"Die 27 gewähren Theresa May eine erneute Verschiebung des Brexits", schreibt heute die Wirtschaftszeitung L'Echo. Deren flämisches Pendant De Tijd erklärt: "Europa entscheidet sich für lange Brexit-Verschiebung".
In der Nacht haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine Verlängerung der Brexit-Frist bis zum 31. Oktober geeinigt. Dazu schreibt L'Echo in seinem Leitartikel: Die Briten stecken ab sofort im Vorzimmer der EU fest, fern gehalten von allen großen Entscheidungen, aber immer noch da und bereit, und das ist die Ironie, an den Europawahlen im Mai teilzunehmen.
Welch verschwendete Energie! Wenige Wochen vor der Wahl beschäftigen sich die EU-Gipfel nur noch mit dem Brexit. Das Soziale? Im Wandschrank. Die Vollendung der Eurozone? In der Vorhölle.
Man hat es während der Sondergipfel schon gespürt: Die politischen Führer der EU sind müde. Erschöpft von der Brexit-Frage und der Unfähigkeit der britischen Nationalisten, ihr politisches Nicht-Projekt zu Ende zu bringen. Der Brexit saugt jeden Tag ein Stückchen mehr von der schöpferischen Kraft der EU auf. Es ist höchste Zeit für einen Elektroschock. Hoffen wir, dass er am 26. Mai kommt, wünscht sich L'Echo.
Pest und Cholera drohen weiter
Für De Tijd ist die Verschiebung der eleganteste Ausweg: Die Briten bekommen etwas Zusatzzeit, sind aber so schnell wie möglich weg. Am liebsten vor dem 22. Mai, kurz vor den Europawahlen. Ein Brexit in der Nachspielzeit, wenn man so will.
Die Entscheidung, den Brexit zu verschieben, zusammen mit der Verpflichtung Großbritanniens, EU-Wahlen zu organisieren, ist in der Tat die richtige, weil sie kurzfristigen Schaden vermeidet. Aber so lange die britische Politik sich nicht zusammenreißt, drohen Pest und Cholera: eine Verlängerung, in der das britische Chaos die europäischen Institutionen beschädigt, und gleichzeitig doch kein Deal, weil die Briten immer noch nicht wissen, was sie wollen, warnt De Tijd.
Für Gazet van Antwerpen zeigt der Brexit vor allem eines: dass viele Briten und auch Einwohner der anderen Mitgliedsstaaten Europa zu leicht für jedes Unheil verantwortlich machen. In Wirklichkeit ist nur eines schlimmer als die trägen europäischen Entscheidungsprozesse: ein Leben ohne die Europäische Union, philosophiert Gazet van Antwerpen.
Ein schmutziges Geben und Nehmen
Die frankophone Presse beschäftigt sich in ihren Leitartikeln vor allem mit dem Wahlsieg von Benjamin Netanjahu bei den israelischen Parlamentswahlen. Le Soir findet: Das ist keine gute Nachricht. Weder für die israelische Demokratie noch für die Rechte der Palästinenser.
Die kleinen extremistischen Parteien, darunter eine offen rassistische, haben sich entschieden, mit Netanjahu gemeinsame Sache zu machen. Eine schmutzige Form des Gebens und Nehmens: Die schnelle Abstimmung der Knesset über die Immunität des Premierministers, der ansonsten wegen Korruption noch dieses Jahr angeklagt würde, gegen den Ausbau der jüdischen Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten.
Und als Kirsche auf dem Kuchen: die Annexion großer Gebiete des Westjordanlandes durch Israel. Die Zwei-Staaten-Lösung, in der Israel und Palästina nebeneinander existieren, ist tot. Die israelischen Wähler haben sie begraben, stellt Le Soir fest.
Symptomatisch für den Zustand der Altenpflege
De Morgen kommentiert die Tatsache, dass in den flämischen Altenheimen immer noch viele ältere Menschen fixiert werden - tagsüber jeder fünfte und nachts sogar fast die Hälfte der Bewohner. Dazu schreibt die Zeitung: Fixierung ist genau das, was man sich unter diesem Begriff vorstellt – jegliches Mittel nutzen, um dafür zu sorgen, dass ein Mensch sich nicht mehr frei bewegen kann.
Das kann bedeuten: den Rollstuhl mit der Bremse festsetzen, das Einschließen im Zimmer, das Ruhigstellen mit Medikamenten bis hin zum tatsächlichen Festbinden im Bett oder Sessel. Dabei geht es auch ohne Fixierung: Eine Anzahl von Altenheimen verfolgt jetzt bereits eine fixier-arme oder sogar fixierlose Politik.
Der springende Punkt allerdings ist: Warum machen die anderen Altersheime das nicht auch so? Zum einen liegt es an der internen Politik eines Seniorenheims. Es gibt immer noch Führungskräfte, die kein Problem damit haben, 80-Jährige dauerhaft in Ketten zu legen.
Es liegt aber auch oft am Personalmangel: Um eine fixier-arme Politik umzusetzen, muss man eine andere Art und Weise finden, wie man mit den Bewohnern umgeht. Und muss sie dann oft auch sehr intensiv überwachen. Das kostet Zeit, Mittel und Menschen. Die Fixierungszahlen sind also auch ein Stück weit symptomatisch für den Zustand unserer Altenpflege. Das ist nicht wirklich ermutigend.
Und die Zukunft sieht auch nicht rosig aus: Der Pflegekräftemangel droht in den kommenden Jahren noch größer zu werden. Nimmt man dann noch die Vergreisung der Gesellschaft dazu und die Prognose, dass sich die Zahl der Demenzkranken bis 2050 verdoppeln wird, dann weiß man, dass die kommende Regierung weitaus Besseres zu tun haben sollte, als sich die Frage nach einer siebten Staatsreform zu stellen, um nur ein Beispiel zu nennen, notiert De Morgen.
vk/jp