"Und da waren es plötzlich 70.000", titelt Het Belang van Limburg. "Es werden schon immer mehr", so die Schlagzeile von Le Soir. "70.000 marschieren gegen den Klimawandel", schreibt das GrenzEcho. "Ein Rekordmarsch", notiert Gazet van Antwerpen fast schon überschwänglich. "Rekord-Mobilisierung für das Klima", meint auch La Libre Belgique.
Am Sonntag waren es 70.000 Menschen, die in Brüssel für eine entschlossenere Klimaschutzpolitik auf die Straße gegangen sind. Erst am letzten Donnerstag waren ja 35.000 Schüler dafür auf den Beinen. "Wenn sie nicht die Schule schwänzen können, kommen sie trotzdem", bemerkt augenzwinkernd Het Nieuwsblad. Alle Altersklassen waren am Sonntag in Brüssel vertreten. De Standaard spricht von einem "Familienausflug für das Klima". "Die Politik steht einer immer größeren Flut von Demonstranten gegenüber", bemerkt jedenfalls L'Avenir. "Diese Demonstranten erhöhen den Druck auf die Politik", glaubt auch De Morgen.
De Standaard bringt da aber eine Schlagzeile, die quasi wie die Faust aufs Auge passt: "Die Zahl der Firmenwagen steigt weiter", schreibt das Blatt nämlich auf Seite eins. Noch nie gab es so viele Firmenwagen wie 2018: knapp 300.000 Neuzulassungen. Immerhin gibt es aber einen immer größeren Konsens darüber, dass die Firmenwagen in Zukunft grüner werden müssen.
Ungebrochene Mobilisierung
Die Rekordbeteiligung bei der gestrigen Klimaschutzdemo ist bemerkenswert, findet jedenfalls Het Nieuwsblad. Erst vor sechs Wochen gab es ja eine ähnliche Kundgebung. Und die Schüler gehen inzwischen wöchentlich auf die Straße. Und oben drauf kam dann noch ein winterliches Schmuddelwetter, wie es im Buche steht. Denkbar schlechte Vorzeichen also. Und doch kamen wieder 70.000. Die ungebrochene Mobilisierung zeigt denn auch Wirkung: Die Politik beginnt, einzusehen, dass sie reagieren muss.
Wer ist der wahre Panikmacher?
Das Signal von Sonntag kann nicht ignoriert werden, ist auch De Standaard überzeugt. Allerdings: Panik ist im Moment in der Rue de la Loi nicht zu beobachten. Die Reaktionen einiger Politiker sind sogar schlichtweg enttäuschend. N-VA-Chef Bart De Wever etwa bescheinigte den Demonstranten eine Form von "Untergangsdenken". Und dafür gebe es keinen Anlass. Vielmehr sollte man mit Optimismus in die Zukunft blicken und auf den technischen Fortschritt vertrauen. Wenn man die Sorgen insbesondere der Jugend negiert, dann zeugt das nicht nur von arroganter Missachtung, sondern auch von einer politischen Fehleinschätzung. Politiker, die das Signal von Zehntausenden besorgten Bürgern abtun, die haben nichts kapiert.
"Wer ist der wahre Panikmacher?", fragt sich auch De Morgen. Sind es nicht vielleicht diejenigen, die jetzt orakeln, dass eine entschlossene Klimaschutzpolitik den Bürgern große Opfer abverlangen wird, die zudem vor allem den kleinen Mann treffen würden? Im Grunde ist das ein Plädoyer für eine Nicht-Politik. Wer dafür eintritt, nichts zu tun, der nimmt dieselbe kurzsichtige Haltung ein wie diejenigen, die vor 40 Jahren behauptet haben, dass die Staatsschuld von alleine wieder verschwinden würde.
Gazet van Antwerpen ist noch schärfer: Die Demonstranten sind keine Apokalyptiker. Die 70.000 Menschen, die am Sonntag durch die Straßen der Hauptstadt marschiert sind, sind aufrichtig besorgt. Sie sind davon überzeugt, dass die Welt noch zu retten ist. Grundbedingung ist allerdings, dass die Politik jetzt endlich die entsprechenden Weichen stellt. Das hat mit "Untergangsdenken" nichts zu tun. Was das betrifft, könnten die Demonstranten der N-VA ohnehin nicht das Wasser reichen. Die flämischen Nationalisten malen uns ja ständig das Schreckensszenario an die Wand, wonach angeblich Millionen von Flüchtlingen unsere Landstriche überfluten werden.
So so, die N-VA, die größte Partei des Landes, hält die Demonstranten also für Unheilspropheten, stichelt auch Het Laatste Nieuws. Auch die flämische Umweltminister Joke Schauvliege (CD&V) ist ihrerseits davon überzeugt, dass es innerhalb der Bevölkerung keinen ausreichenden Rückhalt gibt für wirklich einschneidende Klimaschutzmaßnahmen. Das kann man spätestens seit Sonntag nicht mehr behaupten. Es gibt diesen Rückhalt. Jetzt ist die Gelegenheit. Es wäre unverzeihlich, diesen Moment nicht zu nutzen.
Allerdings handelt es sich hier um einen langwierigen Kampf, gibt La Libre Belgique zu bedenken. Die Demonstranten müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Welt für sie nicht in ein paar Wochen in Ordnung sein wird. Auf Belgien bezogen darf man ja schon nicht vergessen, dass wir derzeit eine geschäftsführende Regierung haben und dass die Koalitionsbildung nach der Wahl vom 26. Mai wahrscheinlich lange dauern wird. Wirklich schnelle Lösungen darf man da nicht erwarten. Vorsicht vor der Enttäuschung!
De Wever gegen De Wever
Man könnte es wie folgt zusammenfassen, so das Fazit von Het Belang van Limburg: Hier geht es um den Kampf "De Wever gegen De Wever". Auf der einen Seite Anuna De Wever, die die Schülerproteste initiiert hat, auf der anderen Seite N-VA-Chef Bart De Wever, der das Ganze als Schwarzseherei betrachtet. Also: die selbsternannten "Ökorealisten", die glauben, dass die Technik alle Probleme lösen kann und die die Demonstranten für Idealisten in Ziegenwollsocken und Jesuslatschen halten. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen. Denn seien wir ehrlich: Müssen die Schuhe, die man heute Abend im Internet bestellt, wirklich morgen schon vor der Tür stehen?
Roger Pint