"Di Rupo bekommt einen Korb", titelt Het Nieuwsblad. "Wer möchte regieren?", fragt Le Soir in seiner Schlagzeile. "Warum der Konföderalismus schon jetzt die künftigen Verhandlungen vergiftet", bemerkt La Libre Belgique auf Seite eins.
Die Zeitungen beschäftigen sich weiter mit der aktuellen Situation nach den Wahlen. Im Zentrum steht dabei die Aufforderung von PS-Chef Elio Di Rupo an die flämischen Parteien CD&V, OpenVLD, SP.A und Groen, eine Föderalregierung ohne die N-VA mitzutragen. Die N-VA ist in Flandern trotz Stimmenverlusten weiterhin die stärkste Partei.
Zum Vorschlag von Di Rupo kommentiert Le Soir: Das hätte sich Di Rupo sparen können. Solche Äußerungen vergiften die Atmosphäre. Es ist eine Provokation für die Flamen, dass ihre Wahlentscheidung für die N-VA im Grunde nicht berücksichtigt werden soll. Solche Vorschläge tragen nicht dazu bei, irgendetwas voranzubringen, ärgert sich Le Soir.
Alles nur politische Massage
Gelassener sieht es La Libre Belgique: Sowohl Di Rupo als auch N-VA-Chef Bart De Wever sind gewiefte Strategen. Man kann davon ausgehen, dass sie nichts dem Zufall überlassen. Vor diesem Hintergrund müssen die Äußerungen der beiden gewertet werden.
De Wever hat seht schnell nach den Wahlergebnissen den Konföderalismus wieder ins Spiel gebracht. Er weiß genau, dass das in der Praxis aktuell kaum realistisch ist. Di Rupo seinerseits hat etwas vorgeschlagen, was in Flandern als Tabu gilt, nämlich den Ausschluss der stärksten Partei von einer Regierung. Doch das alles ist eigentlich nur ein Vorspiel. Quasi ein Aufwärmen, eine politische Massage vor den eigentlichen Verhandlungen. Richtig ernst zu nehmen ist das alles nicht, beruhigt La Libre Belgique.
So sieht es auch L'Echo und führt aus: Was ist an dem Vorschlag von Di Rupo eigentlich schlimm? Im Grunde hat er den Flamen nur das vorgeschlagen, was die Wallonen in den vergangenen fünf Jahren gelebt haben, nämlich den Ausschluss einer sprachpolitischen Mehrheit in der Föderalregierung. Durch die MR als einzige frankophone Partei in der Schwedischen Koalition gehörten gerade einmal 20 frankophone Abgeordnete der Regierung an.
Denkbar sollte so etwas auf flämischer Seite auch sein. Von daher sollte sich die Aufregung über Di Rupo jetzt in Grenzen halten. Seine Aussage ist sowieso nur eine Anekdote am Rande. Man sollte sie abhaken und sich weiter auf die Regierungsbildung konzentrieren, rät L'Echo.
Ab in die Bedeutungslosigkeit
Het Laatste Nieuws sieht das anders: Als was spielt sich dieser Di Rupo da eigentlich auf? Sieht er sich als Retter des Vaterlands? Nichts mehr und nichts weniger als eine Koalition der nationalen Einheit ist es, die er da vorschlägt. Solche Koalitionen hat es durchaus schon gegeben, nämlich 1919 und 1945. Nach den großen Weltkriegen. Damals sollten sie dem Land neuen Schwung geben. Jetzt stünde zu befürchten, dass so eine Regierung wie ein Gips wirken könnte: Er hält zusammen, was auseinander zu fallen droht. Und im Inneren sterben gleichzeitig die Nerven ab. Wo ist der Wunderdoktor?, fragt hilflos Het Laatste Nieuws.
De Tijd meint: Der Vorschlag von Di Rupo stellt gerade die CD&V und die OpenVLD vor ein großes Problem. Ihre Empörung von gestern ist durchaus nachvollziehbar, denn sie müssen sich jetzt quasi entscheiden: Wenn sie sich nicht dazu bereit erklären, an einer Föderalregierung mitzuwirken, fördern sie den Zerfall des Landes. Und dafür stehen diese Parteien ja ganz und gar nicht. Wenn sie allerdings auf föderaler Ebene mit regieren – und damit die N-VA dort nicht vertreten sein wird – drohen CD&V und OpenVLD von der N-VA und dem Vlaams Belang aus der Opposition heraus in der Luft zerrissen zu werden. Um dann in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, analysiert de Tijd.
De Morgen beschäftigt sich mit den vielen Stimmen, die die beiden flämischen nationalistischen Parteien bekommen haben: Gut 40 Prozent der Flamen haben für diese V-Parteien gestimmt. Das heißt jedoch nicht, dass 40 Prozent der Flamen die Unabhängigkeit der Region möchte.
Viele haben die N-VA wegen ihres wirtschaftspolitischen Profils gewählt, viele den Vlaams Belang wohl rein aus Protest. Doch kann man es Bart De Wever nicht verdenken, dass er jetzt mit den 40 Prozent in den Rücken seine Idee der flämischen Unabhängigkeit wieder auspackt. Unverhofft ist sein Traum wiederbelebt. Die beiden V-Parteien können Belgien blockieren. Es kann gut sein, dass Bart De Wever diese Karte spielen wird, orakelt De Morgen.
Nationalistische Agenda – Nicht nur in Flandern
Ähnlich notiert Gazet van Antwerpen. Der Politologe Bart Maddens entwirft ein düsteres Bild. Die traditionellen Parteien in Flandern haben alle verloren. Sie tendieren Richtung Bedeutungslosigkeit. Wenn das so weitergeht, könnten die flämisch-nationalistischen Parteien bei den nächsten Wahlen durchaus die Mehrheit in Flandern bekommen. Die nächsten Wahlen sollen 2024 stattfinden. Doch wer weiß, ob sie nicht schon früher nötig sind, befürchtet Gazet van Antwerpen.
L'Avenir schaut unterdessen nach Frankreich und bemerkt: Die Europawahlen haben in unserem Nachbarland die neue Bipolarität der Gesellschaft befestigt. Eine rechtsextreme Partei und eine liberal-demokratische Partei stehen sich gegenüber. Die anderen traditionellen Parteien sind verschwindend klein geblieben. Wohin genau so eine Zweier-Konstellation führen kann, hat die Geschichte auf erschreckende Weise gezeigt, mahnt L'Avenir.
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