"EZB fährt groß auf, um der Krise entgegenzuwirken", titelt L'Echo. "Draghi dreht den Geldhahn wieder auf", schreibt De Tijd. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank hat es am Freitag auf die Titelseiten der beiden Wirtschaftszeitungen Belgiens geschafft. In den Leitartikeln dominiert das Thema auch bei den anderen Blättern.
Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, hat am Donnerstag die Konturen einer Schocktherapie vorgestellt, analysiert La Libre Belgique. Ziel ist es, die europäische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Dafür soll das historisch niedrige Zinsniveau beibehalten werden. Die EZB soll wieder Staatsanleihen aufkaufen, um die Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen, und außerdem den kriselnden Bankensektor mit riesigen Krediten versorgen.
Die Zukunft wird zeigen, ob Draghi der Zauberer die magische Formel gefunden hat. Er setzt jedenfalls darauf, dass er auf diese Weise Verbraucher und Unternehmen motivieren kann, Geld auszugeben und zu investieren. Man kann es Mario Draghi nicht zum Vorwurf machen, dass er sein ganzes Arsenal an Maßnahmen gegen die Krise nutzt. Aber die Geldpolitik hat ihre Grenzen. Es liegt nun an den Staaten, Verantwortung zu übernehmen. Sie müssen ihre Wirtschaft reformieren und die Bedingungen für den künftigen Aufschwung schaffen, mahnt La Libre Belgique.
Deutschland in der Pflicht
Le Soir sieht vor allem ein EU-Land in der Pflicht - und zwar Deutschland. Die nun angekündigten Maßnahmen werden bestenfalls eine beschränkte Wirkung haben. Wer kann glauben, dass eine erneute Senkung der Kosten für Kredite Unternehmen und Haushalte dazu bringt, mehr zu leihen und mehr auszugeben, während sich das Wirtschaftswachstum weltweit verlangsamt? Zusätzlich müssen die Länder, die finanziellen Spielraum haben - und das sagt auch Draghi -, ebenfalls Geld in die Hand nehmen. Er zielt damit, wenn auch nicht explizit, auf Deutschland ab. Wird diese Botschaft in Berlin ankommen? Man darf es bezweifeln. Politiker, Experten und die Öffentlichkeit dort sind von der "schwarzen Null" geradezu benebelt. Es ist Zeit, dass Deutschland zugibt, dass es am meisten von der Währungsunion profitiert und dass der Erhalt der Währungsunion einen Preis hat. Diese Wahrheit muss der deutschen Öffentlichkeit endlich klargemacht werden, fordert Le Soir.
De Tijd sieht in Draghis Ankündigungen vor allem eine Überreaktion: Die EZB hat in den vergangenen Jahren mit ihrer Politik des billigen Geldes die Wirtschaft nicht wieder in Gang gebracht. Stattdessen ist klargeworden, dass diese Politik auch negative Auswirkungen hat. Und dennoch legt Draghi noch einen drauf. Warum, ist nicht sofort klar erkennbar. Europa hat derzeit nicht mit einer Bankenkrise zu kämpfen. Es droht auch keine Deflation oder ein Börsencrash. Kurzum: Es gibt derzeit keine wirtschaftlichen Umstände, die diese außergewöhnlichen Maßnahmen rechtfertigen. Die EZB reagiert also über. Draghi will vor dem Ende seiner Amtszeit Ende Oktober noch ein Zeichen setzen. Und er macht außerdem das Bett für seine Nachfolgerin Christine Lagarde, glaubt De Tijd.
L'Echo hingegen ist skeptisch, was die Möglichkeiten von Lagarde als Draghi-Nachfolgerin angeht: Der amtierende EZB-Präsident geht aufs Ganze und spielt alle seine Karten. Wenn Lagarde von ihm übernimmt, wird er ihr keine Trümpfe mehr überlassen können, fürchtet L'Echo.
Operation: Wähler zurückgewinnen
Bei Gazet van Antwerpen wird es parteipolitisch: Die Zeitung analysiert, wie die CD&V mit ihrer Wahlschlappe bei den letzten Wahlen umgeht. In einem parteiinternen Bericht kommt die Partei zu dem Schluss, dass sie aus Angst, Wähler zu verlieren, keinen eindeutigen Kurs eingeschlagen hatte - und dadurch erst recht Wähler verloren hat.
Das Vorhaben für die nächsten Jahre bleibt dann aber dennoch sehr vage. Damit wird sie keine Wähler zurückgewinnen können. Vielleicht ist es ein Trost, dass es den anderen Zentrumsparteien genauso geht, schreibt Gazet van Antwerpen.
"Ein echtes Vorbild"
Mehrere flämische Zeitungen kommen in ihren Leitartikeln auf das Comeback der Tennisspielerin Kim Clijsters zu sprechen. Het Nieuwsblad singt eine Lobeshymne auf die Entschlossenheit der 36-Jährigen: Nach sieben Jahren Vollzeitmutterschaft hat sie sich gefragt: Was will ich wirklich in meinem Leben? Und nach eigenen Angaben hat sie die Antwort gefunden: ihren alten Job wiederaufnehmen - sie möchte wieder professionelle Tennisspielerin sein. Das ist eine herrliche Botschaft. Und tatsächlich eine inspirierende Entscheidung. Nicht nur für Tennisliebhaber, sondern für alle. Das sollte ein Ansporn für jeden sein, das zu tun, was man wirklich will. So gesehen ist Kim Clijsters ein echtes Vorbild, schwärmt Het Nieuwsblad.
La Dernière Heure nimmt mit einer Prise Humor die Entlassung von fünf Mitarbeitern der Gewerkschaft FGTB auf: Was kann die mächtigste Gewerkschaft der Wallonie dazu gebracht haben, eine solche Maßnahme zu ergreifen? Der maßgebliche Grund wird sein, dass es weniger Fälle von Arbeitslosigkeit zu bearbeiten gibt. Seit einigen Jahren freut sich die Regionalregierung nun schon darüber, dass die Zahl der Arbeitslosen stetig sinkt. Der Aufschwung der Wallonie hat also indirekt zur Folge, dass Arbeitsplätze verloren gehen, witzelt La Dernière Heure.
Peter Esser