"Zeit, Farbe zu bekennen", titelt Gazet van Antwerpen. De Morgen bringt auf Seite eins die Köpfe der Vorsitzenden der sieben größten flämischen Parteien. Überschrift: "Was werden sie machen und wer muss das bezahlen?" Het Nieuwsblad hat sich etwas Besonderes einfallen lassen: Die Zeitung präsentiert sechs mögliche Titelseiten für den Montagmorgen. Sechs Titelseiten für sechs mögliche Wahlsieger. "Sie haben die Wahl", wendet sich das Blatt an seine Leser.
Kein Zweifel: Alle Augen richten sich jetzt auf den morgigen Sonntag. Die meisten Zeitungen präsentieren noch einmal die wichtigsten Inhalte der großen Parteien. "Die Themen, die die Menschen beschäftigen", so die Schlagzeile von De Standaard. "Drei Wahlen, 15 Schwerpunkte", titelt Le Soir. La Libre Belgique stellt die "Blickpunkte der Dreifach-Wahl" vor. Nur zur Erinnerung: In Flandern und in der Wallonie wird für drei Parlamente gewählt. Die Gemeinschaftsparlamente werden ja indirekt durch die Regionalräte zusammengestellt. In Ostbelgien sind es denn auch vier Wahlen, weil das PDG direkt gewählt wird.
Auch kleine Verschiebungen können große Folgen haben
De Tijd beschäftigt sich mit einer ganz besonderen Gruppe von Wählern, nämlich den Nichtwählern. "Angst vor einer Wahl der Anti-Politik", so die Schlagzeile. Nach einem Wahlkampf ohne wirkliche Wahlkampfthemen wird befürchtet, dass viele Bürger zuhause bleiben, weiß wählen oder ihre Stimme dem rechtsextremen Vlaams Belang geben. Umfragen sagen Flandern ja einen neuen "Schwarzen Sonntag" voraus.
"Sie haben jetzt endlich das Wort", wendet sich De Standaard in seinem Leitartikel an seine Leserinnen und Leser. "Dann machen Sie von diesem Recht auch Gebrauch", so der Appell.
Klar: Zumal nach einem solchen Wahlkampf mag der eine oder andere nicht wirklich einen starken Drang verspüren, am Sonntag zur Wahl zu gehen. Die letzten fünf Jahre waren auch mitunter zum Abgewöhnen.
"Die kriegen es doch nicht auf die Reihe", hört man häufiger mal verärgerte Wähler sagen. Und entsprechend wird der eine oder andere wohl weiß wählen. Dazu nur soviel: In Belgien ist Wählen zwar eine Pflicht, es bleibt aber in erster Linie ein Recht, um das uns andere beneiden.
Zu wählen, das bedeutet aber nicht, dass man alles kriegt, was man will. Jede Stimme ist letztlich nur ein Tröpfchen. Aber auch in Belgien können kleine Verschiebungen große Folgen haben, meint De Standaard.
Das GrenzEcho schließt sich dem an: In Belgien haben wir das Glück, dass freie und faire Wahlen durchgeführt werden können. Jeder sollte also von seinem demokratischen Recht Gebrauch machen, mit seiner Stimme den Kandidaten oder die Partei seines Vertrauens ins Parlament zu delegieren.
Was den Bürger zusätzlich motivieren würde, das wären aber Parlamente, die ihre demokratische Aufgabe auch wahrnehmen. Wenn sie sich wie reine Abnick-Kammern verhalten, darf man sich nicht wundern, wenn der Wähler seine Rolle auch nicht ernst nimmt, findet das Grenzecho.
Het Belang van Limburg warnt davor, die Weiß- oder Nichtwähler als mehr oder weniger normales Phänomen abzutun. Oft wird so getan, als handele es sich hier einfach nur um desinteressierte, dumme und wahrscheinlich rechtsextreme Menschen. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Oft sind es einfach nur Bürger, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Sie haben das Gefühl, dass ihre Stimme nutzlos ist.
