"Der Bericht der letzten Chance", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Die Erderwärmung muss gestoppt werden", titelt das GrenzEcho.
Viele Zeitungen beschäftigen sich heute mit dem neuesten Bericht des Weltklimarates. Das UN-Gremium schlägt mehr denn je Alarm. Ziel müsse sein, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nur ist dafür rasches und entschlossenes Handeln nötig. Konkret: Wir müssten alle unser Leben drastisch umstellen. Wie gigantisch die Herausforderung ist, das zeigt eine Empfehlung auf Seite eins von De Standaard: "Wir brauchen einen Wald so groß wie Australien, um das Klima zu retten."
"Wie gehen wir um mit den permanenten schlechten Nachrichten über das Klima?", fragt sich derweil nachdenklich De Morgen. "Ich weiß, dass etwas passieren muss, aber ich fühle mich oft allein", sagt eine besorgte Bürgerin. "Doch, doch, jeder kann etwas gegen den Klimawandel tun", erwidert hingegen der Klimaforscher Jean-Pascal van Ypersele.
Es ist noch nicht zu spät...
"Es ist eine Minute vor zwölf", warnt auch La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Seit 30 Jahren läuten die Klimaforscher jetzt schon die Alarmglocken. Zunächst rief das nur Achselzucken hervor. Doch inzwischen haben sich die düsteren Vorhersagen als korrekt erwiesen. Jetzt ist also Handeln angesagt. Wenn wir nichts tun, dann hinterlassen wir unseren Kindern eine buchstäblich unbewohnbare Welt. Es ist noch nicht zu spät. Um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, brauchen wir aber eine veritable Revolution.
De Morgen fasst es in ein Bild: Ein TGV rast auf uns zu und wir stehen mitten auf den Gleisen. Auf dem Bahnsteig stehen Menschen, die uns zurufen: "Springt zur Seite!" Diese Rolle nimmt der Weltklimarat ein. Wenn wir nichts tun, so warnt das Gremium, dann wird die Temperatur auf dem Globus um drei Grad ansteigen. Die Herausforderung ist so enorm, dass das in vielen Köpfen eine Form von Nihilismus hervorruft. Nach dem Motto also: Das ist unmöglich, das zu schaffen, es ist ohnehin schon zu spät. Das Problem: Der TGV wird dafür nicht das Gleis wechseln. Politisch Verantwortliche, die den Herausforderungen nicht ins Auge blicken, tun gar so, als gäbe es besagten TGV nicht. Dabei hängt im Wesentlichen von ihnen und ihrer Entschlossenheit ab, ob wir das Unheil noch abwenden können.
Nicht nur die Populisten sind das Problem
Apropos, meint Gazet van Antwerpen, US-Präsident Donald Trump ist ja schon aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten. Der wahrscheinlich neue rechtspopulistische brasilianische Präsident Jair Bolsonaro wird vielleicht dasselbe tun. Der kann es schließlich kaum erwarten, den Amazonas-Regenwald noch weiter abzuholzen – die größte grüne Lunge der Erde. Aber auch nicht ausdrückliche Leugner des Klimawandels sind letztlich wenig konsequent.
Premierminister Charles Michel etwa hat gestern in seiner Rede zur Lage der Nation auch nicht wirklich Bezug genommen auf die Problematik. Gerade einmal ein Absatz über die Energiepolitik, genauer gesagt den Atomausstieg. Kein Wort über zusätzliche Investitionen in erneuerbare Energien. Ach ja! Es gab noch die Info, dass Deutschland Strom liefern will, um Engpässe im Winter zu vermeiden. Als ob damit alle Probleme gelöst wären! Wir müssen wohl erst noch den nächsten Klimabericht abwarten...
Die Bilanz des Herrn Michel
Besagte Rede zur Lage der Nation von Charles Michel wird heute von vielen Zeitungen ausführlich analysiert. De Standaard bringt den allgemeinen Eindruck auf den Punkt: "Michel zieht eine vorgezogene Bilanz". Ein großer Redner war er ja noch nie, stichelt das Blatt. Diesmal hatte Michel aber eine besonders undankbare Aufgabe: Die meisten Zuhörer in der Kammer waren im Kopf nämlich ganz woanders. Schließlich stehen am kommenden Wochenende ja die Kommunal- und Provinzwahlen an. Seine flämischen Koalitionspartner befinden sich sogar in einem "Kampf um Leben und Tod", im übertragenen Sinne freilich. Da konnte man eigentlich nichts anderes erwarten, als eine brave Auflistung des bislang Erreichten.
Die fünfte Rede zur Lage der Nation klang irgendwie wie die Verlesung eines Testaments, findet L'Avenir. Michel hat Bilanz gezogen, statt Ziele auszugeben. Er wirkte wie ein Regierungschef, der seine Aufgaben noch schnell zu Ende bringen muss – jedenfalls nicht wie jemand, der sich für eine neue Amtszeit empfehlen will.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich: Eigentlich ist die Eröffnung des politischen Jahres mit der Rede zur Lage der Nation ein klassischer Anstoß, wie beim Fußball. Die Frage ist nur, was danach noch kommen wird, beziehungsweise kommen kann. Charles Michel könnte schon am kommenden Montag vor dem Trümmerhaufen des Antwerpener Schlachtfeldes stehen. Und der echte Wahlkampf mit Blick auf die Parlamentswahl im kommenden Mai, der muss ja erst noch beginnen. Was die Bilanz angeht, so kann man im Übrigen auch geteilter Meinung sein: Haushaltsgleichgewicht verfehlt, halbfertige Rentenreform, jämmerlicher Stand im Hinblick auf den Atomausstieg... Die Regierung hat noch sieben Monate Zeit, um aus dem halbleeren ein halbvolles Glas zu machen.
"Sieben Monate", meint auch nachdenklich De Tijd. Eigentlich ist gestern nur klar geworden, wie sehr doch einige ehrgeizige Ziele dieser Regierung regelrecht verdampft sind. Die Bilanz fällt bestenfalls gemischt aus. Dabei hätten die Vorzeichen kaum besser sein können: seit einem Vierteljahrhundert die erste Koalition ohne die PS und vier Jahre ohne Wahlen. Da war mehr drin, meint sinngemäß De Tijd.
Het Laatste Nieuws ist bissiger: Das größte Problem dieser Regierung ist ihre rückgratlose Haushaltspolitik: Das versprochene Haushaltsgleichgewicht wurde verfehlt. Das als Fliegendreck abtun zu wollen, ist intellektuell unlauter. Charles Michel hat in seiner Rede eine Initiative zum Kampf gegen "Fake News" versprochen, Geld für Faktenchecks. Herr Michel, checken Sie bitte erst einmal die eigenen Fakten!, fordert Het Laatste Nieuws.
Roger Pint