"Zeit eine Entscheidung zu treffen", titelt heute De Morgen. Der Nationale Sicherheitsrat wird in den kommenden Tagen eine Exit-Strategie aus der Corona-Quarantäne festlegen. Für unser Land eine entscheidende Woche, schreibt die Zeitung. Bis Freitag muss der Plan stehen, für einen zügigen und verantwortungsvollen Exit aus dem Lockdown. Und in ihrem Leitartikel macht De Morgen deutlich: Liebe Politiker, entscheidet. Seid klar, und sorgt dafür, dass jeder weiß, wo er dran ist. Dann schaffen wir das auch.
Momentan bestehe da aber vor allem noch viel Unklarkeit, berichtet die Zeitung. Das gilt zum Beispiel für die sogenannten Tracking-Apps, mit der Coronapatienten per Smartphone schnell aufgespürt und dann isoliert werden können. Mehrere Entwickler wollen so eine App entwickeln, aber solange die Föderal- und die Regionalregierungen nicht festgelegt haben, was sie können und dürfen sollen, und was nicht, geht es da nicht voran.
Keine einfache Entscheidung
De Standaard kommentiert in diesem Zusammenhang: Die Coronakrise gibt der ethischen Debatte über den Schutz der Privatsphäre eine neue Dimension. Digitale Daten, die durch solche Apps gesammelt werden, können helfen, die Pandemie zu bekämpfen, und unter Kontrolle zu halten. Die privaten Daten haben eher wenig kommerziellen Wert, aber könnten der Volksgesundheit zugutekommen. Sie können auch dazu führen, dass unsere Freiheit nicht mehr so stark eingeschränkt werden muss, wie es momentan der Fall ist.
Wenn wir aber zwischen der Offenbarung privater Daten und der Einschränkung der persönlichen Freiheit abwägen müssen, wird die ethische Debatte ein bisschen komplizierter. Denn Privatsphäre und Freiheit sind Werte, die wir im Westen genießen. Zwischen beiden zu entscheiden, ist nicht einfach. Und noch schwieriger wird es, wenn mit der Aufgabe der Privatsphäre Leben gerettet werden können. Dass wir digitale Technologien im Kampf gegen das Virus nutzen werden, scheint immer wahrscheinlicher geworden. Höchste Zeit also, über die ethischen Fragen, die damit zusammenhängen, nachzudenken.
Relokalisierung scheint utopisch
L’Avenir fragt auf Seite Eins: "Hat die Globalisierung ihre Grenzen erreicht?" Die Coronakrise habe nämlich die Schwachstellen unseres Wirtschaftsmodells aufgezeigt. Die Globalisierung mache uns abhängig von anderen Ländern, vor allem von China. Doch alle wichtigen Aktivitäten wieder in Belgien anzusiedeln, sei schwierig. In ihrem Kommentar schriebt die Zeitung dazu: Die Lücken in unserer Versorgungskette, in einem so wichtigen Bereich, wie der Gesundheitsversorgung, laden doch zumindest dazu ein, sich Fragen zu stellen.
Doch trotz des besorgniserregenden Zustands, die Perspektive einer Relokalisierung der Wirtschaft widersetzt sich einer eingehenden Untersuchung. Das Gesetz der Produktion zu geringstmöglichen Kosten - und sei es auch am anderen Ende des Planeten - scheint stärker zu wiegen, als das Streben nach Veränderung. Vor allem auch, weil nach der Krise die Staaten und Unternehmen vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen und leeren Kassen stehen. Die Relokalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten, wie zum Beispiel mit den Atemschutzmasken, scheint vor dem Hintergrund der Kosten optimistisch, wenn nicht sogar utopisch. Alles umsonst also? Vielleicht nicht, wenn man sich bereit erklärt, das Modell neu zu definieren. Man könnte die Krise nutzen, um Globalisierung neu zu denken, und sie akzeptabler und kooperativer zu gestalten. Diese Herausforderung anzunehmen, scheint nicht ganz unmöglich.
Keine Lektionen bekommen
Gazet van Antwerpen beschäftigt sich mit den hohen Todeszahlen in Belgien. Bekanntlich führt Belgien mit 490 Todesfällen auf eine Million Einwohner die Weltrangliste an. Das kommt aber daher, dass wir alle möglichen Corona-Toten in den Seniorenheimen mitzählen. In anderen Ländern werden die aus der Statistik rausgehalten. In Italien soll die tatsächliche Zahl der Toten noch mal um die Hälfte höher liegen als berichtet. In US-Bundesstaat Florida soll die Situation in den Seniorenheimen so dramatisch sein, dass die privaten Betreiber, die damit viel Geld verdienen und der Gouverneur, der auf ihrer Seite steht, sich beide weigern, Opferzahlen zu veröffentlichen. Kurzum: Wir haben in dieser Angelegenheit mehr Lektionen zu erteilen, als zu bekommen.
Ausweglose Ideologie
Le Soir kommt auf den Aufruf von 123 Geisteswissenschaftlern zurück. Sie forderten am Wochenende, in der Krise das Menschliche in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu schreibt die Zeitung: Es sieht so aus, dass die politisch Verantwortlichen nicht verstanden haben, dass in die ganzen Kurven und Kennzahlen einige Variablen mit einfließen müssen. Zum Beispiel: Unsicherheit, Trauer, das Menschliche oder die Freiheit. Nachdem zu Beginn dieses Jahrhunderts die pluralistische Demokratie über die Diktatur des Proletariats triumphiert hatte, wurde der Neoliberalismus zur dominierenden Ideologie der Globalisierung.
Weil jeder Konsument rechnet und rationale Entscheidungen trifft, ist auch der Markt alleine rational. Die Covid-19-Krise beleuchtet auf grausame Weise die Ausweglosigkeit der Ideologie einer berechenbaren Welt und ihrer Biosphäre, sprich aller Lebewesen und ihrer Umwelt. Heute haben die Humanwissenschaften ihr Haupt erhoben und ein Angebot gemacht. Wird die Moderne andere Ressourcen, andere Möglichkeiten finden als die der Welt von gestern, die derzeit im Stillstand ist?
Volker Krings