Dass in der Rue de la Loi ohnehin nur gestritten wird, statt sich um die Sorgen und Nöte der Bürger zu kümmern. Das Resultat von alledem sind dann Grün- beziehungsweise Gelbwesten und Weißwähler. Leider gelingt es der Politik nicht, die Wähler davon zu überzeugen, dass die übergroße Mehrheit der politisch Verantwortlichen hart arbeitet und in der Regel sehr engagiert ist.
Persönliche Ambitionen statt konkreter Vorschläge
Leider ist der Wahlkampf dem Ereignis aber nicht gerecht geworden, beklagt Het Nieuwsblad. Statt Inhalten haben wir Vetos und Feindbilder bekommen. Statt konkreten Vorschlägen haben wir persönliche Ambitionen bekommen: Bart De Wever will Ministerpräsident werden. Jan Jambon will Premier werden, weil eben dieser De Wever das so will.
Charles Michel will Premier werden, weil er es schon ist. Elio Di Rupo will Premier werden, weil er es mal war. Und Gwendolyn Rutten will Premier werden, weil ihr gerade nichts Besseres eingefallen ist. Was sie alle mit dem Land vorhaben, das haben sie aber vergessen, uns zu erzählen.
Genau da hakt auch De Morgen ein: Zum Beispiel hat uns auch niemand gesagt, wie genau das Haushaltsloch gestopft werden soll. Nur zur Erinnerung: Das Planbüro beziffert das Haushaltsdefizit allein für dieses Jahr auf 7,5 Milliarden Euro. Mindestens. Die Leichtfüßigkeit, mit der die Politik um diese Feststellung herumtänzelt, kann einem Angst einjagen.
Auch De Tijd warnt vor dem Realitätscheck. Alle Parteien haben uns in den letzten Wochen dargelegt, wie sie das Geld ausgeben wollen. Wo es herkommen soll? Fragezeichen. Dieser Zustand der Realitätsverweigerung, der endet morgen Abend.
Ab Montag: Im Interesse der Bürger handeln
Es wäre schon mal schön, wenn die Politik ab jetzt auch mal weiter denken würde, als die Nase reicht, wünscht sich L'Echo. Schluss mit dem kurzfristigen Denken. Wir brauchen Ambitionen und Visionen. Auch das erwarten wir von unseren zukünftigen Volksvertretern.
Diese Wahl ist von kapitaler Bedeutung, erinnert denn auch noch einmal La Libre Belgique. Hier geht es letztlich um die Frage, welche Koalition in den nächsten fünf Jahren die Geschicke des Landes lenken wird. Mitte-Rechts? Zentrum? Mitte-Links? Eine klassische Dreier-Koalition? Oder doch der Regenbogen?
Nach dem Wähler müssen aber auch die Parteipräsidenten auf ihre Vernunft hören. Die Frage lautet: Werden sie die Interessen des Landes vor Augen haben oder doch nur die ihrer Partei? Davon wird die Stabilität des Landes abhängen. Es wäre schön, wenn wir am Montag aufwachen in einem starken Belgien mit starken Regionen – und das alles eingebettet in einem starken Europa.
Apropos Montag: "Nur zur Info: Dann ist der Wahlkampf vorbei", wendet sich Le Soir an die Parteien. Nach der Wahl muss die Politik verantwortungsvoll mit den Wählerstimmen umgehen. Heißt: im Interesse der Bürger handeln. Auf politische Strategiespielchen sollte man da tunlichst verzichten.
Bei so manchem könnte die Versuchung ja groß sein, die eine oder andere Machtebene zu blockieren. Und permanente Streitereien wie in den letzten fünf Jahren wollen die Bürger auch nicht mehr sehen. Der nächste Wahlkampf ist erst wieder in fünf Jahren.
Roger Pint