Genau ein Jahr nach dem missglückten Putschversuch kommentieren mehrere belgische Tageszeitungen die Situation in der Türkei. La Libre Belgique schreibt: Erdogan möchte die Geschichte seines Landes prägen. Wenn nicht sogar umschreiben. Dafür ist ihm jedes Mittel recht. Die Feierlichkeiten zum ersten Jahrestag des missglückten Putsches vom 15. Juli 2016 werden es beweisen. Das Ereignis, nach dem bereits schon Straßen und Schulen benannt wurden, könnte zum Fundament einer neuen Türkei werden, die sich immer weiter von den laizistischen Idealen eines Atatürks entfernt. Erdogan sagt es selbst: Warum sich mit den letzten 90 Jahren zufriedengeben? Fünf Jahrhunderte ottomanisches Kalifat sind doch eine unerschöpfliche Quelle für Inspiration und Prestige, spöttelt La Libre Belgique.
Gazet van Antwerpen sieht die EU auf dem Holzweg: Sollten wir nicht lieber deutlich machen, dass die Türkei, auch ohne Erdogan, derzeit aus kulturhistorischen, geographischen, demographischen und darüber hinaus wirtschaftlichen Gründen nicht in diese Union gehört? Russland oder die Magreb-Staaten wollen wir doch auch nicht mit aller Gewalt aufnehmen. Das sind doch auch Nachbarn. Sagen wir doch Ankara einfach, dass wir lieber als gute Nachbarn zusammenleben, als uns in eine aussichtlose, "Liebe"-lose Heirat zu stürzen, rät Gazet van Antwerpen.
Lichtblick für die Türkei
Het Belang van Limburg sieht auch einen Lichtblick für die Türkei: In der vergangenen Woche fand in Istanbul die größte Demonstration seit dem missglückten Staatsstreich im vergangenen Jahr statt. Und es war eine der Opposition. Unter dem Slogan "Adalet", Gerechtigkeit marschierte der bislang doch etwas farblose Chef der Oppositionspartei CHP Kemal Kılıçdaroğlu 450 Kilometer von Ankara nach Istanbul. Unterwegs wurde der Marsch immer größer und endete am 9. Juli mit einer Demonstration von einer halben Million Menschen. Vor einem Jahr gingen die Türken auf die Straße, um ihre Demokratie vor einem Staatsstreich zu retten. Ein Jahr später taten sie es erneut. Solange sie das tun, ist die Türkei nicht verloren, meint Het Belang van Limburg.
Le Soir beschäftigt sich mit dem Kazachgate-Untersuchungsausschuss, der am Freitag mit der Anhörung der damaligen Minister De Clerck und Reynders in die Sommerpause ging. Die Zeitung fragt sich, wie man verhindern kann, dass unsere gewählten Politiker von dunklen Finanzakteuren gekauft werden? Kein einziges Mal wurde zur Sprache gebracht, wie sich das Parlament gegen gekaufte Abgeordnete oder Minister wappnen kann. Ein Land, das sich momentan an Begriffen wie "Ämterhäufung" oder "Obergrenze" berauscht, hat niemals die Notwendigkeit in Betracht gezogen, ein Register der Einkommen und Vermögen der Politiker vor und nach den Wahlen anzulegen. Nicht einmal wurde die Verabschiedung eines tatsächlich wirksamen Kaiman-Gesetzes in Betracht gezogen, das verhindern soll, dass Mandatare in Form von Aktien, exotischen Immobilien oder über eine panamaische oder luxemburgische Briefkastenfirma gekauft werden, stellt Le Soir fest.
Orange-Blau: Wieso nicht schon 2014?
Die Wirtschaftszeitung L'Echo bemerkt zur Rolle von CDH-Chef Benoît Lutgen in der derzeitigen Polit-Krise im frankophonen Landesteil: Lutgen hätte allen viel Zeit erspart, wenn er schon 2014 für eine orange-blaue Mehrheit auf allen Ebenen optiert hätte, als das jetzt auf der Zielgeraden vor den nächsten Wahlen zu tun. Das Gleiche gilt übrigens auch für die machthungrige PS: Für die Sozialisten wäre eine Oppositionskur mehr als heilsam gewesen. Das "Glück" der belgischen Sozialisten im Vergleich zu ihren französischen Genossen: Unser Wahlsystem erschwert das Aufblühen eines Macrons, der alle hinter sich lässt, analysiert L'Echo.
L'Avenir kommt ebenfalls auf den französischen Präsidenten und den Besuch von Donald Trump anlässlich des französischen Nationalfeiertags zurück. Zwei Tage lang machte Macron den Eindruck es zu übertreiben. Das inszenierte Dinner auf dem Eifelturm sowie der ganze Rest verstärkte den Eindruck einer Dramaturgie der Prahlerei. Seine Diplomatie der Effekthascherei setzt der von Angela Merkel etwas entgegen, die lieber auf Distanz zu Donald Trump geht. L'Avenir fragt sich, ob dieses Kalkül von Macron aufgeht.
Was für ein Mensch muss man sein?
Einige flämische Zeitungen kommentieren das Verbot für Hilfsorganisationen wie WWF, Rotes Kreuz oder Unicef, am Strand von Ostende für ihre Sache zu werben. Touristen wollen nicht an zerstörte Umwelt oder menschliches Leid erinnert werden. Manche reichten Klage ein, worauf Bürgermeister Johan Vande Lanotte beschloss, ihnen keine Genehmigung mehr zu erteilen. De Morgen findet: Das ist traurig. Natürlich, wer Urlaub hat, will den Kopf freimachen und deshalb die schlechten Nachrichten und das Elend beiseite schieben. Aber was für ein Mensch muss man sein, gegen idealistische, junge Menschen auf der Suche nach Spenden, Klage einzureichen. Anstatt diese zu bestrafen, hätte Vande Lanotte besser mal mit den Klagenden gesprochen, meint De Morgen.
Zum selben Thema meint De Standaard: 50 Jahre nach der mythischen Freiheit des "Summer of Love" bleibt wenig übrig vom Motto "Leben und leben lassen". Es ist nichts Besonderes, dass in einem komplexen und sich schnell verändernden Zusammenleben, Spannungen entstehen. Dass die Meinungsverschiedenheiten zunehmen ist unvermeidlich, aber nicht unheilbar. Bemerkenswert ist aber, mit welcher Eile zu Verboten gegriffen wird, als Lösung für jede reelle oder vermeintliche Gefahr, bemerkt De Standaard.
Volker Krings - Archivbild: Ozan Kose/AFP