"Francken lässt 32 vorbestrafte Papierlose frei", titeln Het Laatste Nieuws und De Morgen. Die Angelegenheit der aus geschlossenen Zentren freigelassenen Papierlosen und die Folgen für die N-VA und Asylstaatssekretär Theo Francken dominieren heute in den flämischen Zeitungen.
Das Bild der N-VA hat Risse bekommen, meint Het Laatste Nieuws. Die Partei verweist stets auf Erfolge durch ihr hartes Vorgehen gegen kriminelle Migranten. Dass nun kriminelle Papierlose freigelassen worden sind, um Platz für Transitmigranten zu schaffen, erschüttert diese Selbstdarstellung. Franckens Einwand, dass keiner der freigelassenen Migranten noch eine Freiheitsstrafe zu verbüßen hatte, hilft da nur wenig, kritisiert Het Laatste Nieuws.
Das Dilemma der N-VA
Zum gleichen Thema schreibt Het Nieuwsblad: Francken möchte den Schwarzen Peter an Justizminister Koen Geens von der CD&V weiterschieben. Es sei eine Entscheidung der Gerichte gewesen, diese Menschen auf freien Fuß zu setzen. Es sei nicht er gewesen, der die Kriminellen freigelassen habe, so der Asylstaatssekretär. Aber anders als die CD&V hat die N-VA noch nicht gelernt, Schläge einzustecken. Damit hat die Partei von Koen Geens langjährige Erfahrung. Für die N-VA hingegen sind es immer die anderen, die schuld sind. Aber das kann nicht immer so weitergehen, analysiert Het Nieuwsblad.
Das Dilemma der N-VA: Je mehr Transitmigranten sie festnimmt, desto mehr Papierlose muss sie freilassen, stellt De Standaard in seinem Leitartikel fest. Krisen rund um das Thema Migration kamen der Partei bisher immer gelegen. Das harte Auftreten von Parteichef Bart De Wever und Asylstaatssekretär Theo Francken gibt ihnen eine Aura des Heldenhaften und macht sie politisch stärker. Aber beim Thema Transitmigranten greift das nicht – jetzt wird Franckens Tatkraft infrage gestellt, konstatiert De Standaard.
"Es wäre falsch, das Versagen in die Schuhe nur eines Mannes zu schieben", mahnt dagegen De Morgen. In Migrationsfragen ist ein glaubwürdiger Ansatz nur möglich, wenn alle Minister ihren Beitrag leisten. Zum Beispiel wird die Zahl der Asylanträge nicht sinken, wenn die belgische und auch andere europäische Regierungen weiter Waffen an autoritäre Regime in Konfliktregionen liefern oder an ihrer desaströsen Wirtschaftspolitik in Afrika festhalten. Premierminister Charles Michel zieht es vor, auf europäischer Ebene bei diesen Fragen im Hintergrund zu bleiben, anstatt eine Vorreiterrolle einzunehmen. So bleibt alles beim Alten und die Menschen fliehen weiterhin in Richtung Europa. Das alles hat wenig mit Theo Francken zu tun, stellt De Morgen fest.
Wie ein Hauskauf ... nur ohne Haus
Die frankophone Presse beschäftigt primär ein anderes Thema: das System der Grünen Zertifikate für die Produktion von Sonnenenergie. Die wallonische Regierung hatte ja mit dem Rückkauf von "Grünen Zertifikaten" über Jahre hinweg einen Schuldenberg von anderthalb Milliarden Euro angehäuft. Wo das Geld dafür herkommen sollte, war bislang unklar. Wenn es jetzt nach Energieminister Jean-Luc Crucke geht, übernimmt die BNP Paribas die Schulden.
"Die vom Minister vorgeschlagene Lösung hat einen Vorteil: Es gibt sie", findet L'Avenir. Und Crucke ist ganz stolz auf seine Idee, die Schulden einer Bank aufzudrücken. "Man musste halt nur drauf kommen", sagte der MR-Politiker gestern. Doch so glänzend ist die Idee beim näheren Hinsehen nicht. Denn am Ende zahlen die Wallonen doch für die Fehlkalkulation bei den Grünen Zertifikaten. Nur eben verteilt über mehrere Jahrzehnte und mit zusätzlichen Zinsen – denn Schulden bleiben Schulden, wie L'Avenir betont.
Mut ja, aber nicht zu viel, so Le Soir in seinem Leitartikel. Einerseits ist es dem Energieminister anzurechnen, dass sich endlich jemand des Problems annimmt. Automatisch gelöst ist es damit freilich nicht. Es gibt keine Wunder, der Schaden ist angerichtet. Der Vorschlag Cruckes ist wie ein Hauskauf. Nur dass man hier am Ende, nachdem man jahrelang seine Hypotheken bedient hat, kein Haus hat. Ja, die Energiewende hat einen Preis, aber die Wallonie hinkt bei der Bezahlung weiterhin hinterher. Die Hunderte Millionen Euro Zinskosten, die jetzt anfallen, hätten auch gleich auf direktem Weg in die Energiewende investiert werden können, ärgert sich Le Soir.
Stockholm-Syndrom in Brüssel
La Libre Belgique kommt auf das Thema Kommunalwahlen zurück und warnt vor einem Erfolg der N-VA in Brüssel. Die Zeitung notiert: Es wäre eine Art Stockholm-Syndrom, sollten tatsächlich viele frankophone Hauptstädter für die flämischen Nationalisten stimmen. Die N-VA möchte Brüssel gewinnen, um die Hauptstadtregion letztlich abzuschaffen und Brüssel enger an Flandern zu binden. Die Hauptstadtgemeinden sollen verschwinden, die flämischen Bewohner von der Flämischen Gemeinschaft, die frankophonen Bewohner von der Französischen Gemeinschaft verwaltet werden. Das steht hinter den Versprechen der N-VA für mehr Sicherheit und für eine bessere Verwaltung der Stadt, mit der die N-VA den Wahlkampf führt. Die N-VA umgarnt Brüssel, um es besser ersticken zu können, warnt La Libre Belgique.
Peter Eßer