"Wir kommen jetzt massenhaft raus", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins. "Passt bloß auf", warnt Gazet van Antwerpen seine Leser auf seiner Titelseite. Beide Zeitungen beziehen sich auf die eigentlich erst ab Sonntag geltenden neuen, gelockerten Besuchsregeln. Viele Belgier scheinen aber schon jetzt mit quasi endlich wiedergefundenen Freunden und Familienmitgliedern das gute Wetter genießen zu wollen.
Die sogenannte "Vierer-Regel" ist auch das Thema in einigen Leitartikeln. Demnach dürfen die Menschen als Lockerung der Coronavirus-Schutzmaßregeln eben ab diesem Sonntag wieder bis zu vier, immer gleiche Besucher unter dem eigenen Dach empfangen.
Endlich dürfen wir unsere sozialen Kontakte wieder ausbreiten, scheint sich Gazet van Antwerpen zunächst zu freuen. Aber eben nur unter Befolgung strikter Regeln. Manche Menschen stehen vor schweren Entscheidungen; andere entscheiden sich, in ihrer Schutzblase zu bleiben, weil das Dilemma zu schwer wiegt oder die Angst vor dem Virus zu groß ist. Dass sich die Menschen so gestresst fühlen wegen etwas, was in früheren Zeiten ein einfacher Besuch bei Familie oder Freunden gewesen wäre, zeigt vor allem, welchen Einfluss das Coronavirus auf unser Leben hat. Wir setzen Sonntag einen großen Schritt in Richtung "neue Normalität". Wobei sich das doch eher vor allem eher nach "neu" als nach "Normalität" anfühlt". Wichtig ist, dass wir nicht die bisher geleisteten Anstrengungen zunichtemachen, dass wir uns an die Regeln halten. Es liegt bei uns, ob die Exit-Perspektiven tatsächlich zur Realität werden. Und ja, wir können das hinbekommen. Und sei es nur, weil wir gar keine andere Wahl haben, konstatiert Gazet van Antwerpen.
Die Entscheidung, welche vier Menschen man auswählt, ist hart, hält auch Het Nieuwsblad in seinem Kommentar fest. Und ist sie einmal getroffen, müssen sich alle Personen eines Haushalts daran halten. Es wird zumindest für eine Weile dann keinen Schritt zurück, und erst recht nicht zu einer anderen Personenwahl geben. Wer jetzt meint, gegen die seit gestern glasklar formulierten Regeln verstoßen oder sie zu frei auslegen zu müssen, geht ein enormes Risiko ein – und zwar für sich und für alle Menschen im Land. Eine echte Kontrolle ist zwar nicht möglich, aber man vertraut eben darauf, dass wir uns an die Regeln halten. Lasst uns dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Wir schließen morgen einen alternativen Gesellschaftsvertrag. Und es ist klar: Wenn wir uns danebenbenehmen, dann ist der nächste Schritt nicht nach vorne, sondern zurück in den Lockdown. Es liegt in unserer Hand, appelliert Het Nieuwsblad.
"Wir sind jetzt selbst die Regisseure"
Für De Standaard steht die Entschlüsselung der "Vierer-Regel" stellvertretend für die Handhabung der Corona-Krise. Es bleibt ein Suchen und Tasten, ein Drehbuch gibt es nicht. Der Feind ist nicht nur unsichtbar, sondern verhält sich auch noch dynamisch. Damit wird das Wort "Sicherheit" zu einem irreführenden Begriff. Dass viele Maßnahmen von begründeten Zweifeln begleitet werden, ist das Ergebnis einer Abwägung: mögliche Ausbreitung des Virus gegen ein vorsichtiges Wieder-Hochfahren der Wirtschaft.
Noch stehen uns viele Lockerungsschritte bevor. Der größte Fehler, den wir machen können, ist, zu glauben, dass das Schlimmste bereits hinter uns liegt. Mehr denn je gilt: Freiheit muss Hand in Hand gehen mit Verantwortungsbewusstsein. Wir sind jetzt selbst die Regisseure des Exits aus der Corona-Krise, betont De Standaard.
Die Uhr tickt trotz Corona weiter
Het Belang van Limburg erinnert daran, dass die Pandemie vielleicht manch andere Probleme und Herausforderungen in den Hintergrund gedrängt hat - verschwunden sind sie deshalb aber sicher nicht. Auch während der durch Corona "verlorenen" Monate tickt die Uhr nämlich unbarmherzig weiter. Dazu gehört nicht zuletzt der Klimawandel. Und damit verbunden die Mobilitätsproblematik. Sobald der Wirtschaftsmotor wieder läuft, werden auch die Staus wieder da sein. Während des Lockdowns haben wir die Vorteile des Homeoffice entdeckt. Und auch festgestellt, dass man das Auto in Zukunft mal öfter stehen lassen könnte.
Es besteht wohl kein Zweifel daran, dass diese Einsichten einen positiven Einfluss haben werden. Reichen wird das aber nicht. Der Fuhrpark muss grüner werden, der Öffentliche Nahverkehr muss eine größere Rolle spielen. Weil es ohne Alternativen nicht wirklich eine echte Wahlfreiheit gibt, meint Het Belang van Limburg.
Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen?
Het Laatste Nieuws stellt sich in seinem Leitartikel die Frage, was wir als Gesellschaft bereit sind zu tun, um ein Leben mit dem Coronavirus zu bewerkstelligen. Das vor dem Hintergrund, dass bisher weder ein Impfstoff noch eine wirkliche Behandlungsmöglichkeit existieren. Die Idee eines Lebens in permanentem Lockdown ist unhaltbar in jeder Hinsicht: sozial, mental und auch wirtschaftlich. Und wir wissen, dass für jede Lockerung ein Preis zu bezahlen ist. Und zwar nicht in Euro, sondern in Menschenleben.
Die Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, lautet, schonungslos auf den Punkt gebracht: Wie viele vor allem ältere Menschen sind wir bereit zu opfern, damit die anderen wieder halbwegs so frei und normal leben können wie vor der Krise? Das wird eine lebenswichtige Entscheidung. Aber die Zahl Null ist keine Option. Wer wegen Corona das gesamte Leben paralysiert, richtet dadurch einen viel größeren Schaden an, warnt Het Laatste Nieuws.
Belgien entdecken
La Libre Belgique schließlich versucht der ganzen Situation etwas Positives abzugewinnen: Dieser Sommer ist vielleicht die Chance, um Belgien zu entdecken. Nicht nur, weil wir wahrscheinlich sowieso nicht wirklich in ferne und exotische Urlaubsziele reisen können werden. Wir meinen unser Land zu kennen, weil es so klein ist, aber im Endeffekt kennen wir es nicht besonders gut.
Lasst uns also dieses Jahr Belgien besuchen. Weil es ein schönes Land ist, weil man dadurch die lokale Kultur und den regionalen Tourismus unterstützen kann. Und es ist auch eine Chance, sich zu treffen und sich zu entdecken, meint La Libre Belgique.
Boris Schmidt