"Unternehmensbosse richten Weckruf an die Politik", titelt de Tijd. "Das Land braucht Ambitionen", so der Aufmacher bei L'Echo. Die beiden Wirtschaftszeitungen veröffentlichen einen offenen Brief von knapp zwei Dutzend führenden Unternehmensbossen an die Politik. Darin rufen die Unternehmer die Politiker auf, eine Langzeitvision für das Land zu entwickeln. Damit dem Stillstand, wie die Unterzeichner es schreiben, endlich ein Ende gesetzt wird.
Dazu kommentiert L'Echo: Das ist ein mutiger Aufruf, ein wichtiger und ein richtiger. Belgien fehlt eine Vision für die Zukunft, ein Langzeitziel, auf das man Schritt für Schritt zusteuert. Vielmehr herrscht Stillstand. Bei so wichtigen Fragen wie Einwanderung, Mobilität, Energie, Vergreisung oder auch Wandel zur digitalen Gesellschaft fehlen diese Visionen. Das ist aber keine Fatalität. Daran kann man etwas ändern. Unsere Politiker sollten das tun. Unbedingt. Sie können es auch. Sie müssen sich nur entscheiden, es zu wollen, unterstreicht L'Echo.
Windstille im Wahlkampf
De Standaard stellt einen Stillstand anderer Art fest und führt aus: Drei Wochen vor den Wahlen geht es erstaunlich ruhig zu in der belgischen Politik. Im Wahlkampf herrscht eine seltsame Windstille. Kein Thema hat sich bislang als das zentrale herauskristallisiert. Keine Debatte wird heftig über Tage und Wochen hinweg geführt. Dabei hatten die Parteien selten so viel Zeit, sich in Ruhe auf den Wahlkampf vorzubereiten, hatten sie selten so viel Geld in der Kasse, hatten sie so viele Medienstrategen auch für die sozialen Netzwerke. Ob sich das plötzlich nochmal ändern wird vor dem 26. Mai?, fragt sich De Standaard.
Von einem gut geführten Wahlkampf könnten zumindest einige Parteien profitieren, glaubt De Morgen. Denn, so führt die Zeitung aus: Es gibt rund eine Million Wähler in Belgien, die bei den vergangenen Kommunalwahlen eine ungültige Stimme abgegeben haben. Anders als man im ersten Moment denken möchte, sind das nicht alles uninteressierte Menschen. Ganz im Gegenteil. Viele von ihnen sind sehr wohl an Politik interessiert, sind aber enttäuscht, wie Politik in Belgien funktioniert. Die Streitigkeiten in der Rue de la Loi, die Allmacht der Parteivorsitzenden, das oft zu unambitionierte Handeln der Parteien. Das alles geben Bürger an, die der Fernsehsender Canvas für sein Programm "Blanco" befragt hat, das ab Dienstag ausgestrahlt wird. Die Politiker sollten sich das zu Herz nehmen und versuchen, diese Menschen für sich zu gewinnen, wünscht sich De Morgen.
Die Vision von Bart De Wever
N-VA-Chef Bart De Wever hat gestern in Antwerpen sein neues Buch vorgestellt. In dem Buch geht es um "Identität". De Wever stellt darin sein Konzept für eine künftige Einwanderungspolitik vor. Le Soir kommentiert: Man könnte es sich einfach machen und gegen De Wevers Ideen poltern. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Denn De Wever macht durchaus viel richtig. Er greift das Gefühl der Menschen auf und bietet Lösungen an. Die Menschen in Belgien, das zeigen auch jüngste Umfragen wieder, haben Angst vor zu viel Einwanderung. Die Gründe dafür sind vielleicht diffus. Aber man muss diese Menschen und ihre Sorgen ernst nehmen. De Wever macht das. An ihm sollten sich andere Politiker ein Beispiel nehmen. Nicht über Einwanderung zu sprechen löst das Problem nicht. Andere Politiker sollten mit anderen Ideen kommen, die dann vielleicht auch etwas humaner sind, als die von Bart De Wever, fordert Le Soir.
Auch Gazet van Antwerpen findet: Bart De Wever wünscht sich ein Einwanderungssystem, das dem der USA ähnelt. Es stellt Anforderungen an diejenigen, die künftig in Flandern leben möchten. Grundsätzlich ist daran nichts falsch. Bewusst definiert De Wever Identität auch als dynamisch, als nichts, das für ewig festgelegt wird. Er bietet eine Grundlage für eine Diskussion über sinnvolle Einwanderung, freut sich Gazet van Antwerpen.
Zwischen Glanz und Elend
L'Avenir schreibt zum letzten Sitzungstag des Wallonischen Parlaments: Überraschend gut war gestern die Stimmung in der Volksversammlung von Namur. Vielleicht, weil alle froh waren, dass es jetzt vorbei ist. Denn die Legislaturperiode hat katastrophal geendet, nachdem sie so glänzend begonnen hatte: PS und CDH regierten mit einer satten Mehrheit. Die Welt schaute auf die Wallonie, als das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU, Ceta, am wallonischen Widerstand zu scheitern drohte. Doch dann kam der Skandal um Publifin, der letztlich zum Ende der PS-CDH-Koalition führte. Die hauchdünne Mehrheit von MR und CDH zerbrach vor wenigen Wochen durch den Abgang einer Politikerin. Und dann wurde noch der CDH-Fraktionsführer Dimitri Fourny der Wahlmanipulation in seiner Gemeinde Neufchâteau beschuldigt. Was für ein Kontrast zwischen Anfang und Ende dieser Legislaturperiode, stellt L'Avenir fest.
Auf den gestrigen Tag der Pressefreiheit kommt das GrenzEcho zurück und schreibt: Wir in Ostbelgien können uns glücklich schätzen, das wir noch eine halbwegs intakte und konkurrierende Medienlandschaft haben: mit einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, einer unabhängigen Tageszeitung und einigen anderen Akteuren, die eher in Nischen operieren. Viele Städte vergleichbarer Größe haben das längst nicht mehr. Ihre Bürger sind auf den Einheitsbrei an journalistischen Informationen angewiesen, der anderswo produziert wird. Weltweit gibt es viele Journalisten, die wegen ihrer Artikel oder ihrer Recherchen ihr Leben verlieren oder hinter Gitter landen. Viele Kollegen träumen deshalb von Zuständen wie bei uns, erinnert das GrenzEcho.
Kay Wagner