"Paris erwacht", titelt Het Belang van Limburg. "Nach dem Inferno", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Nach dem Feuer: Ruinen und Fragen", so die Bestandsaufnahme von L'Echo.
Viele Zeitungen bringen am Mittwoch auf ihren Titelseiten Fotos, die das Ausmaß der Schäden an der Pariser Kathedrale Notre-Dame nach dem verheerenden Brand vom Montagabend zeigen. La Libre Belgique und Het Nieuwsblad veröffentlichen Luftbilder, die den völlig zerstörten Dachstuhl dokumentieren. Bei Het Belang van Limburg und L'Avenir Fotos aus dem Innenraum. Besonders markant ist das goldene Kreuz über dem Altar; beide Kunstwerke scheinen die Katastrophe einigermaßen schadlos überstanden zu haben.
"Wiederaufbauen um jeden Preis", so jedenfalls die Schlagzeile von Le Soir. Diese Parole hat der französische Präsident Emmanuel Macron persönlich ausgegeben. Und er hat damit der Nation ein ehrgeiziges Ziel gesteckt. Und das steht auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Fünf Jahre Arbeit", schreibt das Blatt, fügt aber das Wörtchen "mindestens" hinzu. Experten gehen nämlich davon aus, dass der Wiederaufbau zehn bis 15 Jahre in Anspruch nehmen könnte.
Eine moralische Pflicht
Ein Bauwerk wie die Notre-Dame wieder aufzubauen, ist quasi eine moralische Pflicht, meint sinngemäß L'Avenir. Wir müssen dieses fantastische architektonische Erbe für die künftigen Generationen bewahren. Technisch ist natürlich so ziemlich alles möglich. Wobei wir zugeben müssen, dass wir einige der Fähigkeiten und Geheimnisse der mittelalterlichen Baumeister heute nicht mehr nachvollziehen können. Klar: Die Notre-Dame des 21. Jahrhunderts wird nicht mehr über den Charme ihres mittelalterlichen Dachstuhls verfügen. Die Eichenbohlen werden nicht mehr knirschen. Aber sie wird noch stehen. Mit ihren Narben.
Die Pariser Notre-Dame ist und bleibt ein Symbol der europäischen Kultur, ist De Standaard überzeugt. Das gotische Meisterwerk ist die steingewordene Erhöhung des Glaubens, ein Denkmal für den tiefchristlichen Glauben des Mittelalters. Aber auch die Wiege unserer Kultur. Denn dieser brillante Ausdruck damals neuer Bautechniken verbreitete sich von Paris aus über ganz Europa. Die Betroffenheit angesichts der Katastrophe übersteigt denn auch bei Weitem Paris und sogar Frankreich. Das beweist, wie sehr uns religiöse Bauten durch ihre Vergangenheit und ihre Symbolik beeinflussen und sogar bewegen - ob wir nun gläubig sind oder nicht. Und kein Feuer dieser Welt kann die Seele der Notre-Dame verwüsten.
Der perfekte Rohrschachtest
Die Notre-Dame kann aber Projektionsfläche für alle möglichen Gedanken sein, warnt Het Nieuwsblad. Jeder liest in der Katastrophe, was er davor schon dachte. Wer vor dem Brand schon über den vermeintlichen Untergang der westlichen Kultur schwadroniert hat, der sieht in dem Unglück natürlich den Anfang vom Ende des christlichen Abendlandes.
Wer überall Terroristen sieht, der will natürlich gleich auf unscharfen Bildern einen erkannt haben; dabei handelte es sich lediglich um eine jahrhundertealte Statue. Und wer nichts und niemandem glaubt, der hat schon bevor die Flammen gelöscht waren, behauptet, dass ohnehin die wahren Ursachen unter den Teppich gekehrt würden. Und insofern ist der Brand der Notre-Dame ein perfekter Rohrschachtest: Die Interpretation eines Bildes gibt Auskunft über den geistigen Zustand des Beobachters.
Warum Steine gegen Menschen aufwiegen?
"Unter der Asche fließen Spenden", bemerkt aber L'Avenir. "Reiche Franzosen spenden Geld, um die verkohlte Notre-Dame wieder aufzubauen", so De Tijd. La Libre Belgique spricht sogar von einem "globalen Engagement für die Notre-Dame".
Das allerdings gefällt nicht jedem, kann La Libre in ihrem Leitartikel nur feststellen. Ein Satz aus den Sozialen Netzwerken bringt es auf den Punkt: "Victor Hugo bedankt sich für die Spenden für die Notre-Dame. Und er bittet jetzt um das Gleiche für Les Misérables, die Elenden." Konkret: Wenn es um die Bekämpfung der Armut geht, dann ist die Welt deutlich weniger großzügig. "Warum müssen wir Steine gegen Menschen aufwiegen?", fragt sich das Blatt. Man kann doch die Kathedrale nicht als Ruine stehen lassen. Das eine schließt das andere doch nicht aus.
La Dernière Heure sieht das genauso: Natürlich ist die Kritik nachvollziehbar. Natürlich mag es befremdlich wirken, dass, wenn Politiker in Scharen ans Krankenbett einer Kathedrale eilen, während das ganze Jahr über Menschen auf der Straße schlafen müssen. Nur darf man eben nicht vergessen, dass die Notre-Dame nicht nur ein einfaches Gebäude ist. Es ist ein Symbol. Und ein Land, das seine Vergangenheit nicht pflegt, vernachlässigt auch seine Zukunft.
De Morgen ärgert sich seinerseits über die überaus großzügigen Gesten von einigen Milliardären und Multinationals. Die Herren Arnault und Pinault und andere spielen sich jetzt mit dreistelligen Millionenspenden als menschenfreundliche Gönner auf. Sie und einige Konzerne sind aber nicht da, wenn es darum geht, einfach nur ihren Teil zum Funktionieren des Staates beizutragen, sprich: ihre Steuern zu zahlen. Arnault verlegte dafür sogar seinen Wohnsitz nach Belgien. Im Grunde sehen wir hier das angelsächsische Modell: Superreiche wollen sich vom Schaden, den sie verursachen, reinwaschen, indem sie selbst entscheiden, für wen sie Geld lockermachen. Die Millionenspenden für die Notre-Dame sind willkommen. Einfach nur Steuern zu zahlen, wäre aber vielleicht noch schöner gewesen.
Es gibt aber am Mittwoch noch ein zweites großes Thema: "Victor Campenaerts ist der schnellste Radrenner der Welt", titelt Gazet van Antwerpen. Campenaerts hat am Dienstag in Mexiko den Stundenweltrekord gebrochen: "55,089 Kilometer", die Zahl steht auf Seite eins des GrenzEchos. Auf Seite eins von Het Laatste Nieuws sagt Victor Campenaerts: "55,089 Kilometer in einer Stunde, ich fühle mich ein bisschen wie Gott."
Roger Pint