"Der Premierminister zerrt und drückt an seinem großen politischen Abkommen", titelt De Tijd. Womit die Zeitung offensichtlich nicht gerechnet hat: Besagtes "Sommerabkommen" steht inzwischen. Um exakt 00:51 Uhr setzte Premierminister Charles Michel einen Tweet ab, in dem das Wort "Agreement" stand: "Einigung". Herzstück ist der Haushalt 2019. Weitere Kapitel sind der sogenannte "Job-Deal", der Beschluss, einen vierten Telekomanbieter auf dem belgischen Markt zuzulassen, und die Entschädigung der Arco-Teilhaber; die war für die CD&V die Grundbedingung für die Teilprivatisierung der Belfius-Bank.
Teilaspekte des "Sommerabkommens" waren allerdings offensichtlich schon durchgesickert. "Das Arbeitslosengeld wird für die ersten sechs Monate steigen", titelt etwa De Standaard. Das ist Teil des besagten "Job-Deals", der dafür sorgen soll, dass die zahlreichen offenen Stellen besetzt werden. Erst steigt also noch das Arbeitslosengeld, dann wird es aber umso schneller abnehmen. Ziel der Regierung ist es, Arbeitslose dadurch zu ermuntern, sich umschulen zu lassen und einen neuen Job zu suchen.
Großer Wurf oder großer Kuhhandel?
Einige Zeitungen sind heute in ihren Leitartikeln wenig optimistisch, dass der Regierung da auf Schloss Val Duchesse der große Wurf gelingen würde. L'Avenir etwa befürchtet einen "großen Kuhhandel". Ob damit letztlich dem Allgemeinwohl gedient sein wird, oder ob damit nur Parteiinteressen bedient werden – wir werden sehen. In jedem Fall hat Charles Michel jetzt ein letztes Mal die Gelegenheit, sich als der Reformer zu zeigen, für den er sich hält, meint Het Belang van Limburg. Zugegeben: Diese Föderalregierung hat schon die Erhöhung des Renteneintrittsalters beschlossen und auch einen Tax-Shift auf den Weg gebracht. Der finanzielle Zustand des Landes hat sich aber trotz der historisch niedrigen Zinsen und des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht wesentlich verbessert. Es steht zu befürchten, dass dabei am Ende – ähnlich wie bei den flämischen Kollegen – lediglich ein flaues Cocktailabkommen herauskommt. Die Regierung will heute am späten Vormittag die Einzelheiten des neuen Sommerabkommens vorstellen. Dann wird sich also zeigen, ob die Leitartikler mit ihren Unkenrufen richtig lagen.
Europa ächzt unter der Hitze
Über ein Thema hingegen besteht Einigkeit: Es ist heiß. "Das Thermometer überhitzt; und das Schlimmste kommt erst noch", so etwa die Aufmachergeschichte von La Dernière Heure. Nach Wochen der Trockenheit hat das Königliche Meteorologische Institut für die nächsten Tage eine Hitzewelle vorhergesagt. "Tiere, Landwirtschaft, Senioren, wir werden alle darunter leiden", bemerkt La Dernière Heure. "Wie kann man sich gegen die Hitze schützen?", fragt sich derweil La Libre Belgique und gibt ein paar Tipps: zur Mittagszeit die Sonne meiden, viel trinken und möglichst auf körperliche Anstrengungen verzichten.
Einige Zeitungen liefern Ratschläge per Foto: Het Belang van Limburg und L'Avenir etwa zeigen auf ihren Titelseiten Bilder von Freibädern. "Wir suchen überall Abkühlung", bemerkt auch Gazet van Antwerpen. Aber: Es gibt auch Schattenseiten. "Schon drei Tote und doch missachten wir weiter geltende Badeverbote", warnt etwa Het Nieuwsblad. Das Ganze jedenfalls trägt langsam aber sicher die Züge einer drohenden Katastrophe. "Die Trockenheit wird schlimmer als die von 1976", befürchtet ein Meteorologe in Het Nieuwsblad. Und eine Folge sieht man auf Seite eins von L'Echo und De Tijd: "Europa ächzt unter der Trockenheit; und die Hitze legt Wälder in Asche". Überall in Europa wüten ja inzwischen verheerende Waldbrände.
"Blaffen, bluffen, drohen"
Der Billigflieger Ryanair stellt sich derweil auf eine massive Streikaktion ein. Morgen und übermorgen will das Kabinenpersonal in vier europäischen Ländern die Arbeit niederlegen. Betroffen sind auch die belgischen Standorte Charleroi und Brüssel. Zahlreiche Flüge werden ausfallen, wobei die Airline offensichtlich versucht, Personal aus anderen Ländern einzusetzen, um die Ausfälle in Grenzen zu halten. Schlechte Neuigkeiten allerdings für die betroffenen belgischen Kunden: "Ryanair weigert sich, die belgischen Opfer zu entschädigen", berichtet Het Nieuwsblad. Die Verbraucherschutzorganisation Test Achats hat aber schon 266 Akten gebündelt, um über eine Sammelklage doch noch einen Ausgleich vor Gericht zu erzwingen.
Was wir hier sehen, das ist vielleicht der Anfang vom Ende eines Geschäftsmodells, orakelt Het Nieuwsblad. Und es ist das Personal, das die Risse im System verursacht. Die Reaktion des ruppigen Geschäftsführers Michael O'Leary auf den Streik war vorhersehbar: "Blaffen, bluffen, drohen". Und vor allem: Die europäischen Standorte gegeneinander ausspielen. Das macht aus Ryanair einen Musterfall. Die Billigairline ist das perfekte Beispiel dafür, dass wir mehr Europa brauchen, ein soziales Europa nämlich.
Die Passagiere werden sich derweil damit abfinden müsse, dass Fliegen auf Dauer teurer wird, glaubt De Standaard. Das sollte uns aber jetzt nicht traurig machen. Es ist doch so: Ryanair machte seine Gewinne nicht nur auf dem Rücken seines Personals, sondern auch auf Kosten des Fiskus. Mehr noch: Die Gesellschaft als Ganzes war der Verlierer. Ryanair hat ohne Zweifel seine Verdienste gehabt. Das Unternehmen hat die Luftfahrtbranche wachgerüttelt. Wenn das Low cost-Modell jetzt aber die Ecken abgefeilt bekommt, dann ist das für uns alle eine gute Sache.
Le Soir ist da noch nicht so überzeugt. Grundvoraussetzung ist, dass jetzt alle Beteiligten die richtigen Schlüsse ziehen. Die EU, die allzu lang weggeschaut hat, muss jetzt endlich regulierend eingreifen. Ansonsten wird sich das soziale Europa weiter auf ein Katz-und-Maus-Spiel beschränken, bei dem die Länder versuchen, sich gegenseitig zu unterbieten, um Firmen anzulocken. Aus dem Fall Ryanair sollten wir jetzt endlich lernen. Ob das wirklich passieren wird, darauf möchte man aber keine Wetten abschließen.
Roger Pint