"Geneviève Lhermitte ist schon frei!", so die fast schon anklagende Schlagzeile von La Dernière Heure. Geneviève Lhermitte hatte vor zwölf Jahren in Nivelles ihre fünf Kinder getötet. Im Anschluss wollte sie sich das Leben nehmen, das misslang aber. Ende 2008 war sie zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Insgesamt, inklusive der Untersuchungshaft, hat sie also gerade einmal zwölf Jahre im Gefängnis gesessen.
Nur: "Wird Geneviève Lhermitte wirklich auf freien Fuß gesetzt?", fragt sich nuancierter L'Avenir. Es ist nämlich so: Die vorzeitige Haftentlassung wurde an strikte Auflagen geknüpft. Lhermitte darf das Gefängnis nur verlassen, wenn sie in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung überwiesen werden kann.
Grausiger Zufall, aber in Flandern gab es gerade einen ähnlichen Fall: "Polizeibeamter tötet seine Frau und seine zwei Kinder", titelt Gazet van Antwerpen. Am Mittwochabend hat ein 50-jähriger Mann seine Frau und seine zwei neun und elf Jahre alten Kinder in Wijnegem bei Antwerpen erschossen. Nach der Tat beging er Selbstmord. Man geht davon aus, dass er seine Dienstwaffe benutzt hat, die er kurz zuvor noch von seiner Arbeitsstelle geholt hatte. Het Laatste Nieuws scheint schon Näheres über das Motiv zu wissen: "Polizist tötet seine Familie, weil seine Frau sich scheiden lassen wollte".
Der jämmerliche Zustand der belgischen Justiz
Einige Leitartikler beschäftigen sich mit der Justiz in ihrer Gesamtheit, genauer gesagt mit dem Strafvollzug. Anlass ist eine neue Maßnahme des föderalen Justizministers Koen Geens. Demnach müssen alle Straftäter, die zu einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, auch tatsächlich in Haft. Bislang war es so, dass in Fällen mit einem Strafmaß von weniger als drei Jahren in aller Regel auf die elektronische Fußfessel zurückgegriffen wurde.
So, so, wer zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird, muss also ab jetzt tatsächlich ins Gefängnis, frotzelt Gazet van Antwerpen. Im Grunde ist das ja das Logischste der Welt, nur in Belgien bisher nicht. Dieser inkonsequente Strafvollzug war Polizisten und Magistraten schon lange ein Dorn im Auge. Koen Geens hat immer geltend gemacht, dass die Gefängnisse hierzulande heillos überbelegt seien. Das mag so sein. Das hat die Sache aber nicht akzeptabler gemacht.
Het Nieuwsblad sieht das genauso: Dass Haftstrafen von weniger als drei Jahren in aller Regel nicht vollstreckt wurden, sorgte letztlich für ein Gefühl der Straffreiheit. Bei Polizei und Justiz war man deswegen seit langem frustriert. Das Argument der überbelegten Haftanstalten war im Grunde ohnehin nur die Spitze des Eisbergs. Jede Debatte über das Justizwesen endet doch immer bei derselben Feststellung: Es fehlt das Geld. Kein Geld für Gefängnisse, kein Geld für Computer, kein Geld für Personal. Im Wahlkampf hören wir bislang viele neue Ideen über sozialwirtschaftliche Themen. Man kann nur hoffen, dass auch die Justiz noch eine Rolle spielen wird.
Denn ja, die belgische Justiz ist in einem jämmerlichen Zustand, bekräftigt auch L'Avenir. Zugegeben: Man kann Koen Geens nicht vorwerfen, untätig geblieben zu sein. Und der Justizminister ist auch längst nicht allein verantwortlich für den derzeitigen Zustand. Seine zahlreichen Vorgänger haben auch zu wenig dafür getan, um die Justiz wirklich ins 21. Jahrhundert zu führen. Am Vorabend der Wahlen sollten sich die politisch Verantwortlichen noch einmal daran erinnern, dass es Kernaufgaben des Staates gibt, die per Definition nicht rentabel sein können.
Kriminelle wollen Bitcoins von Lebensmittelfirmen erpressen
Beunruhigende Nachricht auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Erpresser drohen damit, Nahrungsmittel zu vergiften", so die Schlagzeile. Anonyme Erpresser verlangen Geld von einigen belgischen Traditionsunternehmen in der Lebensmittelbranche. Sie verlangen 300.000 Euro in Bitcoins. Ansonsten drohen die Täter damit, die Produkte der Firmen zu vergiften.
Im Visier der Kriminellen sind offenbar die Unternehmen IJsboerke, Jules Destrooper und Devos-Lemmens, aber auch ausländische Produzenten wie Lavazza oder Ferrero.
Die N-VA verspricht...
"Die N-VA will keinen neuen Indexsprung", titelt derweil Het Belang van Limburg. "Die N-VA will einen neuen Tax-Shift zugunsten der Mittelschicht", bemerken ihrerseits Het Laatste Nieuws und De Tijd. Die flämischen Nationalisten haben am Donnerstag ihr sozialwirtschaftliches Programm präsentiert. Demnach will die Partei von Bart De Wever also diesmal die automatische Anpassung der Löhne und Sozialleistungen an die Lebenshaltungskosten nicht antasten. Zugleich verspricht sie Steuersenkungen. Das Rezept: Man müsse dafür sorgen, dass die Beschäftigungsrate steigt, sprich, dass mehr Menschen im arbeitsfähigen Alter auch tatsächlich arbeiten.
Eigentlich führt die N-VA hier schon den Wahlkampf für das Jahr 2024, analysiert De Standaard. Der Punkt ist nämlich: Vieles von dem, was der Partei vorschwebt, liegt gar nicht in der Zuständigkeit des Föderalstaates. Konkret: Spricht man von der Beschäftigungsrate, dann ist damit eigentlich die Situation in Brüssel und in der Wallonie gemeint. Nur liegt die dortige Arbeitsmarktpolitik allein in der Hand der entsprechenden Regionen. Gleiches gilt für das Unterrichtswesen. Im Grunde soll also die Zeit die Arbeit verrichten. Denn die letzte Staatsreform sieht vor, dass die Geldtransfers vom Norden in den Süden schon bald abnehmen sollen.
Das Foto von Jan Jambon prangt im Übrigen auch auf den Titelseiten einiger frankophoner Zeitungen. Jambon ist ja ausdrücklich der Kandidat der N-VA für den Posten des Premierministers. "Ich wäre aber auch der Premierminister der Frankophonen", sagt Jambon auf Seite eins von La Dernière Heure. Und auch in La Libre Belgique sendet er versöhnliche Signale gen Süden: "Frankophone, habt keine Angst vor der N-VA".
Roger Pint