Rüben-Föderalismus.
Bei der Coronakrise sind in erster Linie Selbstdisziplin und Eigenverantwortung gefragt bis das genügend Tests und ein Impfstoff zur Verfügung stehen.
Bleiben Sie gesund.
@ Andre Schmidt, Sie verkennen die Lage. Belgien HAT eine vollwertige Regierung die das Vertrauen des Parlaments und außerdem noch Sondervollmachten hat. Sie kann und darf alles was auch andere vollwertige Regierungen konnten und durften und noch viel mehr.
Was ich gemacht hätte? Ich hätte erstens den Notstand viel früher erklärt und nicht auf den Druck der Bürgermeister und Gouverneure gewartet; dann hätte ich viel früher ein Versammlungsverbot erlassen und hätte ich den Lockdown abends vor den Abendnachrichten und nicht um 22.00 Uhr angekündigt, so dass am Mittwochmorgen die Geschäfte voller Leute waren die glaubten Nachmittags nichts mehr kaufen zu können und dürfen; dann hätte ich keinen Vorrat an Schutzmasken vernichtet (um Platz für Migranten zu schaffen?) oder zumindest für neue gesorgt, Ich hätte klare verständliche Anweisungen gegeben und meine Dienstwagen nicht eine Stunde laufen lassen um Slides zu basteln, usw. usw.…
@Carl Schumacher:
Natürlich kann man immer alles besser machen. Belgien hat eine Regierung mit Sondervollmachten. Diese Vollmachten hat die Regierung seit dem 15. März und am 18. März wurde der Lock-down beschlossen. Das ist doch - vor allem in der Politik - rekordverdächtig.
Aber sie haben recht: Man hätte viel strenger vorgehen sollen. Man hätte sich auf die chinesischen Erfahrungen stützen können, die vom Virus überrascht wurden, und doch relativ erfolgreich gehandelt haben. Doch ich fürchte, das belg. Volk hätte das nicht mitgemacht. Man sieht ja jetzt schon, das jedes Ego wichtiger ist, als die Eindämmung der Krankheit. Das natürlich nur so lange, bis es einen selber betrifft.
Das Thema hatten wir doch schon mal, Herr Schumacher.
Diese „vollwertige“ Regierung steht auf tönernen Füssen:
- Sie wird von nur drei Parteien gebildet (28 von 150 Abgeordneten).
- Sechs andere Parteien unterstützen sie nur von außen.
- Die größte flämische Partei, die N-VA, hat gegen sie gestimmt (wohl aber für die Sondervollmachten!)
- Sie hat zwar theoretisch Handlungsspielraum, Wilmès hat aber zugestanden, den Bereich der laufenden Angelegenheiten nicht zu verlassen für alles, was nicht mit Corona zu tun hat.
- Die Spezialvollmachten sind zwar weitreichend, gleichzeitig aber auch begrenzt auf die Bekämpfung der Corona-Krise. Steuergesetze z.B. dürfen nicht verändert werden.
- Die Erlasse müssen später vom Parlament gebilligt werden.
- Die belgische Premierministerin ist auch jetzt keine Diktatorin, sondern muss einen möglichst breiten Rückhalt bei den Parteien suchen. Warum sonst setzt man alle Ministerpräsidenten aufs Podest bei den Pressekonferenzen?
- Sehr wahrscheinlich werden die Sondervollmachten nicht verlängert.
- Schon jetzt laufen Kontakte für eine neue Regierung.
Kein gutes Umfeld für „Schalten und Walten“ nach Wilmès‘ Belieben…