"Wann spricht Francken für sich, und wann spricht er für die Partei?", fragt sich heute De Standaard. Het Nieuwsblad titelt: "Selbst für die N-VA hat er eine Grenze überschritten". Und die Wirtschaftszeitung De Tijd macht Theo Francken sogar zum "Mann des Tages".
Asylstaatssekretär Theo Francken steht seit dem Wochenende erneut unter Beschuss: Anlass ist sein neuester Fauxpas in den sozialen Medien. Am Sonntag hatte er sich auf Facebook über Männer lustig gemacht, die sich schminken, ihre Augenbrauen zupfen, Dessous oder eine Handtasche tragen oder die schwanger werden. "Lang lebe der normale Mann, der all diesen Unfug nicht nötig hat, um sich wohl in seiner Haut zu fühlen", so Francken abschließend. Der Shitstorm war groß. Francken änderte seinen Facebookpost insgesamt elf Mal und löschte ihn am Ende ganz.
Der "populärste Macho" der N-VA fischt wieder am rechten Rand
Dazu meint Het Nieuwsblad: Ob das politisch-strategisch war oder in einer spontanen Anwandlung geschah, hat Francken nicht gesagt. Auf jeden Fall war die LGBT-Community, also die Gemeinschaft der Homosexuellen, Lesben, Bisexuellen und Transgender, "not amused". Ärgerlich für die N-VA. Muslime, NGOs, linke Anwälte und "weltfremde" Richter zu empören ist ein Ziel an sich, damit sich die Partei besser profilieren kann. Hier ist es umgekehrt: Seit Jahren ist die N-VA ein vertrauenswürdiger Partner im Kampf für die Rechte der LGBT. Teil einer parteipolitischen Strategie kann Franckens Post also nicht gewesen sein, vielmehr ein Ausrutscher aus Übermut. Übermut eines Politikers, der sich zum Ziel gesetzt hat, so viele Stimmen wie möglich beim rechtsextremen Vlaams Belang abzugreifen. Ein ehrbares Ziel, es bleibt aber die Frage, wie groß der Unterschied zwischen den beiden Parteien auf die Dauer dann noch ist. Aber auch der Übermut eines Staatssekretärs, der damit die Aufmerksamkeit von einer Problematik ablenken will, die er nicht in den Griff bekommt, nämlich die der Transmigration, kommentiert Het Nieuwsblad.
De Standaard schreibt zum selben Thema: N-VA-Chef Bart De Wever erklärte, dass Franckens Meinung nicht die der Partei ist, er sich aber auch nicht entschuldigen müsse. Das ist ein Witz! Indem er Francken nicht zum Kniefall zwingt, lässt De Wever den Eindruck entstehen, dass der populärste Macho seiner Partei in dieser Angelegenheit anders denkt als die N-VA und er das auch darf. Dafür gibt es nur ein Wort: Scheinheiligkeit, findet De Standaard.
Und Het Belang van Limburg analysiert: Indem sie Theo Francken in den sozialen Medien freie Hand lässt, spricht die N-VA die Wähler an, die mit der Idee der Partei eines "inklusiven Flanderns" nicht einverstanden sind. Konservative und rechtsextreme Stimmen werden so an die Partei gebunden, um die rechte Flanke in Flandern zu stärken. Francken hat seine unangepassten Worte gelöscht, gesagt hat er sie trotzdem, fasst Het Belang van Limburg zusammen.
Shitstorm II: Die verstörenden Aussagen des Papstes
L'Avenir kommt auf die Äußerungen von Papst Franziskus zum Thema Homosexualität zurück: Der hatte am Sonntag Eltern von homosexuellen Kindern geraten, zu beten oder mit ihrem Kind zum Psychiater zu gehen. Die Zeitung meint dazu: Die Aussagen verstören. Vor allem, weil Franziskus bislang als fortschrittlich bei solchen Themen galt – im Gegensatz zu seinen Vorgängern. Wie soll man diese Aussagen dann verstehen? Als Signal an Teile der katholischen Gemeinschaft? Mit dem Willen, strikte Haltungen beizubehalten und sich gleichzeitig gegenüber anderen Personen zu öffnen? Wie dem auch sei, die katholische Kirche wäre schlecht beraten, zu ihrer stigmatisierenden Position gegenüber Homosexuellen zurückzukehren, die in keinster Weise mit der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung übereinstimmt. Und es wäre noch unglücklicher, wenn sie eine Verbindung zwischen Homosexualität und Pädophilie herstellen würde, von der gerade die Kirche stark betroffen ist und gegen die sie noch Einiges zu tun hat, so L'Avenir.
"Blaming the victim"
Zum bevorstehenden Schulanfang beschäftigt sich der Leitartikel von De Morgen mit der Sicherheit auf dem Schulweg: Jedes vermiedene Opfer ist ein gewonnenes Leben. Doch indem die Sensibilisierungskampagnen vor allem auf Sicherheitsvorschriften für radelnde Kinder zielen, schieben sie die Verantwortung auf die jüngsten und schwächsten Verkehrsteilnehmer ab. Und das, obwohl die Gefahr meist vom übermäßigen Autoverkehr ausgeht, gerade auch vor den Schulen. Im Englischen nennt man das "blaming the victim" – das Opfer ist schuld. Wir finden es normal, dass Kinder ohne Blinkleuchten auf der Straße unterwegs sind, aber oh weh, wenn der Vorschlag kommt, die Tempo 30-Zonen auszuweiten oder Straßen bei Unterrichtsbeginn oder -ende verkehrsberuhigt zu machen. Dann ist das plötzlich ein Anschlag auf die Freiheit. Es ist ein seltsames Paradox, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema sicherer Schulweg umgeht: Eltern sagen, dass sie es zu gefährlich finden, ihre Kinder mit dem Fahrrad zur Schule fahren zu lassen. Und darum seien sie gezwungen, sie mit dem Auto zu bringen – und werden dadurch selbst zu einem Teil des Sicherheitsproblems, erinnert De Morgen.
Volker Krings