"Premierministerin Sophie Wilmès muss jetzt eine Perspektive aufzeigen", titelt De Morgen. "Der Sicherheitsrat soll für Klarheit sorgen", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. "Wilmès kann sich keine neue Altenheim-Saga erlauben", meint Het Nieuwsblad. Das ist eine Anspielung auf das Chaos, das nach der letzten Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats entstanden war. Erst hatte es ja noch geheißen, dass die Bewohner von Altenheimen wieder Besuch empfangen dürften, kurze Zeit später wurde die Maßnahme dann allerdings zurückgenommen.
Einige Blätter haben offensichtlich wieder die Empfehlungen der Experten einsehen können, die die Regierung beraten. "Alle ab zwölf werden Masken tragen müssen", so etwa die Schlagzeile von Le Soir. "Gehen Sie nur noch maskiert vor die Türe", so formuliert es La Dernière Heure.
"Klarheit" fordert in jedem Fall auch La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Nach den Pleiten, Pech und Pannen rund um die Beschaffung von Gesichtsmasken; nach dem Chaos rund um die Altenheimbesuche, nach der regionalen Kakophonie um die Wiedereröffnung der Schulen und die geleakten Expertenberichte, nach alledem muss endlich Schluss sein mit den Misstönen! Diesmal sollte der Nationale Sicherheitsrat seine Beschlüsse so präzise wie möglich ausformulieren. Erstmal wäre das im Sinne insbesondere der Wirtschaft, die sich klare Richtlinien wünscht. Aber, wichtiger noch: Hier geht es um das Vertrauen der Menschen in ihre Institutionen.
Druck vom Kessel nehmen
Und hier geht es auch um die Motivation beziehungsweise die Bereitschaft der Bürger, weiter die Regeln zu befolgen, scheint Het Nieuwsblad einzuhaken. Es ist offensichtlich: Eine Lockerung der Ausgangsbeschränkungen ist nötig. Immer mehr Menschen schlagen die Regeln einfach in den Wind. Deswegen muss die Politik jetzt etwas den Druck vom Kessel nehmen. Wir brauchen jetzt neue Richtlinien, hinter die wir uns scharen können. Und das muss ein detaillierter Plan sein, mit klaren Regeln, die jeder nachvollziehen kann. Ansonsten verspielt die Politik ihre Glaubwürdigkeit.
Denn jetzt sind wir in einer entscheidenden Phase, meint De Morgen. Ab jetzt werden alle Regeln und Richtlinien auf die Goldwaage gelegt. Die Menschen müssen vor allem verstehen, warum sie dieses oder jenes tun oder lassen sollen. Das war in letzter Zeit nicht immer gegeben. Die Wiedereröffnung der Gartencenter oder der Baumärkte etwa hat Fragen aufgeworfen, nach dem Motto: Warum kann man gerade diese Geschäfte öffnen, und andere, in denen es vergleichbare Produkte gibt, warum diese nicht? Dadurch bröckelt der Rückhalt in der Bevölkerung für die Entscheidungen ab. Die Politik wird ein heikles Gleichgewicht finden müssen. Man möchte eigentlich nicht in ihrer Haut stecken...
Aber es ist die Politik, und nur die Politik, die diese Entscheidung treffen muss, mahnt Het Laatste Nieuws. Die medizinischen Experten werden den Nachdruck auf die Volksgesundheit legen; die Ökonomen werden dafür plädieren, jetzt doch eher den Fokus auf die Wirtschaft zu legen. Und es ist allein Aufgabe unserer gewählten Politiker, jetzt hier einen Mittelweg zu finden. Wir brauchen jetzt eine Perspektive. Dafür sind gleichermaßen Besonnenheit und Mut nötig. Wie heißt es so schön: "Yes, we can!"
Die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen, das wird eine delikate Angelegenheit, analysiert auch L'Echo. Man muss sich nur anschauen, was in Ländern passiert, wo dieser Prozess schon eingeleitet wurde. In Dänemark oder Norwegen etwa haben viele Eltern die Entscheidung, die Schulen wieder zu öffnen, schlichtweg boykottiert. Man sieht es: Überall laufen die Verantwortlichen wie auf rohen Eiern. Alles ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit und der Kommunikation.
De Tijd greift die Formulierung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel auf: "Wir bewegen uns auf dünnem Eis". Merkel hatte ja die Verantwortlichen in einzelnen Bundesländern davor gewarnt, die Zügel allzu sehr zu lockern. Nicht nur, dass das eine deutliche, unmissverständliche Warnung ist, Merkel signalisiert damit auch ganz klar, dass sie sich nicht hinter den Länderchefs versteckt, sondern dass sie sich verantwortlich fühlt für alle Deutschen. Und dass die Volksgesundheit oberste Priorität hat.
Skepsis ist erlaubt
Die Entscheidungen, die der Nationale Sicherheitsrat heute Abend zu treffen hat, das sind wohl die wichtigsten Entscheidungen seit dem Zweiten Weltkrieg, glaubt Le Soir. Im Mittelpunkt sollten in jedem Fall die Bürger stehen, jedenfalls keine strategischen Erwägungen. Es war erschütternd zu sehen, dass gleich wieder insbesondere die N-VA vermeintliche Gegensätze zwischen Flamen und Frankophonen suchen musste. Gut, dass Premierministerin Sophie Wilmès nochmal klargemacht hat, dass sie sich davon nicht beeinflussen lassen werde.
Wunder muss man heute Abend eher nicht erwarten, glaubt jedenfalls das GrenzEcho. Bestenfalls wird es für eine Reihe von kleinen Schritten zurück in die Normalität reichen. Frage ist nur: In welche Normalität? Immer deutlicher wird, dass nach der Krise nicht vor der Krise sein wird. So mancher hofft sogar darauf, dass die Welt nach der Krise vielleicht grüner und der Himmel blauer sein könnten. Das setzt aber voraus, dass jeder Einzelne künftig mehr Verantwortung übernimmt, statt alles Heil von der Politik zu erwarten. Wenn man sich die langen Warteschlangen vor den Drive-Ins der Schnellrestaurants anschaut, dann ist da aber durchaus Skepsis erlaubt.
Kleine Spielräume
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen wohl ein böses Erwachen erlebt, meint De Standaard. Zunächst gab es ja noch die Illusion, dass wir einfach nur auf eine Pausentaste gedrückt hätten. Und, dass wir dann, ab dem 4. Mai, einfach alles wieder hochfahren. Das wird nichts, das wissen wir inzwischen. Vielmehr werden wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Und es ist nicht auszuschließen, dass wir vielleicht auch zwischenzeitlich die Zügel wieder anziehen müssen. Im Moment vermitteln einige gerne den Eindruck, dass das Ganze bald hinter uns liegen wird. Das ist das, was viele Bürger vielleicht gerne hören wollen. Wer die Expertenberichte liest, der muss demgegenüber erkennen, dass die Spielräume sehr klein sind. Und das ist keine sonderlich aufbauende Erkenntnis.
Roger Pint