"Der Leidensweg mit dem medizinischen Material geht weiter", titelt De Standaard. "Gleich zwei Pannen an einem Tag", schreibt De Morgen auf Seite eins. "Drei Millionen FFP2-Masken sind für den Mülleimer", so die Schlagzeile von La Dernière Heure. "Frickeleien mit medizinischem Material", prangert Het Nieuwsblad an.
Philippe De Backer, der Minister, der zuständig ist für den Ankauf von medizinischem Material, musste gestern gleich zwei Pannen einräumen: Erst gab es ein Problem mit den neuen Test-Kits; einigen wurde die falsche Bedienungsanleitung beigelegt. Viel schlimmer aber: Drei Millionen FFP2-Schutzmasken haben sich als nutzlos erwiesen. Diese FFP2-Masken sind ja bestimmt für das medizinische Personal, das an vorderster Front eingesetzt ist.
"Selbst Kaffeefilter würden besser funktionieren", schreibt Het Laatste Nieuws. Die Masken sollen jetzt nach China zurückgeschickt werden; nach Angaben von Philippe De Backer werde eine Rückerstattungsprozedur angestrengt.
Das "A-Team" steht in der Unterhose da
"Diese Saga ist inzwischen unerträglich geworden", wettert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. In den Krankenhäusern beziehungsweise den Alten- und Pflegeheimen lastet ein nie gekannter Druck auf den Schultern des Personals. Schuld ist aber nicht allein das überaus gefährliche Virus. Schuld ist auch die Politik mit ihrem Mangel an Weitsichtigkeit und Vorbereitung, die die Pandemie zunächst auf die leichte Schulter genommen hat. Noch vor ein paar Wochen verhielten sich unser politisches Personal und insbesondere die neun (!) zuständigen Gesundheitsminister wie Strandbesucher, die sich den Tsunami anschauen, der auf sie zurollt. Vor allem die unendliche Geschichte um die Schutzmasken ist inakzeptabel. Es kommt der Tag, an dem die zuständigen Minister Rechenschaft ablegen müssen.
La Dernière Heure ist noch schärfer. "In einem Wort: inkompetent", donnert das Blatt. Die Schutzmasken-Saga ist doch nur die Spitze des Eisbergs. Maggie De Block und Co. haben eine Panne nach der anderen produziert. Angefangen damit, dass sie das Coronavirus sträflich unterschätzt haben. Und nicht nur die Gewerkschaften fordern jetzt den Kopf von Maggie De Block. In jedem Unternehmen wären solche Manager längst vor die Türe gesetzt worden. Zum Glück gibt es noch die kleinen Leute, die Bürger, die dieses Land am Laufen halten.
Het Laatste Nieuws scheint hingegen die Verteidigung von Maggie De Block und auch des für die Ankäufe zuständigen Ministers Philippe De Backer übernehmen zu wollen: Ist das Maskendebakel wirklich eine neue dieser "typisch belgischen" Geschichten. Nein! Das ist auch schon anderen Ländern passiert, allen voran Frankreich und Deutschland. Dennoch: Vor allem im Süden des Landes sieht es so aus, als wäre Gesundheitsministerin De Block zum Abschuss freigegeben. Weil man das Ganze eben reduziert auf die Mundmasken. Was wir hier erleben, das ist denn auch, nennen wir es mal, eine "Mundmaskerade". Hier sollen einige Minister plötzlich für alles Übel dieser Welt verantwortlich gemacht werden. Man vergisst dabei, dass es viel schlimmer hätte kommen können.
"So einfach ist das nicht", scheint Het Nieuwsblad zu widersprechen. Die Seifenoper um die Schutzmasken, das ist und bleibt eine Echternacher Springprozession. Und das ist Gift für das Vertrauen. Eben die Equipe, die noch vor zwei Wochen als das "A-Team" hochgelobt wurde, diese Leute stehen jetzt in der Unterhose da. Durch diesen Vertrauensverlust werden Zweifel gesät, und das kann bis hin zu der Frage führen, ob die Ausgangsbeschränkungen überhaupt nötig sind.
"Haben wir unsere Senioren geopfert?"
Nach Flandern blickt jetzt auch der frankophone Landesteil besorgt auf die Alten- und Pflegeheime: "Großalarm in den Alten- und Pflegeheimen", titelt L'Avenir. Wie in Flandern sind auch im frankophonen Landesteil viel zu viele Bewohner von Alten- und Pflegeheimen an Covid-19 gestorben. "Große Verzweiflung in den Alten- und Pflegeheimen", schreibt Le Soir. In den Einrichtungen in der Wallonie und in Brüssel sind 800 Menschen an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben. Schuld sei insbesondere der Mangel an Schutzmasken und Tests.
"Die große Not der Alten- und Pflegeheime", schreibt La Libre Belgique. Die Schlagzeile von La Dernière Heure liest sich wie eine Anklage: "Behinderte und Senioren sind nicht prioritär", schreibt das Blatt. Diese Kritik kommt von der Christlichen Krankenkasse.
"Haben wir unsere Senioren geopfert?", fragt sich betroffen Le Soir. Haben wir unsere "Alten" im Stich gelassen? Ihrem Schicksal überlassen? Indem wir die Alten- und Pflegeheime für Publikumsverkehr geschlossen haben, dachten wir, wir würden die Menschen beschützen. Stattdessen haben wir Zeitbomben geschaffen. Und jetzt liegt das Schicksal unserer Eltern beziehungsweise Großeltern nicht mehr in unserer Hand...
Visionäre Politiker mögen sich schon mal warmlaufen
Einige Blätter denken schon an die Zeit nach der Krise. Das GrenzEcho stellt sich die Frage, ob die Politik nicht allzu hörig der Wissenschaft gefolgt ist. Die Experten sprechen aus ihrer Perspektive Empfehlungen aus. Nur haben sie die Grenze zur Politik überschritten. Es sind aber letztlich nur die Politiker, die am Ende Rechenschaft ablegen müssen. Sie werden den Bürgern erklären müssen, wo das Geld herkommen soll, das im Moment auf uns herabrieselt.
Politiker führen im Moment nicht, sie lassen sich führen, meint auch De Standaard. Im Moment geben die Wissenschaftler die Richtung vor. Es wird aber der Tag kommen, da müssen die Politiker wieder das Heft in die Hand nehmen. Wer aber glaubt, dass man doch einfach nur so weitermachen muss, wie vor der Krise, der wird sich auf die Nase legen. Ein "Weiter so" wird es nicht geben. Selbst eingefleischte Neoliberale müssen doch einsehen, wie wichtig ein schlagkräftiger Staat ist, um die Auswirkungen solcher Krisen abzufedern. Und viele von den Menschen, die im Moment das Land am Laufen halten, die verfügen nur über prekäre Arbeitsverträge. Bald wird die Stunde der Gerechtigkeit schlagen müssen. Was auch Steuergerechtigkeit beinhalten wird. Visionäre Politiker mögen sich bitte schon einmal warmlaufen...
Roger Pint