"Charles Michel stellt sich bei der Atomfrage gegen die N-VA", titelt La Libre Belgique. "Ausstieg aus der Atomenergie sorgt für Ärger in der Regierungskoalition", schreibt Le Soir auf Seite eins. "Regierung bleibt unentschlossen", so die Schlagzeile bei De Morgen.
Der Energiepakt der vier Energieminister hat zu einem Streit um den Ausstieg aus der Kernenergie im Jahr 2025 geführt: Die N-VA hält den für unrealistisch und will deshalb den Energiepakt nicht mittragen. Premierminister Charles Michel hatte gestern allerdings betont, an dem Ausstieg festhalten zu wollen. Fast alle Zeitungen greifen diesen Streit in ihren Kommentaren auf.
La Libre Belgique meint: Die N-VA hat durchaus das Recht, die Meinung zu vertreten, die sie vertritt. Aber es ist wichtig, dass Michel sich davon nicht beeindrucken lässt. Er muss klarstellen: Die Entscheidungen werden immer noch in Brüssel getroffen, nicht in Antwerpen. Beim Energiepakt geht es nicht darum, die Interessen einer Partei zu unterstützen, sondern um ein viel bedeutenderes Ziel: die Rettung des Planeten, so La Libre Belgique.
Het Nieuwsblad findet: Es ist eine Farce, dass wir jetzt wieder über diesen Energiepakt diskutieren. Und auch darüber, ob wir aus der Kernenergie aussteigen wollen oder nicht. Das war doch längst beschlossen. In Norwegen steht im Grundgesetz, dass eine Regierung in der Pflicht steht, sich um die Anliegen der heutigen und künftigen Generationen zu kümmern. Genau das haben die Energieminister in Belgien auf allen Ebenen jahrelang nicht getan. Wir sollten darüber nachdenken, Ähnliches wie Norwegen in unsere Verfassung zu schreiben, meint Het Nieuwsblad.
Le Soir ist deutlich verärgert: Es sieht so aus, als ob MR und N-VA uns ins Gesicht lügen. Denn einerseits sagen auch sie seit Jahren, dass sie den Ausstieg aus der Atomenergie wollen. Andererseits haben sie all die Jahre nichts getan, um diesen Ausstieg zu ermöglichen. Und jetzt dieser unsägliche Streit! Das ist eine Beleidigung für den Wähler, schimpft Le Soir.
Ganz anders La Dernière Heure: Einmal mehr muss die N-VA jetzt Prügel einstecken. Ihr Verbrechen: Zu sagen, dass ein Ausstieg aus der Kernenergie in Belgien 2025 nicht möglich sei. Schön und gut, dass jetzt krakeelt wird. Aber dann sollen uns die Schreihälse doch mal sagen, wie wir es denn sinnvoll schaffen können! Denn was zurzeit zur Debatte steht, ist nicht gerade prickelnd. Jährlich 100 Euro mehr für unsere Energie zahlen, Gaskraftwerke bauen, die schön viel CO2 ausstoßen. Sollen wir vielleicht auch die Kohlebergwerke in Limburg wieder aufmachen?, fragt sich spöttisch La Dernière Heure.
Die Frage ist nicht ob, sondern nur wie
Ausgewogener argumentiert De Morgen und führt aus: Das Problem ist, dass in Belgien eine offene Debatte über Kernenergie nie wirklich stattgefunden hat. Das war ein Tabu. Aber diese Debatte muss spätestens jetzt mal geführt werden. Denn es scheint ja tatsächlich so, dass ein Verzicht auf die Kernenergie so bald nicht möglich ist. Zumindest nicht, wenn wir unseren aktuellen Lebensstandard behalten wollen, notiert De Morgen.
De Standaard fordert: Dieses ständige Hin und Her in Sachen Kernenergie muss endlich aufhören. Die aktuelle Diskussion sollte jetzt zum Anlass genommen werden, Klartext zu sprechen, in alle Richtungen. Alle Zahlen müssen auf den Tisch. Aber natürlich nur mit einem Ziel: Den Atomausstieg 2025 tatsächlich zu ermöglichen. Denn die Frage ist nicht, ob der Ausstieg 2025 zu schaffen ist, sondern nur wie. Eine Alternative dazu gibt es nicht, unterstreicht De Standaard.
Die Gemeinschaftspolitik wieder aus der Kiste holen?
Die Wirtschaftszeitung L'Echo schreibt: Energiepakt, Nationalstadion, Verkehr: Mittlerweile werden es fast zu viele Beispiele, die uns zeigen, wie schlecht strukturiert unsere Entscheidungsebenen sind. Klare Kompetenzen fehlen. Deshalb hat OpenVLD-Mann Alexander De Croo jetzt auch vorgeschlagen, eine gewisse Hierarchie in der Entscheidungsfindung einzuführen. Damit holt man natürlich wieder die Gemeinschaftspolitik aus der Kiste. Aber das wäre es wahrscheinlich wert. Denn die Belgier, also Flamen, Frankophone und Deutschsprachige, verlangen einen effizienten Umgang mit ihren Steuergeldern. Und das kann nur klappen, wenn das Föderalsystem funktioniert, ist L'Echo überzeugt.
Ein klares Zeichen sieht anders aus
Gazet van Antwerpen beschäftigt sich mit der Killerbande von Brabant. Die Opfer wollen einen niederländischen Rechtspsychologen damit beauftragen, sich mit der Anschlagsserie von vor über 30 Jahren zu beschäftigen.
Dazu meint das Blatt: Justizminister Koen Geens hat gesagt, dass man diesen Experten durchaus an den Fall lassen könnte. Allerdings könne er das nicht entscheiden, das sei Sache der Justiz. Damit hat Geens natürlich recht. Aber von einem Justizminister hätte man auch etwas anderes erwarten können. Denn so vorsichtig, wie sich Geens jetzt geäußert hat, ist er nicht immer. Er hätte sich auch klar für diesen Experten aussprechen können. Damit hätte er ein Zeichen gesetzt. Nämlich das Zeichen: Ich unterstütze alles, was zur Aufklärung der Anschlagsserie führt. Nach über 30 Jahren käme so ein Bemühen nicht zu früh, bemerkt Gazet van Antwerpen.
Kay Wagner