"Der König als Minenräumer", titelt Le Soir. "Der König erstmals im Zentrum einer Krise", so La Libre Belgique. "Der Fall der Regierung kostet uns mehr, als die Politiker uns sagen", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins.
Die aktuelle Regierungskrise beschäftigt die Zeitungen weiter in Aufmachergeschichten, Berichten und Kommentaren. Gestern hat König Philippe mit den Konsultationen der verschiedenen Parteichefs begonnen, um eine Entscheidung über das Rücktrittsgesuch von Premierminister Charles Michel treffen zu können. Die Leitartikler beschäftigen sich allerdings eher mit einem Gesamtblick auf die derzeitige Lage.
La Libre Belgique notiert: Wie es jetzt weitergeht in diesem Land hängt sehr von dem Verhalten der verschiedenen Parteichefs ab. Werden sie das Gemeinwohl in den Vordergrund stellen oder ihre Parteiinteressen? Die N-VA mit Bart De Wever hat sich schon entschieden.
Doch wie reagieren die anderen? Wie reagieren Charles, Elio, Wouter und Co.? Das wird auch entscheidend für die kommenden Wahlen werden.
Wenn die Parteien es jetzt schaffen, gemeinsam eine vernünftige Politik für das Land zu gestalten, werden sie trotz des traurigen Spektakels der aktuellen Krise mit erhobenem Haupt vor die Wähler treten können. Wenn sie sich jedoch in parteipolitischen Scharmützeln verlieren, können sich die Parteichefs darauf einstellen, die Scherben ihrer Parteien nach den Wahlen zusammenkehren zu müssen, warnt La Libre Belgique.
L'Echo zeigt sich zuversichtlich: Wahrscheinlich wird es jetzt zu einer geschäftsführenden Regierung kommen. Das muss nicht zwangsläufig Stillstand bedeuten. Wenn die Parteien wollen, können sie auch unter diesen Voraussetzungen durchaus gute Politik machen. Dafür müssen die Parteien natürlich das Gemeinwohl in den Vordergrund stellen. Sonst wird es nicht gehen, weiß L'Echo.
Ein Spiegelbild der Gesellschaft
L'Avenir glaubt mit Blick auf die vergangenen Wochen nicht an diesen Schulterschluss der Parteien und führt aus: Dieser Zirkus, dem wir gerade beiwohnen, ist einzig und allein den Parteiinteressen geschuldet, die mehr zählen, als alles andere.
Jeder sucht immer nur seinen eigenen Vorteil. Vernünftige Politik im Sinne der Gesellschaft kann man da nicht erwarten, schimpft L'Avenir.
La Dernière Heure findet: Diese Nabelschau der Parteien ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Auch hier zählt das Gemeinwohl immer weniger, die Interessen des Einzelnen sind meist das Wichtigste.
In unserem Parteiensystem scheint ein Sinn für das Wohl der Gemeinschaft und des Staates erst dann zu entstehen, wenn ein Politiker eine staatstragende Funktion einnimmt. Das Verhalten von Charles Michel und auch Elio Di Rupo als Premierminister können da als Beispiele dienen. Leider gibt es bei uns zu wenige Politiker, bei denen das anders ist, bedauert La Dernière Heure.
Het Laatste Nieuws betont: Das Beste wäre, wenn es jetzt sofort Neuwahlen gäbe. Alle Argumente, die dagegen angeführt werden, sind im Grunde nichtig. Zum Beispiel das Argument, dass man die Bürger schwerlich erst im Januar zu den Föderalwahlen bitten kann und dann schon wieder im Mai zu den Europa- und Regionalwahlen.
Dass man durchaus Wähler mehrmals in Jahr zu den Urnen rufen kann, zeigt unser Nachbar Deutschland. Dort finden seit jeher Bundestags- und Landtagswahlen getrennt voneinander statt. Und das funktioniert hervorragend. So kommt auch jeder Wahl die Bedeutung zu, die sie verdient, argumentiert Het Laatste Nieuws.
Diskussion ohne Tabus
Le Soir erinnert: Fast ist es untergegangen, dass gestern der UN-Migrationspakt mit 152 Ja-Stimmen bei den Vereinten Nationen in New York angenommen wurde. Die heuchlerische Kampagne gegen diesen Pakt hat die Regierungskrise bei uns ja erst ausgelöst.
Jetzt, vor den Wahlen, ist eine gute Zeit, über den Inhalt dieses Pakts zu debattieren. Denn Migration ist ein Problem, das uns weiter beschäftigen wird und mit dem wir uns deshalb offen auseinandersetzen müssen – ohne Tabus. Um für die Zukunft bessere Lösungen als heute zu finden. Der UN-Pakt wird dabei helfen, ist sich Le Soir sicher.
Ein bitterer Nachgeschmack
De Tijd vermeldet, dass die Brüsseler Staatsanwaltschaft ihre strafrechtlichen Ermittlungen gegen sieben ehemalige Topmanager der Fortis-Bank eingestellt hat.
Die Zeitung kommentiert: Die Pleite von Fortis 2008 war ein großes Drama. Die Aktionäre verloren massig Geld, die Pleite brachte unser Finanzsystem ins Wanken, kostete den Staat Milliarden Euro und führte schließlich zum Fall der Regierung Leterme. Und jetzt soll keiner dafür zur Rechenschaft gezogen werden?
Das Ganze hinterlässt jedenfalls einen bitteren Nachgeschmack. Zumal es danach aussieht, dass sich die Justiz nicht wirklich mit allen Mitteln darum bemüht hat, der Sache zügig nachzugehen. Einige Anklagepunkte werden wegen Verjährung fallen gelassen. Warum hat man es so weit kommen lassen?
Es gibt Menschen, die glauben, dass hinter den Kulissen einflussreiche Kräfte gewirkt haben, damit es nie zu einer Anklage kommt. Die Einstellung des Verfahrens hilft nicht, diese Vermutungen zu entkräften, kritisiert De Tijd.
Kay Wagner