"Rassismus – das lassen wir nicht durchgehen", schreibt Le Soir in großen Blockbuchstaben; die Titelseite ist ganz in schwarz gehalten, die Texte in weißer Schrift. Mit diesem außergewöhnlichen Layout will die Zeitung offensichtlich unterstreichen, wie wichtig ihr das Thema ist. Hintergrund sind zwei besonders aufsehenerregende Fälle von Rassismus, die im Moment das Land erschüttern.
In Flandern schlägt die Affäre um die Jugendorganisation "Schild en Vrienden" hohe Wellen. Die VRT hatte ja in einer Fernsehreportage das wahre Gesicht der Vereinigung enthüllt: In einem geheimen Forum tauschten die Mitglieder von Schild en Vrienden allerlei rassistische, antisemitische und sexistische Botschaften und Bilder aus.
"Die N-VA muss aufräumen", fordert De Standaard auf Seite eins. Es ist nämlich so: Eine Reihe von Mitgliedern von Schild en Vrienden steht auf Wahllisten der flämischen Nationalisten. Genau deswegen wird die N-VA auch von politischen Gegnern angegangen: "CD&V-Chef Wouter Beke attackiert die N-VA wegen des Rassismus' von Schild en Vrienden", so etwa die Schlagzeile von Het Nieuwsblad. "Wir werden aufräumen", verspricht N-VA-Chef Bart De Wever auf der Titelseite von De Morgen. Und die Partei hat auch schon damit begonnen: "Schild en Vrienden-Kandidaten wurden von N-VA-Wahllisten gestrichen", notiert Gazet van Antwerpen.
Die Hundepfeife der N-VA
"Aufräumen", das wird nicht reichen, findet aber De Morgen. Für die N-VA steht viel auf dem Spiel. Bart De Wevers historisches Verdienst war es, den flämischen Nationalismus aus der extrem rechten Ecke herauszuholen. Zugleich stellte er die Rechtsextremen politisch ins Abseits. All das ist jetzt in Gefahr. De Wever hat jetzt wieder eine historische Mission: Diesmal muss er sich klar von der radikalen extremen Rechten abgrenzen. Und da wird es nicht reichen, die Parteibücher der Schild en Vrienden-Mitglieder zu zerreißen. Die Partei muss in sich gehen und ihr Gewissen befragen. Die Wortwahl gewisser N-VA-Spitzenleute mag einiges erklären. Wer oft genug in eine Hundepfeife bläst, der muss sich nicht wundern, wenn er dann auch Hunde anlockt.
Het Nieuwsblad sieht das ähnlich: Die N-VA sollte sich doch einmal die Frage stellen, wie es kommt, dass Leute mit einem derart menschenverachtenden Weltbild sich von der Partei angezogen fühlen. Theo Francken etwa war fast schon so eine Art Maskottchen der Schild en Vrienden-Bewegung, das große Vorbild. Es kursieren ja sogar Fotos, auf denen Schild en Vrienden-Mitglieder stolz mit dem Staatssekretär posieren. Zwar hat sich Francken umgehend und eindeutig von der Ideologie der Gruppe distanziert. Vielleicht sollten er und seine Partei sich aber mal die Frage stellen, ob ihre Strategie des Polarisierens zumindest ein Teil der Antwort ist.
Auch De Standaard spricht von der "Anziehungskraft" des N-VA-Diskurses. Der ist in den letzten Jahren schärfer geworden, mit größerer Betonung von "Identität" und der Ablehnung des Islam. Das heißt nicht, dass es einen kausalen Zusammenhang gibt zwischen der N-VA und einer ultrarechten Gruppe wie Schild en Vrienden. Die N-VA verdient es nicht, mit Schild en Vrienden in einen Topf geworfen zu werden. Die Distanzierung von der Gruppe klingt aufrichtig. Und doch muss sich die Partei Fragen stellen.
"Hübsches Gesicht, hässliche Fratze"
Viele Zeitungen bringen heute auch Porträts des Gründers und unbestrittenen Chefs der Jugendorganisation. Der 25-jährige Dries Van Langenhove sieht sich selbst als Opfer. "Ich bin kein Rassist", sagt er etwa in Het Laatste Nieuws. Er hat sogar die VRT wegen übler Nachrede verklagt. "Besonders selbstsicher, aber wenig glaubwürdig", so aber das Urteil von Het Nieuwsblad über Van Langenhove.
"Hübsches Gesicht, hässliche Fratze", so formuliert es wenig schmeichelhaft Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. "Was für ein Talent!", konnte man noch vor einigen Monaten denken. Man musste mit dem jungen Mann nicht einverstanden sein, aber er kann reden, sich verkaufen. Für viele konnte er durchaus als Traumschwiegersohn durchgehen. Seit der VRT-Reportage steht er aber in einem anderen Licht. In dem geheimen Forum, das die Journalisten einsehen konnten, bezeichnet er sich selbst als "Endboss" von Schild en Vrienden. Wie würde man das wohl auf Deutsch übersetzen?, fragt sich die Zeitung. Am passendsten wäre wohl: "Der Führer".
Doktor Jekyll und Mister Hyde
Im frankophonen Landesteil ist Rassismus aber auch ein Thema: Cécile Djunga, die Wettermoderatorin der RTBF, hat mit einer emotionalen Internetbotschaft Bestürzung ausgelöst. Sie werde seit Monaten gemobbt, weil sie schwarz ist. "Der Rassismus zeigt sein wahres Gesicht", titelt denn auch L'Avenir. Für La Libre Belgique ist das Ausdruck eines vor allem gegen Schwarze gerichteten Rassismus', der insbesondere in Belgien banalisiert wird und fest verankert ist. "Aber die Unterstützung vieler Zuschauer macht mich stark", sagt Cécile Djunga auf Seite eins von La Dernière Heure.
Was um Himmels Willen lässt die Weißen denken, dass sie etwas Besseres wären? Da gibt es nichts!, wettert Le Soir. Allenfalls das Privileg, in der richtigen Wiege gelegen zu haben, auf dem richtigen Kontinent. Wir als Gesellschaft dürfen Rassismus nicht länger tolerieren. Cécile Djunga, Schild en Vrienden – die Lage ist eindeutig: Hier sind gefährliche Kräfte am Werk, die es zu stoppen gilt.
"Worte können töten", meint La Libre in ihrem Leitartikel. Cécile Djunga hätte einmal mehr darüber hinwegsehen, es einfach vergessen können. Ihre Reaktion ist aber richtig. Und nötig. Auch wenn Rassisten in der Minderheit sind, solche Fälle gehören angeprangert. Und geahndet, mit der vollen Härte des Gesetzes. Doch auch die Schulen haben hier eine Rolle zu spielen.
Der Damm hat Risse bekommen, warnt auch L'Echo. Auch in Belgien bahnt sich identitäres, nationalistisches, regionalistisches Denken seinen Weg. Nationalismus, das kann Doktor Jekyll sein, aber eben auch Mister Hyde. Beide sind ein und dieselbe Person. Wenn man sie gewähren lässt, dann tötet sie.
Roger Pint