"Lockerung der Ausgangsbeschränkungen – Belgien steht vor einem ersten großen Test", heißt es bei La Libre Belgique auf Seite eins. "Phase eins unter Hochspannung!", so die Schlagzeile auf der Titelseite von La Dernière Heure. Und für das GrenzEcho ist es ein "Neustart mit Sorgenfalten".
Heute beginnt Phase 1a der Lockerung der Corona-Schutzmaßregeln. Hierzu gehört unter anderem, dass viele Betriebe wieder hochgefahren werden, sprich viele Menschen zum ersten Mal seit Mitte März zurückkehren an ihre Arbeitsstellen.
Het Belang van Limburg erhebt den heutigen 4. Mai zum "Feiertag" – es ist der Tag, der in die Geschichtsbücher Belgiens eingehen wird als der Tag, als wir den Lockdown verließen und das Wort "Perspektive" erstmals ein konkretes Gesicht bekam.
Das Nationale Krisenzentrum rechnet darauf, dass jeder von uns seine Verantwortung übernimmt. Dadurch sollen unnötige Diskussionen vermieden und eine zweite Corona-Welle und damit die Gefahr eines neuerlichen Lockdowns möglichst reduziert werden.
Wir sind ab heute mehr denn je auf unseren gesunden Menschenverstand angewiesen. Und das ist keine Selbstverständlichkeit für eine Nation der non-konformistischen Lebensgenießer, wie wir es sind, stellt Het Belang van Limburg fest.
Niemals vergessen...
La Dernière Heure ruft in ihrem Kommentar zur Vorsicht auf: Diese erste Phase läutet nicht die Stunde der Befreiung ein. Vielmehr bleibt "Weiter durchhalten" das Gebot der Stunde.
Wir dürfen niemals die harten Anstrengungen der letzten Wochen vergessen und in einigen Tagen das so Erreichte wieder zunichtemachen. Auch den schweren Tribut, den wir an die heimtückische Krankheit zahlen mussten, die bis vor zwei Monaten noch so gut wie unbekannt war und dann so plötzlich zuschlug, dürfen wir nie vergessen. Genauso wenig wie die erschöpfende, körperlich und psychisch harte Arbeit des Pflegepersonals, das sicher mehr verdient als die allabendlichen Applaus-Runden.
Und vor allem dürfen wir nie vergessen, dass wir noch weit davon entfernt sind, das Virus zu besiegen. Und dass damit die bekannten Verhaltensmaßregeln die beste Waffe in diesem Kampf bleiben, um eine Rückkehr zu einem Lockdown zu verhindern, appelliert La Dernière Heure.
Noch nicht angekommen, aber auf dem Weg
Auch Gazet van Antwerpen findet in ihrem Leitartikel mahnende Worte: Inzwischen wissen wir, dass das Virus jederzeit wieder sein hässliches Haupt erheben kann. Dass Vorsicht noch lange geboten sein wird. Dass die Lockerung ein langwieriger und langsamer Prozess wird. In den Betrieben wurden enorme Anstrengungen unternommen, um eine möglichst sichere Rückkehr zur Arbeit und zur Normalität zu ermöglichen.
Jetzt müssen wir sehen, wie die Bevölkerung mit den Lockerungen umgehen wird. Hoffentlich haben wir genug aus der Wiederöffnung der Containerparks, der Baumärkte und Gartencenter gelernt. Jetzt quasi alle Vorsicht fahren zu lassen und die Regeln zu übertreten, wäre auch ein Schlag ins Gesicht für all die hartarbeitenden Menschen im Gesundheits- und Pflegesektor.
Heute ist der erste Tag, an dem wir, hoffentlich mit viel gegenseitigem Respekt und mit Rücksichtnahme, die Post-Corona-Zeit betreten. Wir sind zwar noch nicht angekommen, aber wir haben uns auf den Weg gemacht, so Gazet van Antwerpen.
De Morgen fordert nach der Krise eine politische Debatte und eine Aufwertung der Pflegeberufe – sowohl personell, als auch finanziell. Diese Menschen bilden – unter Gefahr für das eigene Leben – das Sicherheitsnetz zwischen uns und dem Virus. Um das zu ermöglichen, muss die Wirtschaft, die unser Gesundheitssystem speist, wieder auf die Beine kommen. Und das können wir nur alle gemeinsam erreichen. Was wir keinesfalls dürfen, ist, uns darauf zu verlassen, dass ein überfürsorglicher Staat oder die unsichtbare Hand des freien Marktes das schon für uns richten wird.
Das Coronavirus wird so lange es kann unbarmherzig Jagd machen auf die Schwächsten unter uns. Sie verdienen unsere vereinten Anstrengungen. Jeder von uns arbeitet jetzt für das Gesundheitssystem, nur so können wir das Virus daran hindern, unseren einmaligen Sozialstaat kleinzukriegen, glaubt De Morgen.
Nicht auf Sand bauen – und schon gar nicht auf Treibsand
L'Avenir beschwört in seinem Leitartikel sogar das Gespenst eines neuerlichen Lockdowns. Wir sind noch nicht einmal aus dem einen Lockdown heraus, da brüten die Experten schon darüber, wie man Ausgangsbeschränkungen wieder einführen könnte.
Immer mehr Wissenschaftler bestätigen, dass es zu einem Wiederaufflammen der Epidemie kommen wird. Die Frage ist nur wann und in welchem Ausmaß.
Und das Schweigen der Politik auch angesichts einer wachsenden Beunruhigung in der Bevölkerung kann man nur als verblüffend bezeichnen. Belgien verlässt heute den Lockdown, aber mit gedrückten Daumen, dass hoffentlich alles gutgehen wird. Und fragt sich dabei, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, noch einige Tage zu warten, um mögliche Schäden zu begrenzen, konstatiert L'Avenir.
Diese erste Phase der Lockerungen ist auch ein Test für die politisch Verantwortlichen, meint La Libre Belgique in ihrem Kommentar. Die haben sich bisher in dieser Krise nicht immer auf der Höhe gezeigt. Und in der jetzigen Phase, in diesem Klima der Angst vor einer zweiten Corona-Welle, erwarten die Bürger von der Politik eine klare und kohärente Kommunikation. Und hier muss man immer noch oft genug sagen: Fehlanzeige.
In vielen Bereichen des täglichen Lebens ist Unklarheit das vorherrschende Gefühl. Und eine effiziente Gesundheitsstrategie, die sich auf das Mitmachen der Menschen verlässt, die kann man nicht auf Sand bauen – und schon gar nicht auf Treibsand, kritisiert La Libre Belgique.
Boris Schmidt