"Experten geben grünes Licht für Neustart im Mai", titelt heute De Tijd. Die flämische Wirtschaftszeitung beruft sich dabei auf den Bericht der Exit-Strategie-Gruppe. Was dort drinsteht, und worüber der Nationale Sicherheitsrat morgen entscheiden muss, hatte jemand der Presse zugespielt.
Unverantwortlich und widerlich
Wer ist dieser törichte Maulwurf, fragt Het Nieuwsblad. Wer hat da geleakt, und warum? Strategisches Leaken gehört zur politischen Kultur. Es passiert, entweder, um etwas zu torpedieren oder etwas zu forcieren. In diesem Fall kann es nur das Ziel gewesen sein, die wirtschaftlichen Korrekturen, die dort drinstehen, zu vollendeten Tatsachen zu machen. Das ist eine große Sorge von jedem im Krisenteam, aber vor allem die Toppriorität einiger Politiker. Wer den Entwurfsbericht geleakt hat, muss begreifen, dass er eine schwere Verantwortung trägt. Das Leaken untergräbt den Lockdown und schürt enorme Erwartungen, obwohl es nur ein Entwurf war. Das Leaken ist ein Messer im Rücken der Wissenschaftler. Sie haben die Kastanien aus dem Feuer geholt, als alle anderen sich unter dem Tisch versteckt hatten. Schamlos, unverantwortlich, widerlich und gefährlich ist das.
Auch Gazet van Antwerpen geht mit demjenigen hart ins Gericht, der dafür verantwortlich ist. Anscheinend sind hier Kräfte am Werk, die bereit sind, sogar die Krise zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Wem das schadet, ist klar. Das sind wir alle, und all die Menschen, die alles tun, um dieses Land so gut wie möglich aus dieser bizarren Zeit zu führen.
Mit einer Stimme, Madame!
Viele Zeitungen blicken gespannt auf den morgigen Nationalen Sicherheitsrat. Het Laatste Nieuws sieht da Premierministerin Sophie Wilmès in der Pflicht und fordert: Kommen Sie aus ihrem Bau, Madame Premierministerin. Hören Sie auf im Windschatten zu fahren, lassen Sie ihre Autorität spielen und sagen Sie uns morgen, nach dem Nationalen Sicherheitsrat, wo wir stehen. Was darf, und was darf nicht? Was jetzt, und was später? Lassen Sie die Politik mit einer Stimme sprechen, mit Ihrer. Verlieren Sie sich nicht in Details, seien Sie präzise und klar. Lassen Sie keinen Raum für Interpretationen.
Wetten, dass?
Auch Le Soir schaut schon auf die Pressekonferenz und die Reaktionen danach. Man darf drauf wetten. Nach der Pressekonferenz der Premierministerin wird kritisiert. Warum dieses Geschäft, warum diese Schuljahre, warum keine zehn Personen zum Abendessen einladen?
Man erwartet natürlich, dass die politisch Verantwortlichen, von Experten aufgeklärt, den Exit organisieren, möglichst methodisch, präzise und klar. Doch was machen wir in dem Ganzen? Wir werden nicht nur eine gewisse Freiheit wiederfinden, wir müssen sie auch verantwortlich ausleben, gegenüber unserer Gesellschaft, und müssen auch unseren Teil der Risiken tragen. Wir haben den Tod oder den Crash verhindert, in dem wir uns auf Pause gesetzt haben. Heute muss man uns die Schlüssel zurückgeben, da wieder rauszukommen. Aber wir müssen die wiedergewonnene Freiheit ausüben, wohlwissend, dass sie dort endet, wo das Überleben der Anderen beginnt.
Knirschen und Knacken
De Tijd schreibt dazu: Der Schock, mit dem das Coronavirus das wirtschaftliche Leben zum Stillstand gebracht hat, ist so außergewöhnlich, dass dem neugierigen Zuschauer klar wird: Unser Wohlstand wurzelt auf Menschen, die auf tausend unterschiedliche Art und Weise miteinander arbeiten. Als Lieferant oder Investor, als Kunde oder Berater, Transporteur oder Kontrolleur. Jetzt, wo das Virus ihn toxisch gemacht hat, entdecken wir, wie sehr unser Wohlstand durch menschlichen Kontakt gewachsen ist.
Und genau darin liegt der Haken bei der Suche nach der richtigen Exitstrategie. Denn von der Regierung dürfen wir nicht erwarten, dass sie den Bienenstock wirtschaftlicher Aktivität bis ins Detail organisiert. Wenn der Staat die richtigen Rahmenbedingungen schafft, passiert das von alleine. Aber die Übung wird schwierig, die Maschine wird nur mit Knirschen und Knacken wieder in Gang kommen.
La Libre Belgique stellt ebenfalls fest: Die Übung wird extrem gefährlich, Wirtschaft, Soziales, Bildung und Kultur müssen neu starten. Ein wahres Mikado. Auch wenn es nicht unsere besten Eigenschaften sind: Lasst uns versuchen, geduldig und tolerant zu sein.
A la belge
De Standaard kommentiert das Ganze so: Blind, tastend, stolpernd suchen wir den Ausgang aus dem Lockdown. Jeden Tag wächst die Erkenntnis, dass es ein langer und dunkler Tunnel wird. Die App, die alles löst, kommt nicht. Großangelegtes Testen ist auch noch nicht so weit. Mit Technologie und asiatischer Disziplin Kontrolle über unser Schicksal zu bekommen, ist also keine Option.
Wir müssen es "à la belge" tun. Improvisierend, mit unsicheren und manchmal verrückten Szenarien, selbstgebastelten Atemschutzmasken, viel Klebestreifen auf dem Boden und abwechselnden Tagen in der Schule. Bis sich jemand etwas anderes ausdenkt. Wir werden zu einer Anderthalb-Meter-Gesellschaft. Ohne einen Anhaltspunkt, außer der Kurve der Krankenhausaufnahmen. Das Verblüffende an dieser Krise ist, dass wir dieses sensationelle soziale Experiment so still und gelassen durchlaufen.
Volker Krings